Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
International

Selenskyj will Ukraine vor «Manipulation der Religion» schützen

Präsident Selenskyj rechtfertigt den Verweis der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche aus dem Höhlenkloster in Kiew. Damit solle «die spirituelle Unabhängigkeit» der Ukraine gestärkt werden. Die Mönche weigern sich trotz Ablauf der von der Regierung gesetzten Frist, das Kloster zu verlassen.

Oliver Hinz

Im verhärteten Streit um das berühmte Kiewer Höhlenkloster verteidigt Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj das Vorgehen seiner Regierung gegen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK). Es handele sich um einen Schritt, «um die spirituelle Unabhängigkeit unseres Staates zu stärken, um unsere Gesellschaft vor der alten und zynischen Manipulation der Religion durch Moskau zu schützen», sagte Selenskyj am Mittwochabend in seiner täglichen Videobotschaft an seine Landsleute. Die Ukraine sei das «Gebiet der grössten Religionsfreiheit in unserem Teil Europas». So werde es immer bleiben, versicherte er.

Mönche verweigern Wegzug

Dutzende Mönche der UOK weigern sich weiterhin, das Höhlenkloster zu räumen. Sie widersetzen sich damit einer Anordnung der ukrainischen Regierung, die eine Frist bis Mittwoch gesetzt hatte. Auf der Kloster-Website teilten die Ordensmänner mit, dass sie nicht beabsichtigten, das bedeutendste orthodoxe Heiligtum der Ukraine «ohne ein entsprechendes Gerichtsurteil» und ohne grundlegende Dokumente für die Kündigung des Pachtvertrags zu verlassen. Nach Angabe der Kirche setzte das von ihr angerufene Kiewer Wirtschaftsgericht eine Verhandlung für den 26. April an.

Das Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra.
Das Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra.

Eine Vertreterin des Kulturministeriums betonte, solange das Gericht keine einstweilige Verfügung gegen eine Räumung erlasse, fehle der UOK eine rechtliche Grundlage, um im Höhlenkloster bleiben zu können. Deshalb sollten sich bis zu einer Gerichtsentscheidung keine Geistlichen der UOK dort aufhalten, sagte sie am späten Mittwochabend der Nachrichtenagentur Ukrinform.

Sitz der Ukrainisch-orthodoxen Kirche

In dem Kloster lebten bislang rund 200 Mönche; die Leitung der UOK hat hier ihren Sitz, ebenso deren wichtigste Bildungsstätte, die Theologische Akademie. Es gehört wie viele andere ukrainische Gotteshäuser dem Staat.

Die Kündigung des 2013 geschlossenen Pachtvertrags begründete das Kulturministerium mit Verstössen gegen die Nutzungsbestimmungen. Auf dem Klostergelände seien mehrere Gebäude ohne Genehmigung errichtet worden.

Kollaboration mit Russland?

Als politisches Motiv sehen Beobachter mutmassliche Fälle von Kollaboration mit Russland. Klosterabt Metropolit Pawlo wies derartige Vorwürfe zurück. Eine Zwangsräumung durch Staatsorgane verstiesse gegen ukrainische Gesetze und die Verfassung, erklärte er.

Unterdessen hofft die konkurrierende Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU), dass die Regierung ihr das Höhlenkloster überlässt. Sie ernannte überraschend den ehemaligen Ordensmann der UOK, Abraham Lotysch, zum Vorsteher des Klosters. Er forderte die Mönche in einer Videobotschaft auf, zur OKU überzutreten und in der Abtei zu bleiben. Seine ehemalige Kirche, die UOK, verhängte umgehend Sanktionen gegen Lotysch. Sie verbot ihm, als Priester tätig zu sein. Er habe gegen seinen Treueeid verstossen, hiess es zur Begründung.

Keine gewaltsame Klosterräumung geplant

Der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksij Danilow, hatte am Mittwoch versichert, es werde keine gewaltsame Räumung des Klosters geben. Alles werde in Einklang mit dem Gesetz vor sich gehen. Künftig werde es keine «Moskauer Kirche» mehr im Höhlenkloster geben, so Danilow. Dort sollten weiter Geistliche tätig sein und Gottesdienste abhalten, aber keine «künstlichen Gebilde, die einst ausserhalb der Gesetze der Ukraine geschaffen wurden».

Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche unterstand lange dem Moskauer Patriarchen Kyrill I., der Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt. Erst im Mai 2022 sagte sie sich von ihm los und erklärte sich für unabhängig. Dieser Schritt wird aber von der ukrainischen Regierung angezweifelt.

Streit zweier orthodoxer Kirchen

In der Ukraine streiten seit Jahren zwei orthodoxe Kirchen um die Vorherrschaft. Die Regierung unterstützt die 2018 mit Hilfe des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel und orthodoxen Ehrenoberhaupts Bartholomaios I. gegründete Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU). Das Höhlenkloster aus dem 11. Jahrhundert gilt als die Wiege der ostslawischen Orthodoxie.

Noch zu Sowjetzeiten zog die russisch-orthodoxe Kirche 1988 in das Heiligtum ein, aus dem sie das Moskauer Regime in den 60er Jahren geworfen hatte. 2013 schloss die UOK unter dem damaligen Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch einen unbefristeten Vertrag zur kostenlosen Nutzung des Höhlenklosters. Der Komplex ist ein Wahrzeichen Kiews und umfasst rund 140 Gebäude. Die Unesco nahm das Kloster 1990 in ihre Welterbeliste auf. (kna)


Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj | © Wikimedia Commons
30. März 2023 | 12:05
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