Anne Burgmer, ab 2016 Seelsorgerin im Tabubereich in Basel
Schweiz

Neue Basler Seelsorgerin für Sexgewerbe: «Bin nicht da, um zu verurteilen»

Basel, 19.11.15 (kath.ch) Die künftige katholische Seelsorgerin im Tabubereich in Basel und Umgebung heisst Anne Burgmer. Sie wird von ihrem Büro mitten im Rotlichtmilieu aus Sexarbeiterinnen seelsorgerlich und spirituell begleiten. Die Basler Fachstelle katholisch bl.bs hat die katholische Theologin, die auch als Redaktorin beim Aargauer Pfarrblatt Horizonte arbeitet, an einer Medienkonferenz vorgestellt. Das Projekt «Seelsorge im Tabubereich» ist befristet auf drei Jahre.

Regula Pfeifer

Sie setze sich gern für Menschen ein, die sich in einem gesellschaftlichen Tabubereich bewegten und könne gut zuhören, sagte Burgmer (38) im Interview mit kath.ch. An der Medienkonferenz erwähnte die katholische Theologin, dass sie während ihres Studiums in Bonn bereits mit Randständigen gearbeitet hatte. Die in Mönchengladbach geborene Theologin wohnt seit 2005 in der Schweiz und arbeitet zu 50 Prozent als Redaktorin des Aargauer Pfarrblatts Horizonte, eine Aufgabe, die sie weiterhin wahrnehmen wird.

Burgmers Vision für ihre Tätigkeit im Sexgewerbe ist es, für die Frauen da zu sein in ihren Nöten, ihnen zuzuhören und – falls erwünscht – mit ihnen zu beten oder sie zu segnen. Zudem plant sie, eine wöchentliche fixe Gesprächsstunde anzubieten. Es gehe ihr bei dieser Arbeit nicht ums Rotlichtmilieu an sich, sondern um jede einzelne Frau und um ihre Bedürfnisse, betonte Burgmer.

Die in Basel tätigen Prostituierten sind vielfach Frauen aus Südamerika, den Philippinen und aus Ungarn, aus Ländern also, in denen «die Kirche einen höheren Stellenwert» habe als hier, wie Christian Griss, Kirchenratspräsident der römisch-katholischen Kirche Baselstadt, erklärte. «Ich kann mir vorstellen, dass sich einige von ihnen wegen ihrer Tätigkeit in Konflikt mit sich selber sind», sagte Burgmer mit Hinweis auf den religiösen Hintergrund der Prostituierten. «Ich bin da, um ihnen zu helfen, diesen Ballast loszuwerden.»

Ausstieg nicht als Ziel

Auf die Frage, ob sie als Vertreterin der katholischen Kirche auf einen Ausstieg aus dem Sexgewerbe hinarbeiten werde, sagte Burgmer: «Das werde ich nicht tun». Sie könne sich zwar vorstellen, dass es solche Erwartungen gebe, doch, so die Theologin: «Ich bin nicht da zum Urteilen, schon gar nicht zum Verurteilen.»

Das Projekt «Seelsorge im Tabubereich» ist laut Mitteilung der Fachstelle katholisch bl.bs im Sommer 2014 von den Synoden der römisch-katholischen Kirchen Baselland und Basel-Stadt «mit überwältigender Zustimmung» beschlossen worden und wird von den beiden Trägerschaften finanziert. Nach der Aufhebung der Aidsseelsorge vor drei Jahren hätten sie sich nach einer neuen Tätigkeit im tabuisierten Bereich umgesehen und seien dabei rasch auf die Sexarbeit gekommen, erklärte Griss als Vertreter der Landeskirchen.

Die frühere Aidsseelsorge, die ökumenisch getragen war, wurde aufgegeben, weil sich die Situation der HIV-Betroffenen Menschen damals stark verbessert hatte und die Kirchen keinen Bedarf mehr sahen, wie Griss ausführte. Ein Engagement im Sexgewerbe sei hingegen notwendig, erklärte er mit Blick auf die zahlenmässige Zunahme an Sexworkerinnen in Basel. Ihre Zahl hatte sich laut der Fachstelle katholisch bl.bs in den Jahren 2008 bis 2012 auf rund 3200 verdoppelt.

Seelsorge mit bischöflicher Missio

Auch die Kirchenleitung begrüsst das Projekt, wie Christoph Sterkman, Bischofsvikar des Bistums Basel, an der Konferenz erklärte. Das Bistum Basel habe die Diakonie als einen Schwerpunkt definiert, und Bischof Felix Gmür lasse sich mit den Worten zitieren: «Ich wünsche eine Kirche, die rausgeht zu den Menschen. Unsere Aufgabe ist es, auch zu denjenigen zu gehen, die keine Lobby haben. Deshalb gibt es die Seelsorge im Tabubereich.» Bischof Gmür werde der Stelleninhaberin für ihre Aufgabe die Missio erteilen, so Sterkman.

Sowohl die Fachstelle katholisch bl.bs wie auch das Bistum Basel begründen das neue Engagement der Kirche im Sexualbereich unter anderem mit der Aufforderung von Papst Franziskus, an die gesellschaftlichen Ränder zu gehen und dabei auch etwas zu wagen.

Mitten im Rotlichtmilieu

Burgmers Büro wird für den Start im Januar mitten im Rotlichtmilieu eingerichtet – und zwar im Haus der Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe Aliena, die vom Verein Compagna Basel-Stadt (ehemals Freundinnen junger Mädchen) getragenen wird. Das sei für beide Seiten eine Win-Win-Situation, zeigte sich Sarah Biotti, die künftige Vorgesetzte Burgmers und Verantwortliche für Diakonie bei der Fachstelle katholisch bl.bs überzeugt. Biotti hat das Konzept für das Projekt «Seelsorge im Tabubereich» gemeinsam mit Thierry Moosbrugger, dem Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit der römisch-katholischen Kirchen Basel-Stadt und Baselland, entwickelt.

Beim aktuellen Seelsorge-Projekt im Tabubereich ist die reformierte Kirche – im Unterschied zum früheren Aidsprojekt – nicht mit dabei. Als Grund dafür nannte Christian Griss das finanzielle Engagement der Reformierten zugunsten der Beratungsstelle Aliena. (rp)

Anne Burgmer, ab 2016 Seelsorgerin im Tabubereich in Basel | © 2015 Hans Merrouche
19. November 2015 | 18:08
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!