Mutter und Kind
Schweiz

Pflegende Eltern und Angehörige sollen entlöhnt werden

Zürich, 11.7.18 (kath.ch) Wer Verwandte und nahestehende Personen pflegt, soll finanziell entschädigt werden. Diesen Vorschlag hat der Bundesrat in die Vernehmlassung geschickt. Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) und der Verband Evangelische Frauen Schweiz (EFS) begrüssen die Vorschläge des Bundes, wünschen aber auch weitergehende Massnahmen.

Der Bundesrat will die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Betreuung von Angehörigen verbessern. Die Arbeit pflegender Angehöriger bezeichnet der Bundesrat als einen wichtigen Teil der Gesundheitsversorgung. Drei Massnahmen, welche den Pflegenden entgegen kommen, hat er Ende Juni in die Vernehmlassung geschickt.

Der Bundesrat schlägt eine gesetzliche Verpflichtung zur Lohnfortzahlung bei kurzen Abwesenheiten vor, wenn jemand verwandte oder nahestehende Personen pflegen muss. Solche «Kurzabsenzen» würden von rund zwei Dritteln der Unternehmen bereits heute gewährt und teilweise auch abgegolten. Die neue Regelung würde laut Bundesrat zu geschätzten Mehrkosten für die Volkswirtschaft von rund 90 bis 150 Millionen Franken führen.

Bis zu 4000 Familien betroffen

Die zweite Massnahme sieht eine Entschädigung für Eltern vor, die ein Kind betreuen, das wegen einer Krankheit oder eines Unfalls gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist. Davon seien jährlich bis zu 4000 Familien betroffen, schreibt der Bundesrat.

Eltern sollten künftig nach Ansicht des Bundesrates einen Betreuungsurlaub von maximal 14 Wochen innerhalb von 18 Monaten nehmen können. Der Lohnausfall würde analog zum Mutterschaftsurlaub oder zum Lohnausfall von Dienstleistenden in Armee oder Zivildienst durch das Erwerbsersatzgesetz versichert. Der Bundesrat spricht von zusätzlichen Kosten in der Höhe von 77 Millionen Franken.

Keine Strafe bei der AHV

Verbessert werden sollen die Betreuungsgutschriften für die AHV. Heute haben pflegende Angehörige Anspruch auf eine Betreuungsgutschrift der AHV um Einkommensausfälle auszugleichen, wenn die pflegebedürftige Person eine Hilflosenentschädigung für «mittlere oder schwere Hilflosigkeit» beanspruche.

Die Betreuungsgutschriften sollen neu bereits bei «leichter Hilflosigkeit» gewährt werden, so der Vorschlag des Bundesrates. Diese Betreuungsgutschriften sollen zudem auf Konkubinatspaare ausgeweitet werden. Diese Massnahme würde zu Mehrkosten für die AHV von einer Million Franken pro Jahr führen.

Personalmangel abfedern

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die verschiedenen Massnahmen nötig seien, damit pflegenden Angehörige im Berufsleben verbleiben und zugleich den Mangel an Fachkräften abfedern können.

Für den Schweizerischen Katholischen Frauenbund gehen die Vorschläge des Bundesrates in die richtige Richtung. Sorge- und Erwerbsarbeit müssten konsequenter in Verbindung gebracht werden, erklärte der SKF auf Anfrage.

Gleichberechtigung auch für Pflegende

Die Betreuung von Angehörigen sei immer noch weiblich. «Darum sind wir als Frauen-Dachverband an diesem Thema dran.» Der SKF werde sich mit dem Thema vertieft auseinandersetzen und seine Antwort auf die Vernehmlassung vorbereiten, die noch bis zum 19. Oktober läuft.

«Wichtigste Arbeit überhaupt»

Nicht einverstanden mit dem Bundesrat ist der SKF, wenn er die Pflege Angehöriger als «wichtigen Teil der Gesundheitsversorgung» bezeichnet. Aus Sicht des SKF müsse die «Sorgearbeit als die wichtigste Arbeit überhaupt» anerkannt werden, erklärte der Frauenbund auf Anfrage.

«Wenn jetzt Eltern ihr krankes oder verunfalltes Kind pflegen, dann erfüllen sie eine wichtige Aufgabe, werden dafür aber bestraft.»

Die in die Vernehmlassung gegebenen Vorschläge bügelten bestehende Ungerechtigkeiten aus: «Wenn jetzt beispielsweise Eltern unbezahlten Urlaub nehmen oder gar ihre Stelle kündigen müssen, um ihr krankes oder verunfalltes Kind zu pflegen, dann erfüllen sie eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, werden dafür aber bestraft.»

