Philosoph warnt vor medikamentöser Selbstoptimierung

Zürich, 27.10.16 (kath.ch) «Bodyhacking, wenn der Mensch zur Maschine wird», lautet die erste Veranstaltung der Serie «Mensch nach Mass», welche die Paulus-Akademie mit Partnern realisiert. Im Kloster Einsiedeln tritt am Donnerstag der deutsche Philosoph Oliver Müller auf. Gegenüber kath.ch lotet Müller ethische Fragen aus und erklärt, wo die Grenze zum Cyborg liegt.

Regula Pfeifer

«Massive technische Eingriffe in den menschlichen Körper können ethisch eher gerechtfertigt sein als weniger massive Eingriffe, insbesondere solche, mit denen sich der Mensch verbessern will», sagt Oliver Müller. Der Philosoph und Privatdozent an der Universität Freiburg im Breisgau setzt sich wissenschaftlich mit biotechnologischen Verbesserungen des Körpers und besonders mit der tiefen Hirnstimulation auseinander.

Im Gespräch mit kath.ch illustriert er seine ethische Einschätzung anhand eines Beispiels. Wenn bei einem Parkinson-Patienten keine Medikamente mehr ansprächen, könne man ihm eine Elektrode in eine bestimmte tiefe Hirnregion einführen und dann Stromstösse auslösen. Die Folge: Das krankheitstypische Zittern und die unkontrollierten Arm- und Beinbewegungen gehen zurück oder verschwinden. Der Eingriff, der im optimalen Fall eine Zurückversetzung in einen früheren Gesundheitszustand ermöglicht, ist laut Müller aus ethischen Gründen gerechtfertigt.

Eine solche Schaltung habe aber auch etwas Unheimliches, gibt Müller zu. Ein Zustand auf Knopfdruck erinnere stark an eine Maschine. Bei Parkinsonpatienten, die nach der Stimulation eine veränderte Persönlichkeit haben – etwa eine Depression oder eine starke Euphorie –, frage sich zudem: Wer ist hier der richtige Mensch: jener bei eingeschalteter oder jener bei abgeschalteter Elektrode?

Optimierung zielt auf verbesserte Arbeitsleistung

Anders beurteilt der Philosoph hingegen die medikamentöse Optimierung, die gesunde Menschen bei sich vornehmen. Das Ritalin oder andere Medikamente, die die Konzentration bei einer Prüfung oder die Aufnahmefähigkeit bei der Arbeit verbessern, sind laut Müller «ethisch problematisch». Denn die medikamentösen Wirkungen würden das Selbstbild «schleichend unterlaufen». Mit dem Erfolg dank Medikamenten entstehe eine «Erfahrungsillusion».

Aber auch für die Gesellschaft insgesamt findet Müller dieses Verhalten problematisch. Die medikamentöse Verbesserung Einzelner erhöhe den Druck auf andere, ebenso zu handeln. Es entstehe ein Gruppenzwang und ein erhöhter Leistungsdruck. Dabei müsse man bedenken, so Müller: «Hier geht es nur um verbesserte Arbeitsleistungen. Und nicht um die Frage, was den Menschen glücklicher machen könnte.»

Ein Herzschrittmacher macht noch keinen Cyborg

Auch zur Frage, wann der Mensch zum Cyborg – also zu einem Mischwesen aus Mensch und Maschine – wird, hat sich der deutsche Philosoph Gedanken gemacht. Ein Herzschrittmacher oder eine Armprothese, welche die natürlichen Vorgänge im Körper ersetzten, machten aus dem Menschen noch keinen Cyborg. «Erst wenn die technischen Hilfsmittel über die normalen körperlichen Funktionen hinausgehen, kann man von Cyborg sprechen», so Müller.

Eine Prothese, die andere Greifbewegungen machen könne als ein gewöhnlicher Arm oder als dritter Arm fungieren könne, wäre demnach eine Form von «Cyborisierung». Die Idee der Cyborisierung kommt laut Müller aus der Weltraumforschung. Die Astronauten im Weltraum sollten dank Psychopharmaka die Zeit im Weltraum gut und lange aushalten können. Und diese Idee findet sich auch in der heutigen Militärforschung – etwa der USA – wieder. Mit Hilfe von Psychopharmaka kann der optimierte Soldat mutiger in den Kampf gehen und weniger unter Kriegstraumata leiden. In Zukunft könnte der mittels Neuroprothese optimierte Soldat auch schneller einen Kampfjet steuern. Diese Stossrichtung hat laut Müller eine politische Dimension.

Hinweis:  Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 27. Oktober, 19.30-21.00 h im Musiksaal des Kloster Einsiedeln in Einsiedeln statt. Neben Oliver Müller tritt auch die Historikerin Ariane Tanner auf. Infos zu weiteren Anlässen

Videodokumentation von Schweizer Fernsehen SRF zum Thema «Menschmaschine», zum Cybathlon-Anlass

Cybathlon-Teilnehmer | © ETH Zürich/A. Della Bella
27. Oktober 2016 | 15:39
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Expertengespräche über «Mensch nach Mass»

«Mensch nach Mass» realisiert Expertengespräche an verschiedenen Veranstaltungsorten in der Schweiz. Das Projekt beruht auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Collegium Helveticum, der Paulus Akademie und der Stiftung Science et Cité. Finanziert wird es vom Agora-Programm des Schweizerischen Nationalfonds, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und der Akademie der Wissenschaften Schweiz. (rp)