Pfingsten: Wer hat Angst vor dem Heiligen Geist?

Luzern/Zürich, 15.5.16 (kath.ch) Der Heilige Geist fristet in der Kirche ein Mauerblümchendasein. Gross ist die Ratlosigkeit und klein die Fantasie, wie das dramatische Pfingstfest gefeiert werden könnte. Am Zürichsee und in Luzern will man das ändern.

Remo Wiegand

Und dann «entstand auf einmal vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, (…) und es erscheinen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten, und auf jeden von ihnen liess sich eine nieder.» Während den Aposteln Pfingsten widerfährt, sind die Zaungäste «fassungslos», sie staunen ob den wilden Reden, verstehen sie aber trotz Sprachunterschieden, andere spotten: «Die sind vom süssen Wein betrunken.» Es ist was los an jenem Tag in Jerusalem, der am Anfang der Apostelgeschichte in der Bibel beschrieben ist.

Geistvergessene Westkirche

2000 Jahre nach Pfingsten ist in den Kirchen vom ursprünglichen Delirium wenig zu spüren. Pfingsten, das drittbedeutendste Fest der Christenheit, wird kaum besonders gewürdigt. Während Ostern und Weihnachten mit populären Vorbereitungszeiten und liturgischen Spezialeffekten aufwartet, bietet Pfingsten nichts davon. Meist findet eine normale Sonntagsmesse statt, in den reformierten Gemeinden gibt es auch mal Abendmahl, doch selbst Pfingstkirchen machen kein sonderliches Tamtam an ihrem Namenstag.

«Der Geist steht für eine Beunruhigung»

Woran liegt das? «Die Westkirche zeichnet sich quer durch alle Konfessionen durch eine Geistvergessenheit aus», erklärt Birgit Jeggle-Merz, Professorin für Liturgiewissenschaft in Luzern und Chur. Die Theologie habe sich in unseren Breitenkreisen stets an Gottvater und Jesus Christus gehalten, dazu Dogmen und Riten hervorgebracht, mit dem Heiligen Geist hingegen war sie überfordert. «Der Geist steht für eine Beunruhigung, für Aufbrüche fern von Gewissheiten. Diese latente Unsicherheit hat man in der Kirche immer gerne gebändigt», so Jeggle-Merz. Papst Franziskus beklagte die kirchliche Geistvergessenheit vor zwei Jahren noch deutlicher: Der Heilige Geist sei uns «eine Belästigung», er dränge «zum Wandel, und wir sind bequem».

Zurückhaltende Schweizer

Ansatzweise gibt es neue pfingstliche Gehversuche. So erleben charismatische Bewegungen wie Taizé oder der Chemin Neuf, die das Gefühl und den Heiligen Geist betonen, einen Aufschwung. Gerade hierzulande hätten sie es indes eher schwer, beobachtet Jeggle-Merz: «Das hat wohl etwas mit der Schweizer Seele und dem eher zurückhaltenden Temperament zu tun.» Und doch bemühen sich vermehrt heimische Kirchenleute, der pfingstvergessenen Schweizer Trägheit entgegenzuwirken, gerade auch in den Landeskirchen. Zwei Beispiele:

