Nahost-Experte Arnold Hottinger referierte am 18. Mai 2015  im Gersag-Zenter Emmenbrücke LU über die IS
Schweiz

Nahost-Spezialist Hottinger: Die IS besteht aus manipulierenden «Religions-Unternehmern»

Emmenbrücke LU, 19.5.15 (kath.ch) Die Mitglieder des «Islamischen Staates/IS» geben sich zwar besonders fromm. Doch sie missverstehen den Koran, auf den sie sich berufen. Der Nahost-Kenner Arnold Hottinger betonte dies am 18. Mai in seinem Vortrag im Gersag-Zenter Emmenbrücke LU. Er unterstrich, der IS umfasse bloss einige Hunderttausend Kämpfer und bilde damit eine verschwindend kleine Minderheit unter den 1,6 Milliarden Muslimen.

Walter Ludin

«Wir sind der richtige Islam», behaupte der IS. Die muslimischen Gottesgelehrten jedoch würden ihnen entgegenhalten, sie missbrauchten ihre Religion: «Der IS versteht den Koran nicht. Er reisst bloss einige Verse aus ihrem Zusammenhang.»

Dahinter steckt verletzte Würde

Hottinger, der während Jahrzehnten für grosse Medien wie Radio und Fernsehen sowie die NZZ äusserst kompetent aus dem Nahen Osten berichtete, meinte: «Die Lehre des IS findet bei Personen Anklang, die sich verletzt fühlen durch ihre Position innerhalb der heutigen globalisierten Welt.»

In der Begründung dieser These holte der Referent weit aus. Er erinnerte daran, dass der Westen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fast den ganzen arabischen Raum kolonialisierte. Die Araber wurden als minderwertig dargestellt. Im «arabischen Frühling» wollten sie ihre Würde wiederherstellen. Die Sache verlief schief. Das Ergebnis waren zerfallene Staaten.

Was geschieht, wenn Staaten zerfallen? Gruppen wie Stämme füllen dieses Vakuum auf, erklärte Hottinger. Vor allem aber ermöglichen religiöse Gemeinschaften die Bildung von grossen, solidarischen Einheiten. Dabei entsteht eine verhängnisvolle Dynamik. Die Mitglieder anderer Gruppen werden zu Feinden erklärt, die auszurotten sind.

Religion als Mittel der Macht

Genau nach diesem Prinzip funktioniere der IS. Er benutze die Religion aber bloss, um an die Macht zu kommen und sie mit grösster Grausamkeit auszuüben. Arnold Hottinger bezeichnete ihn als «Religions-Unternehmer», die ihren Glauben manipulierten.

Am Beispiel vom Irak erklärte der Referent, wie der IS entstand und sich ausbreitete. Dort gehen seine Anfänge auf die riesigen Straflager zurück, welche die USA nach dem Saddams Sturz errichteten. Hier vernetzten sich die Geheimdienstleute des gestürzten Regimes, um nach ihrer Freilassung ihre früheren Methoden beim Aufbau von «Jihad»-Gruppen anzuwenden. Dabei gaben sie dem ganzen Vorgehen «ein religiöses Gesicht».

Als sie den bewaffneten Kampf begannen, wich ihnen die von den USA aufgebaute, völlig korrupte und ineffiziente Armee aus. Schon vorher hatte der IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi in der wichtigen Stadt Mossul «mafiaähnliche Strukturen» aufgebaut und damit viel Geld generiert.

Der Erfolg, den der IS im Irak erreichte, machte ihn auch für andere zerfallende Staaten attraktiv, so vor allem für Syrien, aber auch für Libyen, Somalia und Jemen. Ebenso versammeln sich die Islamisten – Boko Haram – in Nigeria unter der Flagge des IS.

Keine Gefahr für Israel

Ob der IS für Israel eine Bedrohung darstelle, wurde aus dem Publikum gefragt. Darauf Hottinger: «Keineswegs. Doch im Schatten dieser Ereignisse kann der Staat Israel tun, was er will, zum Beispiel weiterhin Siedlungen bauen.»

Die zahlreichen zum Gersag-Forum erschienen Zuhörer und Zuhörerinnen teilten offensichtlich die Einschätzungen des Nahost-Experten. Mit einer Ausnahme: Ein Mann behauptete, der IS zeige das Gesicht des «wahren Islams». Er zählte erregt auf, welche Gräuel im Verlaufe der Geschichte von Muslimen begangen wurden. Da das Publikum schon am Aufbrechen und der 89-jährige Referent nach zwei Stunden sichtlich müde war, warf er bloss ein, auch die Nazis hätten gemordet, ohne dass man daraus ableite, was das Christentum sei … (wl)

Nahost-Experte Arnold Hottinger referierte am 18. Mai 2015 im Gersag-Zenter Emmenbrücke LU über die IS | © 2015 Walter Ludin
19. Mai 2015 | 13:06
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