Das Urteil des Richters
Schweiz

Seelsorger wegen Berufsgeheimnisverletzung verurteilt

Zürich, 9.2.18  (kath.ch) Weil sie Informationen aus seelsorglichen Gesprächen an die Polizei weitergegeben haben sollen, sind ein ehemaliger Pfarrer und seine Ehefrau am 7. Februar vor Gericht gestanden. Der Fall wirft auch Fragen nach der Professionalität von Seelsorgern auf.

Susanne Leuenberger

Ein ehemaliger Gefängnisseelsorger und seine Frau mussten sich am 7. Februar vor dem Bezirksgericht Zürich wegen Berufs- und Amtsgeheimnisverletzung verantworten. Die beiden sollen im vergangenen Frühling gegenüber der Zürcher Kantonspolizei Aussagen über einen ehemaligen Häftling gemacht haben, die unter die Schweigepflicht der Seelsorge fallen. Dies berichtete die Zeitung «Tagesanzeiger» (TA) am 1. Februar.

Beruflich und privat

Gemäss der Zeitung betreute das Paar den Mann während 25 Jahren beruflich und privat. Er hatte unter anderem mehrere Jahre im Gefängnis gesessen, wo der beschuldigte einstige Pfarrer ihn kennenlernte.

Als die Polizei den Mann im Mai 2017 schliesslich wegen einer neuerlichen Straftat zur Fahndung ausschrieb, wandte sie sich auch an den ehemaligen Seelsorger und dessen Frau. Wegen der Schwere der Delikte – dem Mann wird vorgeworfen, eine Frau in einem Mehrfamilienhaus in Dietikon überfallen, gefesselt und beraubt zu haben – entschied sich das Paar, das Seelsorgegeheimnis zu brechen. Nachträglich liess es sich von der Berner Polizeidirektion davon entbinden.

Unprofessionelle Nähe

Das Verhalten des Ehepaars wirft eine Reihe von Fragen in Bezug auf die Berufstandards von Seelsorgern auf. So soll gemäss dem TA nach der jahrelangen professionellen Betreuung auch ein privates Verhältnis zwischen dem ehemaligen Insassen und dem beschuldigten Paar bestanden haben.

Alfredo Diez, der leitende Pfarrer der Gefängnisseelsorge im Kanton Zürich, hält auf Anfrage von ref.ch fest, den vorliegenden Fall nicht zu kennen und damit auch nicht im Detail kommentieren zu können. Grundsätzlich sei es in der Regel jedoch «sehr unprofessionell», eine private Freundschaft mit einem einstigen Klienten aufzubauen. Zwar komme es vereinzelt vor, dass ehemalige Insassen Pfarrpersonen auch in der Freiheit aufsuchten und von diesen eine zeitlang seelsorgerisch begleitet würden. Selbst das sei aber nicht die Norm. Im Kanton Zürich existiere zudem neu eine Anlaufstelle für Strafentlassene: «Diese wird von einem Gefängnisseelsorger betreut, der das Milieu gut kennt.»

Ohne Einverständnis des Insassen

Zusätzlich kompliziert wurde der Fall auch darum, weil das Paar gemäss TA neben mündlichen Informationen ein psychiatrisches Gutachten des einstigen Häftlings aus den 1980er-Jahren an die Polizei weitergegeben haben soll. Der Zugang zu ärztlichen Berichten und Gutachten gehöre zwar zum Tätigkeitsbereich von Gefängnisseelsorgern, meint Diez. Allerdings stellt er klar: «Solche Dokumente dürfen nicht privat archiviert oder weitergegeben werden. Das wäre aus Sicht der Gefängnisseelsorge unprofessionell.» Inwiefern dies auf den vorliegenden Fall zutrifft, möchte Diez nicht beurteilen.

«Wir setzen unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel.»

Als heikel bezeichnet Diez, dass das Brechen der Schweigepflicht offenbar ohne Einverständnis des Insassen erfolgte. Zwar sieht das Gesetz vor, dass dies in schweren Fällen möglich ist, nämlich dann, wenn die vorgesetzte Behörde einen Seelsorger vom Berufs- und Amtsgeheimnis entbindet. Dazu existieren klare Richtlinien, die kantonal gelten. Allerdings räumt Diez ein, dass dies immer eine «ausserordentliche Ausnahmesituation» darstellen solle: «Das muss gut abgewogen und begründet sein, denn wir setzen mit einem solchen Schritt unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel.»

Anzeige wegen Berufsgeheimnisverletzung

Und – wie der vorliegenden Fall zeige – schütze eine behördliche Entbindung auch nicht vor einer Strafverfolgung; so habe der ehemalige Insasse das Ehepaar wegen Berufsgeheimnisverletzung angezeigt – mit Erfolg.

Das Bezirksgericht Zürich hat den ehemaligen Gefängnisseelsorger am 7. Februar zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 250 Franken verurteilt. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Die ebenfalls angeklagte Ehefrau wurde freigesprochen. Die Theologin war nie offiziell in der Strafanstalt angestellt und hatte nur als Privatperson Kontakt zum Ex-Häftling.

Nähe und Distanz

Einen allgemeinen Mangel an Professionalität unter Gefängnisseelsorgern mag Diez dagegen nicht feststellen. So absolvieren diese vor ihrer Zulassung eine Spezialausbildung, in der sie intensiv in der Thematik von Nähe und Distanz geschult werden. Ausserdem ist Diez überzeugt, dass die Seelsorgenden über die Grundlagen von Amts- und Berufsgeheimnis Bescheid wissen: «Es ist eine komplexe Materie, aber die wichtigsten Grundsätze kennen alle Seelsorgenden in öffentlichen Institutionen.» (ref.ch/ft)

Das Urteil des Richters | © Thorben Wengert / pixelio.de
9. Februar 2018 | 09:02
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