Robert Michael Miranda
Schweiz

Indischer Bischof will das Kasten-System aufbrechen

Freiburg, 12.10.17 (kath.ch) Der diesjährige Gast von Missio im Missionsmonat Oktober heisst Robert Michael Miranda. Er ist Bischof des indisches Bistums Gulbarga. Dort kämpft er für die Rechte des Volks und gegen die Ausgrenzung von Aids-Kranken.

Georges Scherrer

Als er vor rund vierzig Jahren in das Gebiet seines heutigen Bistums zog, gab es dort kaum Katholiken. Vier Familien lebt weit entfernt voneinander. Seine erste Aufgabe bestand darin, sie zusammenzuführen, sodass sie den Gottesdienst in Gemeinschaft feiern konnten.

Die Familien waren der Arbeit wegen in die Gegend gekommen. Alle zwei Monate kamen sie zusammen, um mit einem Priester den Gottesdienst zu feiern, der jeweils 200 Kilometer weit von Hyderabad anreiste. Er stiess aber auch auf Leute, die Lust hatten, Christen zu werden. Die Unterschiede zwischen den christlichen Gemeinschaften waren ihnen nicht bekannt. Einige gehörten methodistischen Kirchen an. Andere interessierten sich für die katholische Kirche. Zu jener Zeit gab es dort keine Priester, die ihnen das Evangelium hätten näherbringen können. Heute zählt das Bistum 8000 Katholiken.

Wir wollen, dass sie eine Führungsrolle in der Kirche und in der Gesellschaft übernehmen.

«Wir arbeiteten für die Leute», erinnert sich der Bischof. «Ihr erstes Interesse bestand darin, das Evangelium kennen zu lernen.» Die Priester und Ordensfrauen brachten ihnen dieses nahe, so dass sie sich für die Bibel begeisterten und von der katholischen Kirche sagten: «Das ist die wahre Kirche, das ist die Mutterkirche.»

Vibrationen im Bistum

Heute bestehe in der Diözese eine lebendige und «vibrierende» Kirche. Die Menschen seien zwar arm. Sie bemühten sich aber, in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen. Der Bischof wird deutlicher: «Wir wollen, dass sie eine Führungsrolle in der Kirche und in der Gesellschaft übernehmen.»

Dem Bischof schwebt eine «Mitmach-Kirche» vor. Die Menschen sollen an der Kirche teilhaben und Verantwortung tragen. In den Gemeinden gibt es kleine Gruppen, welche die kirchlichen Angelegenheit selber an die Hand nehmen. Gegründet wurden Pfarreiräte. Seelsorgeräte wirken auf regionaler Ebene und in der Diözese. Zudem verfügt die Kirche über unabhängige Vereine.

Die Gesellschaftsordnung mitbestimmen

Die Katholiken sollen aber auch in der Gesellschaft Verantwortung tragen. Auf dem Bistumsgebiet leben Hindus, Muslime und Angehörige weiterer Religionsgemeinschaften. Das Kastensystem führe aber zur Unterdrückung verschiedener Gruppen, klagt der Bischof. Eine einzige Kaste kontrolliere alle übrigen. «Heute wollen wir das ganze System etwas reformieren», so der Bischof.

Regieren darf nicht nur eine Kaste.

Auch Mitglieder tieferer Kasten sollen in den Gemeinden mitreden dürfen. In Indien gibt es die politische Organisationsform «Panchayat». In diesen Bezirken werden beispielsweise fünf Dörfer zusammengelegt. Ein Panchayat soll nicht mehr als 4000 Personen umfassen. Diese «niedrigste Regierungseinheit» wird von fünf «Freiwilligen» geleitet. Sie sorgen etwa für eine funktionierende Administration.

Diversität fördern

Heute können sich Vertreter aller Kasten und Religionen für die Leitungsfunktion zur Wahl stellen. Das System funktioniere. Es komme aber auch immer auf die Situation an. Wenn Vertreter einer einzigen Partei in diesem Leitungsgremium Einsitz haben, dann ist es «wieder nur eine Kaste, die regiert». Gerecht funktioniere das System nur, wenn die verschiedenen Bevölkerungsschichten in dieser «Regierung auf niedrigster Ebene» beteiligt sind.

