Tariq Ramadan, Islamwissenschaftler
Schweiz

Prozess: Tariq Ramadan vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen

Der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan ist vom Genfer Strafgericht vom Vorwurf der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung freigesprochen worden. Die Anwälte der Klägerin kündigten Berufung an.

Der in Genf geborene Islamwissenschaftler war angeklagt, eine Frau in einer Nacht im Oktober 2008 in einem Genfer Hotelzimmer vergewaltigt zu haben. Weil es laut dem am Mittwoch gefällten Urteil des Genfer Strafgerichts in dem Fall keine materiellen Beweise gibt, wurde Ramadan nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» vom Vorwurf der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung freigesprochen.

Tariq Ramadan, Islamwissenschaftler.
Tariq Ramadan, Islamwissenschaftler.

Die Darstellung der Klägerin sei zum Teil widersprüchlich, Sperma- oder Blutspuren, Videoüberwachungsbilder des Hotels oder Berichte über traumatische Verletzungen fehlten, hielt das Gericht fest. Ausserdem sei es nicht möglich, sich aufgrund der indirekten Zeugenaussagen eine klare Meinung über die Fakten zu bilden.

Die einzigen konkreten Beweise waren laut dem Gericht die zahlreichen Nachrichten, die die Klägerin mit dem Islamwissenschaftler ausgetauscht hat. Obwohl die Frau behaupte, von Ramadan vergewaltigt worden zu sein, habe sie auch nach der angeblichen Tatnacht versucht, den Kontakt mit ihm aufrechtzuerhalten und Liebesworte an ihn gerichtet. Von einer Vergewaltigung sei in diesen Nachrichten nicht die Rede gewesen.

Von Bewunderung erfüllt

Das Genfer Strafgericht kommt zum Schluss, dass die Frau voller Bewunderung für Ramadan war. Sie habe gegenüber dem Islamwissenschaftler eine «verführerische Haltung» eingenommen, während dieser in den Nachrichten, die er an sie richtete, distanziert geblieben sei.

Ramadan hatte in diesem Fall stets seine Unschuld beteuert. Er gab zwar zu, sich mit der Klägerin getroffen zu haben. Gleichzeitig bestritt er jedoch, eine sexuelle Beziehung zu ihr gehabt zu haben. Seiner Meinung nach handelt es sich bei der Klägerin um eine abgewiesene und verletzte Frau, die sich rächen wollte.

Die heute 57-jährige Klägerin, die in ihrer Jugend zum Islam konvertiert war, hatte behauptet, von dem Islamwissenschaftler stundenlang geschlagen, beleidigt und sexuell missbraucht worden zu sein. Eine Nacht, die sie als «Prügelnacht» bezeichnet hatte, um den Horror zu beschreiben, den sie nach eigenen Angaben durchlebt hatte. Die Genfer Staatsanwaltschaft hatte für den Theologen eine Haftstrafe von drei Jahren, davon 18 Monate unbedingt, gefordert.

Vorwürfe auch in Frankreich

Die Anwälte der Klägerin zeigten sich «bestürzt» über den Freispruch und kündigten Berufung an. Die Klägerin verliess den Gerichtssaal, als das Wort «Freispruch» fiel. Sie habe es nicht ertragen, dass das Gericht die Version und die «konstruierten Elemente» von Ramadan übernommen habe, sagte François Zimeray, einer der Anwälte der Klägerin.

Gerichtshammer
Gerichtshammer

Ramadan wollte das Urteil beim Verlassen des Gerichtsgebäudes nicht kommentieren. Seine Anwältin, Yaël Hayat, äusserte die Hoffnung, dass dieses «aufgeklärte» Urteil auch in Frankreich Nachhall finden werde, wo Ramadan ebenfalls der Vergewaltigung beschuldigt wird.

Ramadan muss sich möglicherweise auch in Frankreich vor einem Gericht verantworten. Im Sommer 2022 hatte die Pariser Staatsanwaltschaft einen Prozess gegen ihn wegen des Verdachts der Vergewaltigung von vier Frauen zwischen 2009 und 2016 beantragt.

Der 60-jährige Tariq Ramadan wurde in Genf geboren, seine Vorfahren stammen aus Ägypten. Sein Grossvater war Hassan al-Banna, der Gründer der religiös-konservativen, antiwestlichen Muslimbruderschaft. Ramadan unterrichtete zwischen 1984 und 2004 an mehreren Genfer Schulen und ist seit 2009 Professor an der Oxford University in England. Im November 2017 ist er wegen der Vorwürfe von der traditionsreichen britischen Hochschule beurlaubt worden. (sda/sas)


Tariq Ramadan, Islamwissenschaftler | © Keystone
24. Mai 2023 | 16:34
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