Bruno Fluder, Theologe, Öffentlichkeitssprecher von Adamim – Verein Schwule Seelsorger Schweiz
Schweiz

Schwuler Theologe: «Viele homosexuelle Menschen fühlen sich mit der katholischen Kirche verbunden»

Zürich, 15.4.15 (kath.ch) Die Aussagen des Churer Generalvikars Martin Grichting zu Homosexualität und der Sexualität in homosexuellen Partnerschaften im Fernsehen SRF am Sonntag, 12. April, haben auf dem Facebook-Konto von kath.ch zu heftigen Diskussionen geführt. Der homosexuelle Theologe Bruno Fluder weist im Gespräch mit kath.ch darauf hin, dass in der alltäglichen Seelsorge eine wesentlich grössere Offenheit diesen Fragen gegenüber bestehe, die katholische Kirche selber sich aber mit dem Thema «Homophobie» zu wenig auseinandersetzt.

Martin Spilker

Was sagen Sie als katholischer Theologe, wenn Sie auf Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Homosexualität wie beispielsweise denjenigen von Martin Grichting in der Sendung Sternstunden Religion angesprochen werden?

Bruno Fluder*: Da gilt es zuerst zu klären, wer hier von welcher Kirche spricht. Die Argumentation von Martin Grichting ist aus meiner Sicht theologisch-wissenschaftlich unseriös, denn sie klammert wesentliche Erkenntnisse der Theologie und der Sozialwissenschaften aus. Er ignoriert die Hierarchie der dogmatischen Lehraussagen, in der die moralische Beurteilung von Homosexualität relativ weit unten rangiert und daher auch wandelbar ist. Aber Kirche ist ja viel mehr als das und ich stelle fest, dass sich viele homosexuelle Menschen trotz solchen – meiner Meinung nach diskriminierenden – Aussagen von Kirchenvertretern sehr mit der katholischen Kirche verbunden fühlen. Sonst würden sie ja auch nicht auf Seelsorger zugehen und beispielsweise um eine Segnung ihrer Beziehung nachfragen.

Wie erleben Sie im Alltag die Spannung zwischen kirchlicher Lehrmeinung und Wirklichkeit?

Fluder: Hier stelle ich eine sehr grosse Offenheit fest. Ich nenne das eine jesuanische Haltung, gemäss Jesu Umgang mit Minderheiten. Im Alltag der Kirche werden homosexuelle Menschen meiner Meinung nach grösstenteils nicht ausgegrenzt und auch nicht diskriminiert. Es ist eine Minderheit von Seelsorgern, welche hier eine restriktive Haltung hat und sich auf einen wie erwähnt verkürzten Teil der kirchlichen Lehre beruft.

Was sollen Seelsorgende tun, die in der Begleitung von Homosexuellen in einen Konflikt mit der kirchlichen Lehre, in ein Dilemma geraten?

Fluder: Ich persönlich kenne keine Seelsorgerinnen oder Seelsorger, die sich Homosexuellen gegenüber ablehnend verhalten. Festgestellt habe ich hingegen schon verschiedentlich, dass Verunsicherungen oder Vorurteile gegenüber homosexuellen Menschen in der direkten Begegnung ausgeräumt werden können. Es ist etwas ganz anderes, die Lehre der Kirche zu vertreten als in einem seelsorgerlichen Gespräch mit einem homosexuellen Menschen Fragen des Glaubens oder der Partnerschaft zu erörtern.

Welche Bedeutung hat die Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen Ihrer Meinung nach für das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit?

Fluder: Die Kirche hat in unserer Gesellschaft ein Problem, wenn ihr Homophobie und Diskriminierung von Homosexuellen vorgeworfen wird. Hier bedarf es einer Auseinandersetzung darüber, warum dies so ist. Es gibt zum Thema «Homophobie» die These, dass auf diese Weise eigene homosexuelle Neigungen bekämpft werden. Darüber wird in der Kirche kaum diskutiert. Was ihr bei einem überdurchschnittlich hohen Anteil Homosexueller unter katholischen Priestern aber gut anstehen würde.

Welche Schritte erhoffen Sie sich von der Kirche gegenüber homosexuellen Menschen?

Fluder: Mein maximaler Wunsch wäre, dass die Kirche die Verurteilung der Homosexualität als widernatürliches Verhalten aufhebt. Ich wäre aber schon sehr glücklich, wenn in der kirchlichen Debatte homosexuelle Partnerschaften nicht auf Sexualität reduziert werden.

Das sind Wünsche. Und was erwarten Sie?

Fluder: Realistisch gesehen kann in der katholischen Kirche momentan keine substantielle Veränderung der Haltung gegenüber Homosexuellen erwartet werden.

* Der Theologe Bruno Fluder ist Öffentlichkeitssprecher von Adamim – Verein Schwule Seelsorger Schweiz. Seit vier Jahren arbeitet er bei Comundo/Bethlehem Mission Immensee, seit April 2015 als Leiter Bildung. Vorher war er in verschiedenen Pfarreien als Seelsorger, zeitweise auch als freischaffender Ritualbegleiter und Internet-Seelsorger tätig. (ms)

Weiteres Interview mit Bruno Fluder vom 19.4.2015 auf SRF Kultur

Bruno Fluder, Theologe, Öffentlichkeitssprecher von Adamim – Verein Schwule Seelsorger Schweiz | © 2015 Sylvia Stam
15. April 2015 | 16:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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