Bischof Vitus Huonder spricht in der Kirche Maria Frieden in Dübendorf.
Schweiz

Sakrale Schätze liegen vor der Haustür – und jetzt auch zwischen Buchdeckeln

Dübendorf (ZH), 13.11.18 In den vergangenen 150 Jahren wurden im Kanton Zürich 117 katholische Kirchen gebaut. Ein neues Buch porträtiert sie nun in Wort und Bild. Am Sonntag präsentierten Autor und Fotograf das Werk in Dübendorf der Öffentlichkeit. Ein von Fernseh-Moderator Norbert Bischofberger geleitetes Podium widmete sich dem Thema «Sakralbau heute und morgen.»

Vera Rüttimann

Am Sonntag um 16 Uhr läuten die Glocken im markanten Kirchturm der Pfarrkirche Maria Frieden in Dübendorf. Bald gibt es im Innern keine freien Plätze mehr. Es kommt nicht oft, dass ein Buch über Kirchen auf so grosse Resonanz stösst. Doch bei «Sakrales Zürich – 150 Jahre katholischer Kirchenbau im Kanton Zürich», das erstmals alle 117 katholischen Kirchen im Kanton in Text und Bild vorstellt, liegen die Dinge anders.

Das zweibändige Werk wurde in Anwesenheit des Bischofs von Chur vorgestellt: Vitus Huonder liess es sich nicht nehmen, persönlich die Bedeutung dieser Arbeit hervorzuheben. In einem Referat erläuterte der Bischof dem interessierten Publikum die Geschichte von den ersten Kirchenbauten im Kanton Zürich bis heute.

Unbekannte Seiten erschliessen

Markus Weber freute sich über den grossen Auflauf zur Buchvernissage. Der katholische Priester, der im Seelsorgeraum Dübendorf-Fällanden-Schwerzenbach tätig ist, ist Autor des Werkes «Sakrales Zürich». Er habe den Eindruck, dass viele Erwachsene wenig wissen über die Geschichte, Architektur und die Kunstwerke der Kirchen im Kanton. «Genau das wollen wir mit diesem Buch ändern», sagte er in seinem Grusswort.

Fünf Jahre lang habe er jede einzelne katholische Kirche im Kanton Zürich aufgesucht und ihre Geschichte recherchiert.

Durchbetete Räume

Nach einem Konzert mit Mario Pinggera an der Orgel fanden sich die Gäste zu einem Podium im Gemeindesaal ein, das von Norbert Bischofberger, Moderator der Sendung «Sternstunden» von Schweizer Radio und Fernsehen SRF, geführt wurde. Er sprach von einem «Schatz, der mit diesem Buch gehoben worden ist und den es nun zu entdecken gilt.»

Gleich zu Beginn fragte der Moderator nach den Lieblingskirchen der Podiumsteilnehmer. Die Antwort fiel nicht leicht. Franziska Driessen-Reding, Präsidentin des Synodalrats der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich, nannte die Kirche in Opfikon: «Es ist gewiss nicht das architektonische Vorzeigeobjekt. Und doch ist es die Kirche, wo ich mich zu Hause fühle.»

Für Josef Annen, Generalvikar für die Kantone Zürich und Glarus, ist es die Kirche St. Peter und Paul in Winterthur. Für ihn ist dies «ein durchbeteter Raum» , in dem er mit der Gemeinde viel erlebt habe.

«Es herrscht eine konzentriert-fokussierte Atmosphäre.»

Stephan Kölliker, Fotograf des Buches «Sakrales Zürich», hat Gefallen gefunden an der Kirche im Zürcher Universitätsspital. Man spüre dort sofort, dass um Leben und Tod gebetet werde. «Es herrscht eine konzentriert-fokussierte Atmosphäre», sagte er. Allerdings, gestand Kölliker, habe er sich bei seiner Recherche in vielen Kirchen nicht sonderlich wohl gefühlt. – Weil er diese dichte Stimmung nicht vorgefunden habe.

Reliquien, Transzendenz, Kunst

Kirchen sind sakrale Orte, in denen Transzendenz, das Göttliche, zu spüren ist. Was aber, fragte der gut gelaunte Moderator seine Gäste, mache denn das Sakrale einer Kirche aus? Josef Annen erinnerte daran, das es im Urchristentum noch gar keine sakralen Räume im heutigen Sinne gab. Die Gläubigen trafen sich in Privathäusern zum Gebet.

