Szenenbild aus «Silence»
Schweiz

«‹Silence› ist für die Jesuiten eine fast unerträgliche Zumutung»

Zürich, 25.2.17 (kath.ch) «Silence», der jüngste Film von Martin Scorsese, handelt von den Jesuiten in Japan und der Christenverfolgung in Asien im 17. Jahrhundert. Im Interview mit kath.ch erklärt der Schweizer Jesuit Franz-Xaver Hiestand, was der Film für seinen Orden bedeutet.

Charles Martig

Welche Bedeutung hat der Film von Martin Scorsese für die Jesuiten?

Franz-Xaver Hiestand: Auf den ersten Blick ist «Silence» für Jesuiten eine beinahe unerträgliche Zumutung. Denn unser Orden ist geprägt von Männern, die andere Menschen in eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus hineinführten und genau wegen dieses Einsatzes gefoltert und getötet wurden. Solche Männer gab es von den Anfängen des Jesuitenordens bis in die jüngste Gegenwart.

Können Sie Beispiele nennen?

Hiestand: Alfred Delp zum Beispiel, der Zellen-Nachbar von Dietrich Bonhoeffer, wurde von den Nazis umgebracht. Die Märtyrer von El Salvador um Ignacio Ellacuria und Segundo Montes wurden 1989 von Todesschwadronen massakriert, weil sie unbeirrt an ihrem Einsatz für mehr Glauben und mehr Gerechtigkeit in unserer Welt festhielten.

Wirft der Film auch Fragen auf?

Hiestand: «Silence» stellt uns Jesuiten wesentliche Fragen: Warum verhält sich Gott so still, obwohl viele Menschen grauenhaft leiden? Haben die portugiesischen Jesuiten, die damals in Japan wirkten, auch einen Anteil daran, dass die japanischen Herrscher derart brutal auf die Christen und sie losgingen? Welchen Sinn hatte es damals, Fremde zu missionieren? Und vor allem, inwieweit finden die christliche und die buddhistische Religion letztlich in einen tiefen Dialog hinein?

Warum sollen wir uns heute mit der Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts beschäftigen?

Hiestand: Nicht selten entfalten grosse Filme eine Langzeitwirkung. Wenn sie erscheinen, wirken sie unzugänglich und fehl am Platz. Doch je älter sie werden, umso mehr erkennen wir, dass sie wesentliche zeitgenössische Entwicklungen dokumentieren. «Silence» könnte einer dieser Filme werden. Im Film werden Frauen und Männer gefoltert und getötet. Wir können diese Opfer leicht mit den heutigen, geköpften Opfern des IS vergleichen. In den erniedrigten Christen spiegeln sich aber auch die Opfer von westlichen Realityshows, die völlig lächerlich gemacht, entwertet und psychisch hingerichtet werden.

Viele Filme von Scorsese thematisieren das Fegefeuer und das Leiden. Wie nimmt «Silence» diese Aspekte auf?

Hiestand: Pater Rodrigues (Andrew Garfield), die Hauptfigur in «Silence», muss alles zurücklassen, was einmal seine Identität ausgemacht hat. Seelisch nackt geworden, gerät er in extremste Gottesverlassenheit, und genau dann offenbart sich ihm Gott. Formen von innerem und äusserem Leiden sind in diesem Werk allgegenwärtig; nicht zuletzt auch farblich. Schon lange habe ich keinen Film mehr gesehen, der so lange in so intensives Rot und Rotbraun getränkt ist. Wir können diesem Werk sicher nicht vorwerfen, dass er sich am Leiden vorbeischleicht. Fegefeuer ist ein anderes Wort für «Läuterung». In diesem Werk müssen wir miterleben, wie die Hauptfigur durch das Feuer des Leidens in geheimnisvoller Weise geläutert wird und einen Weg geht, dem wir den Respekt nicht versagen können.

Es geht im Film auch um das Märtyrertum. Ist das in Ihren Augen authentisch dargestellt?

Hiestand: Das ist schwer zu beurteilen. So wie Scorsese arbeitet, ist davon auszugehen, dass er alle Zeugnisse über die damaligen wahren historischen Geschichten studiert hat und sich auch von Fachleuten aller Art beraten liess. Gleichzeitig lebt der italienischstämmige Künstler aus der Bilderwelt des bluttriefenden italienischen Katholizismus seiner Kindheit und Jugend. Sicher kennt er zahlreiche Märtyrererzählungen aus den ersten christlichen Jahrhunderten. Diese dürften seine Inszenierungen mitbeeinflusst haben.

Die Priester im Film stehen vor dem Dilemma, entweder gläubige Menschen vor einem grausamen Tod zu retten oder an ihrem eigenen Glauben festzuhalten. Wie würden Sie sich in diesem moralischen Dilemma verhalten?

Hiestand: Es dürfte kaum eine perfidere und abgründigere Situation geben als diejenige, in die Pater Rodrigues hineingezwungen wird. Auf seinem Abstieg in die vollkommene Verlassenheit wird ihm eine tiefe Wahrheit und eine Gotteserfahrung zuteil, was aber nicht heisst, dass sein Gefährte Pater Garupe (Adam Driver), der standhaft bleibt und getötet wird, Unrecht hat. – Für mich persönlich gewinnt der kantige Garupe im Laufe des Filmes immer mehr an Konturen, obwohl er gleichsam aus der Story herausgespült wird.

Wie begleiten die Jesuiten den den Film bei seinem Schweizer Kinostart im März 2017?

Hiestand: Wir organisieren in Zürich am Sonntag eine Vorpremiere (ausverkauft), in Bern eine Woche später eine Matinée und in Luzern eine Abendvorführung mit anschliessender Diskussion. Auf unserer Webseite bieten wir Hintergrund-Material, und ich stehe gerne für weitere Gespräche zur Verfügung. (cm/sys)

Der Jesuit Franz-Xaver Hiestand leitet die katholische Hochschulgmeinde (aki) in Zürich, er ist Superior (Vorgesetzter) der Zürcher Jesuitengemeinschaft und leitet im Lassalle-Haus Bad Schönbrunn Exerzitien mit Filmen. 2015 war er Mitglied der ökumenischen Jury am Filmfestival von Locarno.

Hinweis:

Vorführung in Bern: Sonntag, 5. März, 10.30 Uhr, Kino Camera, mit anschliessender Diskussion 

Anschliessend um 13.00 Uhr Diskussion mit Tereza Fischer (»Filmbulletin») und Franz-Xaver Hiestand SJ (Leiter des aki, der katholischen Hochschulgemeinde, Zürich)

Vorführung in Luzern: Dienstag, 7. März, 18.30 Uhr, Kino Bourbaki, mit anschliessender Disussion

 


Szenenbild aus «Silence» | © Ascot Elite Entertainment Group
25. Februar 2017 | 14:20
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