Die reformierten Kirchen des linken Zürichseeufers begehen das Kirchenfestival «Pfingsten 16 – Himmlische Festtage». Der Grossanlass startet am Freitag mit dem Zürcher Regierungspräsidenten Mario Fehr («Was suche ich als Politiker in der Kirche?») und endet am Sonntag mit einem Ballett zu kirchlicher Orgelmusik. Dazwischen: «Wilde Predigten», Ausstellungen, Konzerte (unter anderem mit Andrew Bond), eine Singwanderung – oder die experimentelle Pfingstnacht «Saus und Braus» in der Kirche Thalwil: «Wir wollen den biblischen Text auf ganz verschiedene Arten erlebbar machen», schaut Pfarrer Arend Hoyer darauf voraus. Zu jeder vollen Stunde ertönen Orgelklänge, dazwischen kann getanzt, gesungen, in Zungen geredet oder an der Bar geplaudert werden. «Alles in völliger Freiheit, aber innerhalb einer klaren Struktur», so Hoyer, der zu «Saus und Braus» 50 bis 100 experimentierfreudige Menschen erwartet, die «Kirche sonst nicht so wahrnehmen». Insgesamt dürften die «Himmlischen Festtage» über 2000 Personen in den Bezirk Horgen locken. Neben der Aussenwirkung soll «Pfingsten 16» auch nach innen wirken und die vereinzelten Kirchgemeinden zu vermehrtem Zusammenspiel animieren.

In der Johanneskirche Luzern finden zum dritten Mal die «Pfingstklänge» statt: An zwei Tagen ertönen in der Kirche vier Konzerte, von der modernen Messe «Missa Mai» am Sonntagmorgen bis zu Vera Kaa am Samstagabend, die mit der Jodlerin Karin Streule eine «Bluesstubete» einstudiert hat. «Die Pfingstklänge in der sakralen Atmosphäre werden die Menschen begeistern und beflügeln», hofft Mitveranstalterin Ingrid Bruderhofer. «In den unterschiedlichen Stilen, Stimmen und Instrumenten wird etwas von den vielen Sprachen erfahrbar, die sich zu einem Ganzen vereinen, die von allen verstanden werden und die Herzen berühren.» Bruderhofer hofft auf eine volle Johanneskirche mit rund 400 Besuchern.

Musik passt zu Pfinsten

Bei diesen und weiteren aussergewöhnlichen Pfingstfeierlichkeiten (siehe Agenda) spielt Musik eine zentrale Rolle. Das passe gut zum Heiligen Geist, der Menschen bewegen möchte, so Birgit Jeggle-Merz: «Musik ist die Transzendenzchiffre schlechthin. Sie vermittelt Sinnlichkeit und bringt Körper und Geist in eine andere Schwingung», so die Liturgiewissenschaftlerin lautmalerisch. Sie kann sich in der Kirche fast alle Musikstile vorstellen, zu Pfingsten insbesondere ekstatische, rhythmische (Schlagzeug-)Klänge, die über die eher kirchlich-korrekten Interpreten in Luzern und am Zürichseeufer hinausgingen.

«Musik bringt Körper und Geist in eine andere Schwingung»

Zugleich erinnert Jeggle-Merz künftige Freunde gepflegter Pfingstfeste auch an das Reservoir der liturgischen Tradition: So empfiehlt sie eine durchgewachte Nacht wie in Thalwil zur Nachahmung, weil auch die klassische Liturgie die Pfingstvigil kenne, eine gemeinsame Nacht der Vorbereitung und Einstimmung (wie beim Osterfest), die dann im Pfingstgottesdienst am Sonntagmorgen ihren Höhepunkt fände. Dort gelte es, im Zusammenspiel mit der Musik die Texte dramaturgisch erlebbar zu machen. «Darauf sollten Seelsorger noch ein höheres Augenmerk legen», appelliert Jeggle-Merz.

Noch viel Potential vorhanden

So oder so: Pfingsten birgt noch viel unausgeschöpftes Potential für eine Kirche, die an chronischem Mitgliederschwund leidet. Experimentier- und traditionsfreudige Tüftler sind gesucht, wie heuer in Thalwil oder Luzern. Vielleicht vermögen sie gar das biblische Happy End aus der Apostelgeschichte zu wiederholen: «Als sie dies hörten, traf es sie mitten ins Herz», heisst es nach Petrus› Rede vor der Menge. Und: «An jenem Tag wurden ungefähr dreitausend Menschen der Gemeinde zugeführt.» (rw)

Pfingstklänge Luzern | zVg
13. Mai 2016 | 16:53
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!