«Die Sakralität kam mit der Aufbewahrung der Eucharistie.»

«Die Sakralität kam mit der Aufbewahrung der Eucharistie, die besondere und geweihte Räume benötigte», erläuterte Annen. Auch in den Altar eingelegte Reliquien von Heiligen seien für ihn als Katholik ein wichtiges Element eines sakralen Raumes.

Für den Generalvikar ist auch die Lichtgestaltung in einer Kirche von zentraler Bedeutung. «Es gibt Kirchen, wo ich beim Betreten merke: Es gibt noch etwas über mein irdisches Leben hinaus.»

Subjektives Wohlfühlen ist wichtig

Annen, der das Vorwort für das neue Buch geschrieben hat, nannte als Beispiel die Kirche San Giovanni Battista in Mogno im Tessin, die von Stararchitekt Mario Botta erbaut wurde. Sie gilt unter Fachleuten als eine der gelungensten Sakralbauten der Neuzeit. Josef Annen schilderte: «Beim Betreten der Kirche verschlägt es einem buchstäblich die Sprache. Man spürt, dass sich über einem der Himmel öffnet. Da ist ein Akt der Ewigkeit da.»

Für Mario Pinggera, Kirchenmusiker und Pfarrer in Richterswil-Samstagern, sollte man sich subjektiv wohlfühlen in einer Kirche. Als Musiker sei ihm die Akustik sehr wichtig. «Ein kirchlicher Raum muss gut klingen. Es muss von ihm etwas zurückkommen auf mein Spiel», sagt er .

«Ein kirchlicher Raum muss gut tönen»

Stephan Kölliker findet das Göttliche auch bei einem Spaziergang in der Natur.  In einem besonders gekonnt gestalteten Sakralraum, so der Fotograf, halte aber auch er sich gerne auf. Doch nicht nur die Architektur und die Kunst bringen für ihn einen Raum innerlich zum Klingen, sondern ebenso die Menschen darin. «Wenn jemand eine grosse Ausstrahlung hat, dann fliessen die Energien und füllen den ganzen Raum.»

Zuerst Öffnung, dann wieder Trendwende

Norbert Bischofberger fragte kritisch, durch welche Umstände das Sakrale einer Kirche gestört werden könne. Bestimmt nicht durch religiöse Gemeinschaften anderer Nationen, beteuerte Franziska Driessen-Reding. Sie sagte: «Ich erlebe oft, wie Migranten durch ihre Kultur und Rituale eine Kirche wieder zum Leben bringen können.» Das Katholische erfahre sie in solchen Momenten dann buchstäblich als «weltumspannend».

«Ich erlebe, wie Migranten eine Kirche wieder zum Leben bringen können.»

Laute Musik in der Kirche, die zudem nicht passt? Das fanden alle Podiumsgäste grenzwertig und diskussionswürdig. Josef Annen, der in den 1970er-Jahren erlebt hat, wie die Kirchen St. Urban in Winterthur und Heilig Geist in Zürich zur Zweckentfremdung frei gegeben wurden, berichtete auf dem Podium von einer interessanten Beobachtung: «In den 1990er-Jahren kam die Trendwende. Viele Leute wollten ihre Kirche wieder ausschliesslich als sakrale Räume nutzen.»

Den Schatz der Vorfahren hüten

Markus Weber hofft, dass dieses sorgfältig gestaltete Buch vielen an Architektur und Kirche Interessierten die Augen öffnet für die Geschichte und die sakralen Schätze eines Gotteshauses, die es darin zu besichtigen gibt. Als Buchautor sehe er sich mit diesem Werk auch in einer Verantwortung gegenüber «unseren Vorfahren, die oft völlig verarmt im Kanton Zürich angekommen waren und  mit Liebe und Herzblut unsere katholischen Kirchen aufgebaut haben.»

Hinweis zum Buch: Sakrales Zürich – 150 Jahre katholischer Kirchenbau im Kanton Zürich. Text Markus Weber, Fotos Stephan Kölliker. Informationen und Bestellung: www.sakralbauten.ch


Bischof Vitus Huonder spricht in der Kirche Maria Frieden in Dübendorf. | © Vera Rüttimann
13. November 2018 | 15:17
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