Kundgebung für eine Regularisierung der Sans-Papiers
Schweiz

Sans-Papiers-Vertreter fordern Aufenthaltsbewilligungen für Papierlose

Bern, 5.1.16 (kath.ch) «Regularisierung jetzt!» fordert eine Tagung der nationalen Plattform zu den Sans-Papiers am Samstag, 6. Februar, in Bern. Bei den Sans-Papiers herrsche eine ständige Angst vor dem Aufgedeckt- und Ausgeschafftwerden, sagt Bea Schwager von der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich im Gespräch mit kath.ch.

«Wir fordern ein Regularisierungsprogramm, das den anwesenden Sans-Papiers zu einem geregelten Aufenthaltsstatus verhilft», sagt Bea Schwager gegenüber kath.ch. Die Leiterin der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich ist auch Mitglied der nationalen Plattform zu den Sans-Papiers und tritt am Anlass in Bern auf. Aktuell haben die Sans-Papiers «fast keinen Ausweg aus der Irregularität», wie Schwager sagt. Dabei leben und arbeiten viele der vom Bundesamt für Migration geschätzten 90’000 bis 100’000 Betroffenen bereits mehr als zehn Jahre in der Schweiz. Das sei nicht haltbar, findet Schwager.

Unter kollektiver Regularisierung versteht man, dass jeder Sans-Papiers, der einige wenige, klare Kriterien erfüllt, eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung erhält, erklärt die Homepage Sans-Papiers.ch. Das kann etwa die Einreise vor einem bestimmten Stichdatum sein oder ein vorhandener Arbeitsplatz und rückwirkend geleistete Sozialversicherungsleistungen. Im National- und Ständerat wurde die Forderung nach kollektiver Regularisierung schon vorgebracht, bisher erfolglos, wie Schwager sagt. Man habe auf die bestehenden Möglichkeiten von individuellen Härtefall-Lösungen verwiesen. Doch das ist laut Schwager ein Tropfen auf den heissen Stein. Im Kanton Zürich hat es nach ihren Angaben in den letzten zehn Jahren nur rund zwei Dutzend Regularisierungen aufgrund eines ausländerrechtlichen Härtefalls gegeben.

Geringe politische Chancen

Simone Prodolliet, Geschäftsführerin des Sekretariats der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM) schätzt auf Anfrage von kath.ch die politischen Chancen für eine flächendeckende Regulierung als gering ein. Der Bundesrat habe bereits 2013 festgestellt, dass angesichts der ausländerrechtlichen Härtefallregelung kein Handlungsbedarf bestehe, die Rechtsstellung der Sans-Papiers anzupassen, sagt auch der stellvertretende Chef Information und Kommunikation im Staatssekretariat für Migration (SEM), Martin Reichlin.

Nur eine Gruppe hat laut Prodolliet die Möglichkeit einer Regularisierung: Jugendliche aus Sans-Papiers-Familien. Sie können seit Februar 2013 für die Dauer der Berufslehre ein befristetes Aufenthaltsrecht beantragen. Doch davon machen laut Prodolliet nur wenige Gebrauch. Denn für eine Berufslehre braucht es eine behördliche Bewilligung, und dafür muss man seine Daten preisgeben. Die Jugendlichen hätten Angst, dass dabei die irreguläre Situation ihrer Familienangehörigen offengelegt würde, erklärt Prodolliet.

Andere Länder kennen kollektive Regularisierung

Eine kollektive Regularisierung von Sans-Papiers ist in Europa kein unbekanntes Vorgehen. Solche Integrationsmassnahmen finden laut Schwager periodisch in Italien, Spanien, Griechenland, Luxemburg und Frankreich statt.

Das Leben von Sans-Papiers ist laut Schwager von grosser Unsicherheit geprägt. Ein Sans-Papier wisse nicht, ob er oder sie am nächsten Tag noch Arbeit und Wohnung hat oder verliert, sagt Schwager. Er oder sie könne sich weder bei Ausbeutung noch bei Gewaltandrohung wehren. Denn: Wer eine Anzeige erstattet, läuft Gefahr, als Sans-Papiers entdeckt und ausgeschafft zu werden. Auch sonst herrsche ständige Angst vor dem Aufgedeckt- und Ausgeschafft-Werden.

Sans-Papiers in der Schweiz arbeiten meist, ebenfalls ohne Bewilligung. Frauen sind mehrheitlich im Privathaushalt tätig, wie Schwager erklärt. Sie reinigen, betreuen Kinder, unterstützen pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, kümmern sich um den Garten und Haustiere. Im Kanton Zürich beschäftigt laut einer Studie der Konjunkturforschungsstelle Zürich jeder 17. Privathaushalt eine Person ohne geregelten Aufenthalt. Die Studie hat die Sans-Papier-Anlaufstelle Zürich in Auftrag gegeben. Männer ohne Aufenthaltserlaubnis sind hingegen vorwiegend im Bau, in der Landwirtschaft, in der Reinigung, bei Umzugsfirmen oder als Allrounder tätig, so Schwager.

Die Sans-Papiers Anlaufstelle hilft Sans-Papiers in juristischen und sozialen Fragen und bei der Einforderung ihrer Grundrechte, wie Schwager erklärt. Beispielsweise hilft sie betroffenen Familien bei der Einschulung ihrer Kinder, bei Problemen mit dem Arbeitgeber oder der Vermieterin, bei der Heirat vor dem Zivilstandsamt. Und falls möglich, stellt die Anlaufstelle ein Gesuch für eine Aufenthaltsbewilligung beim Migrationsamt.

Auch Kirchen in Plattform für Sans-Papiers engagiert

Die nationale Plattform zu den Sans-Papiers, die den Anlass in Bern organisiert, ist laut eigenen Angaben ein breiter Zusammenschluss von Anlaufstellen aus verschiedenen Kantonen. Mit dabei sind auch lokale und nationale Nonprofit-Organisationen, Kirchen und Hilfswerke, Gewerkschaften, politische Parteien und Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Ihr Ziel ist die Stärkung der Rechte der Sans-Papiers. (rp)

Hinweis: Die Tagung «Regularisierung jetzt!» findet am Samstag, 6. Februar, von 12.30 Uhr bis 18.00 Uhr in der Französischen Kirche Le Cap an der Predigergasse 3 in Bern statt.

Kundgebung für eine Regularisierung der Sans-Papiers | © 2016 Keystone
5. Februar 2016 | 17:18
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Sans-Papiers

Als Sans-Papiers werden Menschen bezeichnet, die sich ohne gültige Aufenthaltspapiere in einem Land aufhalten, so die Definition auf der Homepage der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM). Das bedeute nicht, dass Sans-Papiers über keine Identitätspapiere verfügten, heisst es weiter. «Die meisten Sans-Papiers sind auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen – legal oder illegal – in die Schweiz migriert und gehen einer Erwerbstätigkeit nach», so die EKM.

Zu Sans-Papiers werden Menschen auf unterschiedlichen Wegen, erklärt Bea Schwager: «Die einen verlieren ihren Aufenthaltsstatus, weil ihr Asylgesuch abgelehnt oder ihre bisherige Bewilligung nicht verlängert wird. Andere reisen mit dem Touristenvisum ein, mit dem Ziel, eine Stelle zu finden, was ihnen in ihrem Herkunftsland nicht gelang, und bleiben auch nach Ablauf des Visums.» (rp)