«Fehlen am Arbeitsplatz» fällt kaum ins Gewicht

Wenn man die «Fehlzeiten von Arbeitnehmenden» insgesamt ansehe, dann falle die für Care-Arbeit verwendete Zeit «kaum ins Gewicht». Für die Betroffenen aber gehe es ans Lebendige. In diesem Bereich seien die Vorschläge des Bundesrats eine wirkliche Entlastung.

Auch die «Evangelischen Frauen Schweiz» begrüssen die Vorschläge des Bundesrates, erklärte die EFS-Präsidentin Dorothea Forster auf Anfrage. Oft falle die Betreuung pflegebedürftige Angehörige in die letzte berufliche Phase, «die für die Höhe der Renten zentral ist».

«Minime» Abfederung bei der AHV

Eine «minime» Abfederung bei der AHV-Berechnung sei nötig. Forster weist darauf hin, dass Frauen heute im Alter massiv tiefere Renten als Männer hätten. Die EFS begrüssen es weiter, dass der Lohn nicht nur bei der Pflege von Kindern, sondern auch bei der Pflege von anderen Angehörigen bei kurzen Abwesenheiten garantiert werden soll. Die EFS finden es auch richtig, dass ein Betreuungsurlaub für schwer kranke oder verunfallte Kinder eingerichtet werde.

Finanzielle Ausfälle wegen Angehörigenpflege müssen auch bei der Pensionskasse verringert werden.

Wer Care-Arbeit leiste und Angehörige pflege, befinde sich immer in einer sehr belastenden Situation. Man mache sich Sorgen um die pflegebedürftigen Angehörigen und finde gleichzeitig kaum Zeit, um sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Deshalb finden es die EFS unerlässlich, dass Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten, wenigstens «minim finanziell» abgesichert würden, wie das die Vorlage vorsehe, so Dorothea Forster.

«Zweite Säule» nicht vergessen

Die EFS wünschen sich aber, dass die finanziellen Absicherungen weiter gehen. So möchten die EFS beispielsweise, dass die Pflege von Angehörigen auch in der zweiten Säule berücksichtigt werde, so dass auch bei den Pensionskassengeldern die Ausfälle wegen Angehörigenpflege verringert werden könnten.

Weiter fordern die EFS, dass die Kompetenzen, die man sich bei der Angehörigenpflege erarbeite, auf dem Arbeitsmarkt anerkannt werden. Zudem brauche es mehr Hilfs- und Entlastungsangebote für Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisteten und eine gerechtere Verteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern.

Kosten präziser erfassen

Angehörigenpflege werde heute gratis geleistet. Wenn diese Arbeit nicht mehr unbezahlt erfolge, werde die Gesellschaft «riesige Summen aufwenden müssen». Angesichts dieser Summen finden die EFS die Kosten, die in der Vorlage genannt werden, tief.

KMUs müssen Mitarbeitende bei einem schweren Schicksalsschlag unterstützen können.

Die Finanzierung der Kurzabsenzen werde heute bereits zu rund zwei Dritteln von den Unternehmen abgegolten, wie der Bundesrat schreibt. Die EFS finden es richtig, dass neu gleiche Pflichten und damit auch gleich lange Spiesse für alle Unternehmen gelten sollen.

Die Lösung über die Erwerbsersatzordnung für den Betreuungsurlaub sei sinnvoll, weil sie es gerade auch KMUs erlaubt, ihre Mitarbeitenden bei einem schweren Schicksalsschlag zu unterstützen. Die Mehrkosten in der AHV müssten bei der anstehenden Altersreform diskutiert werden. (gs)

Mutter und Kind | © pixabay.com
11. Juli 2018 | 13:10
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Care-Arbeit aktuell

Sowohl beim Frauenbund wie bei den Evangelischen Frauen ist das Thema Care-Arbeit von Aktualität.

Care ist ein riesiges Thema, erklärte der SKF gegenüber kath.ch. Der Frauenbund will die freiwillige Sorge-Arbeit der rund 650 Frauenvereine und Frauengemeinschaften sichtbar machen. Dazu gehören Krabbelgruppen, Besuchsdienste, Witwentreffen, Senioren-Jassnachmittage und anderes. In diesen Bereichen werde «enorm viel geleistet». Der SKF feiert darum am 8. und 9. März 2019 die «Aktion Care-Tage» mit dezentralen Aktionen in der ganzen Deutschschweiz.

Die EFS haben an ihrer diesjährigen Delegiertenversammlung eine Resolution zum Thema Pflege von Angehörigen verabschiedet.  Zudem organisieren sie am 14. September einen Weiterbildungstag zum Thema Absicherung von Care-Arbeit.

Ausserdem fordern die EFS bessere Bedingungen für die bezahlte Care-Arbeit. Deshalb sind sie auch Mitglied im Unterstützungskomitee der Pflegeinitiative, die unabhängig von der aktuellen Vernehmlassung läuft. (gs)