Melanie F. wusste nichts von der Abtreibung.
Schweiz

Prekäre Biopolitik auf Schweizer Boden

Chur, 25.5.16 (kath.ch) Die Missachtung und Verwendung menschlicher Embryone für Zwecke, die nicht ihrer eigenen Entfaltung dienen, ist abzulehnen, sagt Hanspeter Schmitt in einem Kommentar auf kath.ch. Schmitt ist Inhaber des Lehrstuhls für Theologische Ethik an der Theologischen Hochschule Chur. Am 5. Juni wird über das revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) abgestimmt.

Hanspeter Schmitt

Die aktuelle Debatte um die gesetzliche Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) steht unter dem Einfluss einer einseitigen, daher prekären Biopolitik. Sie ist von starken ethischen Mängeln gekennzeichnet, die sich auch in einer Reportage des Tagesanzeigers vom 18. Mai (»Sie will ein Kind aus dem Labor») spiegeln: Mit viel Empathie werden die Interessen einer Frau dargestellt, die sich – verständlicherweise – ein gesundes Kind wünscht und daher für die PID eintritt. Die davon berührten Interessen anderer fallen dabei unter den Tisch.

Ähnlich prekär wirken Äusserungen von Seiten der Reproduktionsmedizin und der Schweizer Politik. So vertrat der zuständige Bundesrat Alain Berset noch vor zwei Jahren vehement die damalige eng umgrenzte Gesetzesvorlage des Bundesrats und warnte vor den im Parlament diskutierten Ausweitungen. Damals wollte der Bundesrat die PID nur für wenige Paare mit schwerer Erbkrankheit erlauben, um ihnen einen Weg zu öffnen, belastete Embryonen vor der Einpflanzung auszulesen.

Am 5. Juni zur Abstimmung steht aber jetzt der Text des Parlamentes: dieser sieht zudem ein Chromosomen-Screening für alle Paare vor, die chronisch an Unfruchtbarkeit leiden. Dass Berset den von ihm einst bekämpften Text heute als moderate Lösung preist, verrät bestenfalls realpolitisches Kalkül. Überzeugungen sehen anders aus.

Natürlich darf man seine Meinung auch in einer biopolitisch so zentralen Frage ändern. Dafür reicht politisches Kalkül als Begründung aber nicht aus, sondern es braucht ethisch tragfähige Gründe. Von den Befürwortern der Abstimmungsvorlage ins Feld geführt wird die medizinische Hilfe, die für besagte Paare möglich wird. Das ist ein veritables Argument, denn es betrifft die Interessen der von Leid Betroffenen und zeugt von der guten Absicht beteiligter Mediziner. Doch ist es – ethisch geurteilt – zu wenig, wenn dabei die Interessen anderer von der Sache gleichfalls Betroffener ausgeblendet werden.

 Anspruch auf kulturellen Schutz

Zu erinnern ist daher an die für eine PID hergestellten Embryonen. Selbst wenn das Bewusstsein dafür schwindet: Es gibt keine philosophisch plausible Begründung, sie nicht als definitiven Beginn menschlichen Lebens zu betrachten. Sie sind also Menschen und haben nach human geltenden Standards Anspruch auf kulturellen Schutz. Ihre Missachtung und Verwendung für Zwecke, die nicht ihrer eigenen Entfaltung dienen, ist daher abzulehnen. Daran rührt das geplante PID-Gesetz, wobei der Anfang auf Verfassungsebene schon gemacht ist: Seit die Grenze von höchstens drei zu züchtenden Embryonen fiel, definiert sich deren Schicksal nicht mehr von ihrer Menschenwürde her. Es hängt jetzt ganz an den Interessen der Paare und am Zwang medizinisch-technischer Vorgaben.

Umso wichtiger ist, gegen die Gesetzesvorlage die Interessen von Embryonen wieder zur Geltung zu bringen – genau wie die der Paare. Ausserdem geht es um die Interessen behinderter Menschen. Nicht durch Zufall laufen ihre Verbände Sturm gegen den stärker werdenden Perfektionsdruck, der sich in der breiten Selektion chromosomal auffälliger Embryonen zeigt. Ihr würden unter anderen alle Menschen mit Down-Syndrom zum Opfer fallen.

Ein biopolitischer Skandal

Dass zur Rechtfertigung die «längst gängige» Abtreibungspraxis ins Feld geführt wird, ist ein biopolitischer Skandal und absurd: Denn zu keinem Zeitpunkt wollte damals der Gesetzgeber den menschlichen Fötus für irrelevant erklären! Er ging ihm darum, einen unvorhergesehenen Konflikt der Schwangeren durch Straffreistellung lösen zu helfen. Etwas völlig anderes ist es, Embryonen – egal in welcher Phase – mit direkter Selektionsabsicht zu untersuchen.

Umgekehrt gilt der Grundsatz: kein Recht kann die Moral restlos widerspiegeln. Gleichwohl muss es auf gute Lösungen setzen, um glaubwürdig zu sein. Es ist ein Vorzug der Biopolitik hierzulande, dass das Volk prekären Initiativen Einhalt gebietet. Die Schweiz darf in Sachen PID nicht vom restriktivsten und zum liberalsten Land mutieren. Deshalb ist es jetzt wichtig, diese Vorlage abzulehnen, um danach eine faire Regelung auf den Weg zu bringen.

Der Kommentar erscheint auch im Bündner Tagblatt.

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Melanie F. wusste nichts von der Abtreibung. | © Georges Scherrer
25. Mai 2016 | 12:41
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