Ahmad Mansour
Schweiz

Muslimische Jugendliche brauchen Unterstützung

Basel, 7.3.18 (kath.ch) Geschlechter-Rollen werden bis heute nicht nur kulturell, sondern wesentlich auch religiös geprägt. Wie geht eine säkulare Gesellschaft damit um? Und wie können Konflikte reduziert und konstruktive Potentiale von Religion, insbesondere des Islams, wirksamer werden? Eine gut besuchte Tagung der Mission 21 in Basel versuchte, darauf Antworten zu geben.

Beat Baumgartner

Muslimische Jugendliche haben es in der hiesigen Gesellschaft schwer, erwachsen zu werden. Sie kommen oft aus stark patriarchal geprägten Gesellschaften mit klarer Rollen-Verteilung und einem grossen Einfluss der Religion.

Sie stehen zwischen ihrer Herkunftsfamilie, die Tradition und Heimat vermittelt, und den mächtigen Einflüssen der westlichen Kultur. Oft fallen sie darum «zwischen Stuhl und Bank» und radikalisieren sich.

Jugendliche richtig verstehen lernen

Mit diesem Spannungsfeld beschäftigte sich an der Tagung «Geschlechter-Rollen in den Religionen» einleitend der muslimische Psychologe und bekannte Buchautor («Generation Allah») Ahmad Mansour aus Berlin.

Er arbeitet unter anderem in Gefängnissen mit radikalisierten muslimischen Jugendlichen und versucht, sie zum Ausstieg aus ihrer Extremposition zu bewegen. Für Ahmad Mansour ist dabei zentral, «dass wir zuerst die Geschlechter-Rollen, die diese Jugendlichen verinnerlicht haben, richtig verstehen müssen, um sie überhaupt erreichen zu können.»

Mühsamer und langwieriger Prozess

Wichtig sei, dass man gefährdete Jugendlichen «schnell packe» und ihnen die Vorstellung von Menschenrechten und Gleichberechtigung der Geschlechter vermittle. Auch vor der Diskussion über tabuisierte Themen wie Sexualität dürfe man sich nicht scheuen. Das müsse aber auf Augenhöhe mit den Jugendlichen geschehen und sei ein mühsamer und langwieriger Prozess, so Mansour.

Wenn man von fixen Geschlechter-Rollen und Unterdrückung der Frau im Islam spricht, kommt man automatisch auf die Rolle des Korans zu sprechen. Die Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji plädierte in Basel für eine differenzierte Sicht.

Einheitliche Sichtweise der Weltreligionen

Das Patriarchat hat für Hafner-Al Jabaji biologische und anthropologische Gründe. Dieses sei nicht einfach im Koran grundgelegt. Mit der Sesshaftwerdung des Menschen habe sich das Patriarchat und das Gewaltmonopol des Mannes über die Sexualität der Frau in jeder bekannten Kultur der Welt durchgesetzt. Und alle Weltreligionen hätten diese patriarchale Sicht übernommen.

Das Patriarchat ist offensichtlich in schlechtem Zustand.

Der frühe Islam habe ein fortschrittliches, eher «egalitäres Geschlechts-Rollenverständnis» vertreten, so Amira Hafner-Al Jabaji. Es gebe im Koran mehr Stellen, welche die Gleichheit der Geschlechter beschrieben, als solche, welche die Unterordnung der Frau betonten.

Die Islamwissenschaftlerin plädiert dafür – ähnlich wie es die moderne Bibelexegese heute tut – den Koran «als Wort Gottes in menschlicher Sprache» zu betrachten und nicht als wortwörtliches Rezept- und Gesetzbuch. Obwohl heute in der öffentlichen Wahrnehmung noch patriarchale und radikale Sichtweisen des Islams dominieren, ist die «muslimische Feministin» optimistisch: «Das Patriarchat hat es im 21. Jahrhundert, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Industrialisierung, immer schwerer, seine Stellung zu halten. Es ist nicht tot, aber offensichtlich in schlechtem Zustand.»

Die Sache mit dem unreinen Körper

Die Freiburger Islamwissenschaftlerin Esma Isis-Arnautovic wies in ihrem Referat zu «Körper und Geschlechtlichkeit» darauf hin, dass es im Islam nicht nur eine Doktrin, sondern eine Pluralität von Meinungen und Schulen gebe. Heutige Muslime müssten lernen, mit Widersprüchen und Meinungsverschiedenheiten der verschiedenen Denkschulen umzugehen.

So betrachte etwa der Islam den Körper nicht per se als unrein, sondern als Geschenk Gottes. Erst in gewissen Situationen werde der Körper unrein. Muslimische Reinigungsrituale dienten dazu, diese vorübergehende Unreinheit zu überwinden.

Die Quellen des Korans

Esma Isis-Arnautovic betonte, dass vieles, was dem Islam als körper- und frauenfeindlich vorgeworfen werde, sich erst durch Tradition und Volksfrömmigkeit herausgebildet habe: Zum Beispiel restriktive Kleider- und Verhüllungsvorschriften für die Frau oder die Ansichten zu Menstruation und weiblicher Unreinheit.

Darum sei es für sie sehr wichtig, sich mit den Quellen des Korans auseinanderzusetzen, um im Diskurs mit konservativen muslimischen Strömungen gewappnet zu sein.

Sich umfassend informieren

Wie geht man mit dem Einfluss von Geschlechter-Rollen in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit um? Dieser Frage widmete sich an der Tagung abschliessend Magdalena Zimmermann. Sie ist stellvertretende Direktorin des Evangelisches Missionswerk Basel «Mission 21».

Gerade in der Entwicklungszusammenarbeit sei es den Akteuren oft nicht bewusst, «wie komplex die gesellschaftlichen Prägungen und Machtmechanismen sind, die hinter Geschlechter-Rollen stehen.» Es gebe keine einfachen Lösungen für den richtigen Umgang damit.

Frauen wie Männer sollen den gleichen Zugang zu Ressourcen haben.

Zimmermann plädierte für einen vielfältigen Ansatz: Immer die Genderperspektive einnehmen, die Machtverhältnisse anschauen, die Kultur und ihre einheimischen Multiplikatoren analysieren, Projekte mit Direktbetroffenen entwickeln sowie politische, kulturelle, religiöse und rechtliche Rahmenbedingungen berücksichtigen. «Es geht zentral darum, dass Frauen wie Männer den gleichen Zugang zu Ressourcen haben, damit für alle ein Leben in Würde möglich ist,» so Magdalena Zimmermann abschliessend. (gs)

Ahmad Mansour | © Mission 21/Mara Wirthlin | © Mission 21/Mara Wirthlin
7. März 2018 | 14:35
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