Xavier Arbex. Priester in Puerto Maldonado
Schweiz

Papst besucht in Peru einen Schweizer Priester und dessen «kleinen Prinzen»

Puerto Maldonado, 14.1.18 (kath.ch) In Peru begegnet Papst Franziskus in der anstehenden Woche dem Befreiungstheologen Xavier Arbex de Morsier. Der 75 Jahre alte Genfer Priester hat in Puerto Maldonado, im Herzen des peruanischen Amazonas, das Kinder- und Jugendheim «El Principito» (Der kleine Prinz) gegründet. Der Priester blickt mit gemischten Gefühlen dem Besuch des Papstes am 19. Januar entgegen.

Jean-Claude Gerez

Was erwarten die Menschen  in Puerto Maldonado vom Papstbesuch?

Xavier Arbex: Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung wirklich will, dass der Papst kommt. Das wird nicht laut gesagt, aber es fühlt sich so an. Die Menschen gehen davon aus, dass der Papst den illegalen Bergbau und die unerlaubte Abholzung der Wälder verurteilen und auch auf die sozialen und ökologischen Folgen hinweisen wird.

        

Sie befürchten, dass der Staat nach dem Papstbesuch einen Vorwand haben wird, um die Armee zu schicken und Razzien durchzuführen, was dazu führen kann, dass sie ihre Arbeit verlieren .

Handelt es sich um eine weit verbreitete Angst?

Arbex: Es ist schwer abzuschätzen, wie viele Menschen hier vom illegalen oder unkontrollierten Bergbau leben. Denn viele andere Arbeitsplätze hängen von diesen Aktivitäten ab. Und die Menschen haben Angst davor, von heute auf morgen arbeitslos zu werden. Es ist wichtig zu wissen, dass jedes Jahr Dutzende Tonnen Gold diese Region verlassen!

Sie sollen sich hier wie in einer Familie fühlen.

Mich interessiert, ob der Papst sich für die einheimischen Völker und gegen die Zerstörung der Umwelt einsetzen wird. Sein Besuch und die Amazonas-Synode, die für Oktober 2019 angesagt ist, bedeuten sehr viel für das Amazonas-Gebiet und sind ein Grund zur Hoffnung für die Kirche.

Wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren, dass der Papst Ihr Haus «El Principito» besucht?

Arbex: Als Bischof David Martínez de Aguirre Guinea, der Bischof des Apostolischen Vikariats von Puerto Maldonado, mich anrief und sagte, dass der Papst das Heim besuchen wolle, hätte ich ihm als guter Genfer antworten können: «Gut, er soll kommen!» Ich liebe Papst Franziskus sehr. Seine Wahl war einer der glücklichsten Momente meines Lebens. Wir werden ihn darum mit grosser Freude bei uns willkommen heissen.

Die Evangelisierung war also Teil der Geschichte der Armen. Es handelte sich um die Theologie der Befreiung.

Sein Besuch bedeutet zuerst einmal viel Arbeit! Die Medien, die peruanischen Staatsdienste, die Sicherheitskräfte, der Vatikan – seit mehr als vier Monaten hört es nicht auf! Ich musste die Rede, die ich halten werde, nach Rom schicken. Andererseits habe ich den Bischof gebeten, neben mir zu stehen, wenn ich sprechen werde, weil ich glaube, dass ich dann sehr bewegt bin und die Rede nicht bis zu ihrem Ende halten kann!

Wie funktioniert Ihr Heim?

Arbex: Wir nehmen zwischen 20 und 40 Kinder und Jugendliche auf. Sie sind zwischen drei und 25 Jahre alt. Sie sollen sich hier wie in einer Familie fühlen. Sie wohnen in ihrem eigenen Haus. Sie gehen zur Schule oder an die Universität, und hier sind sie zu Hause. Wir stellen sie nicht auf die Strasse, wenn sie 18 Jahre alt sind. Einige sind ein paar Monate hier, andere während ihrer ganzen Jugend. Insgesamt haben bisher mehr als 250 Kinder und Jugendliche in El Principito gelebt. Sechzig sind uns treu geblieben. Das heisst, sie lassen regelmässig von sich hören oder kommen vorbei.

Die Zulassungskriterien werden immer komplizierter, denn das Gesetz hat sich seit zwei Jahren geändert und will die Platzierung in Familien fördern. Allerdings bedeutet die Eingliederung in einer Familie nicht, dass es dem Kind dann auch gut geht. Meist wird das Kind als billige Arbeitskraft eingesetzt oder gilt dann als eine Altersversicherung für die Gastfamilie. Früher kamen Kinder nach Gerichtsentscheiden zu uns. Nun sind es die Eltern selbst, die zum Notar gehen und die uns die Vormundschaft übertragen. Heute stellen Risikosituationen oder extreme Armut den grössten Teil der Fälle dar.

Ich fühlte mich alleine und entmutigt.

Wer unterstützt Sie bei Ihrer Arbeit?