Wir bauen Gemeinschaften auf, in welchen sich die Menschen verschiedener Religionen gegenseitig respektieren.

Der Bischof ist zuversichtlich, denn das Panchayat-Gesetz habe allgemein Geltung und sei nicht an das Parteibüchlein gebunden. Die Kirche mache die Bevölkerung aktiv auf ihre Möglichkeiten und Rechte aufmerksam, um so die Diversität zu fördern.

Eigene Überzeugung sichtbar machen

In seinem Bistum spielt auch der Begriff «Mission» eine wichtige Rolle. «Mission heute» unterscheide sich aber stark von dem, was man in der Vergangenheit als Mission ansah. Früher, im 15. Jahrhundert, wollte die Kirche «Seelen retten». In der heutigen «Mission» spielten Zahlen keine Rolle, denn es sei nicht nötig, «eine grosse Anzahl Christen zu haben». Vielmehr sei es notwendig, «davon überzeugt zu sein, was man den Menschen sagt», so der Bischof. Was man sage, müsse auch im Verhalten und im eigenen Leben sichtbar werden.

In Indien heisse Mission: «Wir bauen Gemeinschaften auf, in welchen sich die Menschen verschiedener Religionen gegenseitig respektieren.» Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit für den Menschen seien wichtige Voraussetzungen. Gott selber habe seinen Sohn geschickt, um auch den Armen die frohe Botschaft mitzuteilen und für die Würde und Freiheit der Menschen einzutreten.»

Wir müssen ihnen die Augen öffnen.

Konkret umgesetzt bedeute dies, den Schwachen beizustehen. Und zwar nicht den physisch Schwachen, sondern auch jenen, welche vom Kastensystem niedergedrückt würden. Das Evangelium zu predigen beinhalte darum auch, auf dieses alte, ungerechte System hinzuweisen. «Unabhängig von Kaste, Farbe oder Religion sind wir alle gleich», sagt der Bischof. «Dies ist die Botschaft an die Schwachen. Wir müssen ihnen die Augen öffnen.»

In verschiedenen Teilen Indiens ist die HIV-Krankheit ein Problem, das zur Ausgrenzung von Menschen und auch Kindern führe. Die Wanderungen tragen zur Verbreitung der Krankheit bei. Wenn die Regenzeit schlecht verlaufen sei und die Ernte nicht gesichert werden könne, suchten Bauern ihr Heil auf der Suche nach Arbeit in den Städten. Dort können sie sich mit Aids anstecken. Das Virus tragen sie dann in die Dörfer zurück.

Aufklären und helfen

Aids-Kranke erfahren das gleiche Schicksal wie Menschen, die von der Lepra versehrt sind. Kinder mit einer HIV-Erkrankung würden einfach ihrem Schicksal bis zum Tod überlassen, erzählt Robert Michael Miranda. «Für uns bedeutete es viel Arbeit, die Einstellung der Menschen zu dieser Krankheit zu ändern, Aufklärungsarbeit zu leisten und ihnen zu erklären, was sie tun sollen, wenn sie angesteckt werden. «Wir warnen die Leute, physischen Kontakt zu haben zu Menschen, die HIV-Träger sind.» Man solle zum Beispiel Kinder, die angesteckt sind, nicht küssen.

Wie in der Politik gehe es darum, auch im medizinischen Bereich die Menschen darauf hinzuweisen, was sie tun müssen, um ihre Situation zu verbessern. Jemand, der sich mit Aids anstecke, könne bei den Behörden einen Test durchführen und erhalte dann Zugang zu den Medikamenten, die ihnheilen können. Heute würden die Leute in Gulbarga besser verstehen, dass man andere Menschen nicht ausgrenzen soll.

Der Bischof nimmt einige Termine in der Deutschschweiz wahr.

Das Westschweizer Radio überträgt am 16. Oktober aus St. Gingolph VS einen Gottesdienst, in welchem Bischof Miranda die Predigt hält.

Robert Michael Miranda | © Georges Scherrer
12. Oktober 2017 | 12:23
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