Arbex: Wir haben zwei Direktorinnen, drei Betreuungspersonen, eine Köchin und eine Person, die verschiedene Arbeiten erledigt. Die älteren Jugendlichen, die studieren, müssen sich etwas Zeit nehmen, um der jüngeren bei den Hausaufgaben zu helfen.

Das Budget beläuft sich auf rund 600’000 Soles (180’000 Franken) pro Jahr. Das ist im Vergleich zu anderen Einrichtungen der gleichen Art ziemlich viel. Das ist der Preis, den wir für unsere hohen Anforderungen zahlen müssen. Darin inbegriffen ist die Finanzierung von Stipendien für Studenten. Wir finanzieren uns zum Teil durch Einkünfte unserer drei Unternehmen: eine ökotouristische Lodge, eine Konditorei mit Gelateria im Zentrum der Stadt und eine Papeterie.

Nun etwas Persönliches: Sie sind seit 50 Jahren Priester, wie kam diese Berufung zum Priestertum zustande?

Arbex: Meine Mutter stammte aus einer der ältesten calvinistischen Familien in Genf. Dann konvertierte sie zum Katholizismus. Mein Vater war Lehrer an der Dolmetscherschule. Ich hatte keinen speziellen Religionsunterricht, war aber begeisterter Pfadfinder. Damals gab es in meiner Pfarrei zwei Priester, die wunderbar waren. Ich mochte sie. Also habe ich versucht, sie nachzuahmen. Im Juni 1968 wurde ich zum Priester geweiht.

Sie arbeiteten 90 Tage und mussten hundert 100 Schubkarren Erde pro Tag liefern.

Zum Zeitpunkt meines Studiums war ich ziemlich traditionalistisch. Dann habe ich mich um Jugendliche gekümmert, die Drogenprobleme hatten. In Genf arbeitete ich in einer Pfarrei in einem Arbeiterviertel. Weil ich Spanisch sprach, stand ich in Kontakt mit ausgebeuteten spanischen Arbeitern. Mir wurde klar, dass ich den Blickwinkel wechseln musste. Dass ich die Welt aus der Perspektive der Armen anschauen muss. Dies veranlasste mich dazu, eine Vision der Kirche zu haben, die heute auch von Papst Franziskus vertreten wird.

Wie kamen Sie nach Peru?

Arbex: Als Jugendlicher sagte ich mir, dass ich mit dreissig Jahren – aber nicht früher – «in die Dritte Welt» gehen würde, wie man damals zu sagen pflegte. Eines Tages kam der Bischof von Creuse in Frankreich, Louis Dalle, in meine Pfarrei und erklärte, dass im Hochland der Anden die Evangelisierung von der Kultur und den Menschen ausginge, um sie durch das Evangelium zu erleuchten.

Die Evangelisierung war also Teil der Geschichte der Armen. Es handelte sich um die Theologie der Befreiung. 1973 waren alle Bischöfe der südlichen Andenregion in dieser Bewegung. Ich fing Feuer und sagte mir: Ich will vor Ort überprüfen, ob es wahr ist. Ich bin im selben Jahr gegangen.

Die erste Erinnerung an Peru….

Arbex: Ich bin zur Zeit von Präsident Juan Velasco Alvarado ins Land gekommen. Er war nationalistisch und ausländerfeindlich. Auffällig war, dass es keine Importe ausländischer Produkte gab. Kurz zuvor hatte es ein grosses Erdbeben gegeben. Ich schlief in einem Zimmer, das kaputt war. Da es im Gefängnis in Lima keinen Kaplan gab, bot ich an hinzugehen. Aber ich wusste nicht, wie schrecklich es war! Ich blieb nur drei Monate dort.

Die Altiplano-Hochebene in den Anden | © Claudia Huldi / pixelio.de

Dann ging es nach Altiplano, eine Hochebene in den Anden auf 4300 Meter Höhe. Ich fühlte mich alleine und entmutigt. Ich litt an der Kälte. Mir fehlte die Vorbereitung auf das Verständnis der lokalen Kultur, denn ich verstand die Sprache der Einheimischen, Quechua, nicht. Der Bischof, der mich dahin beordert hatte, hatte mir gesagt: «Du bist auf dich allein gestellt.» Ich fing an, in die abgelegensten, höchstgelegenen und kältesten Gemeinden zu reiten.

Ich wurde gut aufgenommen, weil es dort eine Vermischung verschiedener Religionen gibt. Meine Präsenz war oft Anlass für Feiern zu Ehren von Heiligen, die aber in Wirklichkeit zu Ehren der Göttin Pacha Mama begangen wurden. Als Vertreter der Kirche fühlte ich mich ein wenig frustriert. Denn ich war an einem Ort voller Spiritualität, der aber auch weit entfernt war vom Evangelium.

Dieses Gefühl empfinde ich auch heute noch. Hier sind Prozessionen oft wichtiger als das Evangelium. Aber eben, was zählt, ist, dass die Menschen Glauben und Hoffnung haben und sich ethisch entsprechend verhalten. Ob ihr Glaube auf Vernunft oder Phantasie beruht – eigentlich sind dies nur zwei verschiedene Wege.

Dann folgte der Amazonaswald…

Der Amazonas-Wald | © pixabay katy_1989 CC0

Auf dem Hochland war es üblich, dass 12- oder 13-jährige Kinder in den Amazonaswald gingen, um in Minen zu arbeiten, wo sie aber ausgebeutet wurden. Sie arbeiteten 90 Tage und mussten hundert 100 Schubkarren Erde pro Tag liefern. Damit verdienten sie kaum genug, um ihre Schulkosten zu decken. Viele kamen nicht zurück und sind verschwunden.

Diese Situation veranlasste mich, nach Mazuko im peruanischen Amazonasgebiet zu gehen. Dort ist es feucht und heiss. Niemand will hin. Aber ich mag es! Ich bin sehr schnell auf die Bergleute zugegangen. Ich habe dort Gottesdienste gefeiert und die Gelegenheit genutzt, um ihnen zu sagen, dass das, was sie mit den Kindern taten, falsch war. Ich habe auch ein Heim geschaffen, um die Jugendlichen vor den Goldgräbern zu schützen. Das Haus  ist zu einem Zufluchtsort für junge Mädchen geworden, die aus der Prostitution aussteigen wollen.

Der nächste Schritt war Puerto Maldonado, wo Sie auch heute noch leben…

Xavier Arbex. Priester in Puerto Maldonado | © Jean-Claude Gerez

Arbex: Rückenschmerzen zwangen mich dazu. Das jahrelange Reisen zu Pferd oder im Jeep zeigte Folgen. In Puerto Maldonado kaufte ich mit dem Erbe meiner Eltern ein Stück Land. Zu dieser Zeit wurde in Peru die «Municipal Defense of Children and Adolescents» (Demuna) (Städtische Verteidigung von Kindern und Jugendlichen) ins Leben gerufen. In Puerto Maldonado hatte diese Struktur nicht die idealen Voraussetzungen, um zu funktionieren. Ich wollte helfen. Mit einigen Freunden gründete ich 1996 den Verein für Kinder- und Jugendschutz (Apronia).

Ab dem Jahr 2000 begann ich auch, auf die Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt hinzuweisen. Ich wurde aber nicht gehört. Alle waren schockiert von der Situation, die ich beschrieb. Aber niemand handelte. Ich war sehr frustriert, denn ich sah, dass es der Natur immer schlechter ging.


Weiterbildung in Peru

Aus der Schweiz wirken noch andere Leute in Peru. Sechs junge Frauen aus Bad Ragaz, Horw, Luzern, Speicher und Zürich machen sich demnächst auf die Reise nach Bolivien, Peru und Sambia. In den Einsatzländern der Organisation für personelle Entwicklungszusammenarbeit Comundo werden sie für drei Monate in einem Projekt der Personellen Entwicklungszusammenarbeit mitwirken. Die Studentin Lisa Bochsler aus Zürich wird im Projekt des Agraringenieurs Wuéster Mercado in Peru mitwirken. «Ich freue mich darauf, mit Kleinbauern in den Anden in Kontakt zu kommen und zu erfahren, wie sie die Welt sehen.» Die junge Frau studierte Agrarwissenschaften und will nun in Peru Anbauformen.

Sabine Hunger, Leiterin der Hoplaa-Praktika bei Comundo, erklärte gegenüber kath.ch, diese Entsendungen hätten zum Ziel, zum Nachdenken über globale Zusammenhänge und die konkreten Auswirkungen der Globalisierung anzuregen und die Teilnehmenden für verantwortungsvolles Denken und Handeln zu sensibilisieren. (cath.ch/Übersetzung: gs)

 

 

 

 

Xavier Arbex. Priester in Puerto Maldonado | © Jean-Claude Gerez
14. Januar 2018 | 14:31
Lesezeit: ca. 7 Min.
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Papst reist nach Chile und Peru

Der Papst bricht am Montag zu einer Reise nach Chile und Peru auf. Inhaltliche Schwerpunkte des einwöchigen Besuchs sind die Rechte der indigenen Minderheiten und die Umweltzerstörung vor allem im Amazonasgebiet. In Chile will Franziskus zudem mit Opfern des Pinochet-Regimes sprechen. Es ist die 22. Auslandsreise von Franziskus und sein vierter Besuch in Südamerika.

Zum Abschluss des Aufenthalts in Chile ist eine Messe in der Küstenstadt Iquique am Rand der Atacama-Wüste geplant. Während des anschliessenden Besuchs in Peru will der Papst in Puerto Maldonado mit Vertretern der Amazonas-Völker zusammenkommen. Das für Freitag vorgesehene Treffen wird als Auftakt einer Amazonien-Synode gesehen, die Franziskus für 2019 in den Vatikan einberufen will. Nach Treffen mit Ordensfrauen und den peruanischen Bischöfen in Lima sowie einer Messe fliegt er am folgenden Sonntag nach Rom zurück. (cic)