Beat Dietschy
Schweiz

Mission – eine Herausforderung auch für die Kirche

Luzern, 30.4.16 (kath.ch) Was bedeutet Mission heute angesichts der brennenden Probleme der Welt? Über diese Frage debattierten am Freitag, 29. April, in der Mission Engagierte im Luzerner Romerohaus an einer Tagung. Mission stellt auch für die Kirche eine Herausforderung dar. Dies zeigten die Voten von Entwicklungsexperten.

Vera Rüttimann

In seinem Impulsreferat mit dem Titel «Leben in Fülle» ging Josef Estermann eingangs auf die Krise des Menschenbildes im vorherrschenden Kapitalismus ein. Er ist Geschäftsleitungsmitglied von Comundo, einer Organistion der personellen Entwicklungszusammenarbeit. Für den Entwicklungsexperten steht der Homo occidentalis «für Ausbeutung von Natur und Mensch, Zynismus und seichten Materialismus». Der vermeinte Zivilisationsschub in den Süd-Ländern, erfolgt auch durch die Missionstätigkeiten aus dem Norden, und habe auch dort vieles aus dem Lot gebracht.

Das andere gute Leben

Für Estermann handelt es sich bei dem gegenwärtigen Wirtschaftsmodell um ein zutiefst nekrophiles Menschen- und Weltbild, das laut nach einer Alternative und Umkehr rufe. Ein Schlagwort der Stunde als Alternative heisse in Thinkthanks der Welt «Das gute Leben». Kein neuer Begriff, wie die Zuhörer erfuhren, denn «Buen Vivir» ist die Bezeichnung für den Wertehorizont indigener Völker des Anden- und Amazonasraums in Südamerika. Das gute Leben indigener Prägung, so Josef Estermann, stelle die abendländische Ideologie des neoliberalen «unbeschränkten Wachstums» jedoch radikal in Frage. Estermann: «Es gibt keinen Fortschritt, wenn einige zurückbleiben oder gar als überflüssig gelten.» Der irrsinnige Wettlauf des «Wirtschaftswachstums» und des ungebremsten Konsumzwangs um jeden Preis führe nicht zu mehr «Fortschritt», sondern zu einem unausweichlichen «Rückschritt» des Lebens».

Anschaulich zeigte Estermann in seinem Referat auf, wie sich zwei total verschiedene Welt- und Menschenbilder gegenüberstehen: «Denken bevorzugt das vereinzelte Seiende (Substanz, Individuum), während indigenes Denken auf dem Vorrang der Beziehung (Kräfte, Energien) aufbaut. Dies schlägt sich natürlich in allen Bereichen nieder, vom Menschenbild über die Ethik bis hin zu den religiösen Beziehungen.» Es gehöre zudem zur «Ursünde» der abendländischen Neuzeit, den Menschen vermeintlich von der Natur und der spirituellen Welt losgekoppelt zu haben. Angesichts der vielen Krisen stelle sich für die christliche «Mission» heute die Herausforderung einer radikalen Umkehr zum Leben, so Estermann. Für den Südamerika-Experten gibt es nur einen Weg, um aus diesem nekrophilen Menschen- und Weltbild auszusteigen: «Aus der andinen Figur des «Guten Lebens» ergeben sich für die Transformation der aktuell existierenden Welt Widerstandspotenziale und Inspirationsquellen, die ganz im Sinne der befreiungstheologischen Dialektik sind.»

Das Erbe des konziliaren Prozesses

Beat Dietschy, Entwicklungsexperte und von 2007 bis 2015 Zentralsekretär von Brot für alle, sprach in seinem Referat über Papst Franziskus als grossen Inspirator für die Menschen, die in der Mission arbeiten. «Diese Wirtschaft tötet, sagte Papst Franziskus. Solch deutliche Worte fordern nicht nur eine Transformation, sie wirken auch wie der mögliche Beginn einer tiefgreifenden Transformation in der Kirche», sagte Dietschy. Mission hat für den Theologen nicht nur mit Bekehrung zu tun, sondern auch mit eigener Umkehr. Aus der Frucht eines gründlichen Nachdenkens über sich selbst und die Beziehung zur eigenen Umwelt sei auch in den achtziger Jahren der konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung entstanden. Besonders grosse Bedeutung habe für ihn die ökumenische Versammlung von Mainz (2014), die die Impulse von Papst Franziskus besonders stark aufgenommmen habe und die nahe am Puls der Zeit war.

In diesem Zusammenhang sprach Dietschy von einem mystischen Dreiklang, der von dieser Versammlung ausging: Der via positiva (Vision vom Reich Gottes und der Fülle des Lebens), der via tranformativa (Wahrnehmung der Zeichen der Zeit und Neuorientierung) und der via educativa (Pilgerweg als Lernweg). Prophetische Stimmen und transformatorisches Handeln seien bis heute gefordert. Hoffnung machen dem langjährigen Berater von Entwicklungsorganisationen in Lateinamerika unter anderem die Commons-Bewegungen, die bestrebt sind, eine neue Kultur des Miteinanders zu schaffen. Ganz konkret auch lokale Projekte wie der Treffpunkt Stutzegg in Luzern, von dem Daniel Ammann erzählte. Dieser Ort, geführt vom Verein Hotel Dieu, ist ein Gasthaus der besonderen Art. Hier wird Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, Aufmerksamkeit und Zeit geschenkt.

Kirche, die auf die Strasse geht

Auch Toni Kurmann, Mitglied des Jesuitenordens und seit 2004 Missionsprokurator der Jesuitenkommission Schweiz, sprach an der Tagung in seinem Referat über die immense Bedeutung von Papst Franziskus für die Mission. Er hob dabei vor allem dessen Enzyklika «Laudato Si» hervor. «Ich habe selten ein Schreiben eines Papstes gelesen, das den Kairos so genau aufgreift, spürt und somit im richtigen Moment auf die Herausforderungen unserer Zeit reagiert.» Das Schreiben mache zudem deutlich, dass sich Gesellschaft und Kirche in gewaltigen Übergangsprozessen befinden, die mit teils schmerzlichen Erkenntnissen verbunden seien. Toni Kurmann: «Wir sind nicht mehr die unangefochtene Mehrheit als Christen. Wir sind Teil einer globalen Welt mit verschiedenen Religionen.» Der Süden, so der Jesuitenpater, komme nun zu uns, nicht mehr umgekehrt. Die Menschen von den Rändern der Welt stünden jetzt vor unserer Tür.

In diesem Kontext brachte Kurmann die Vision einer «Samaritanischen Kirche» ins Gespräch, von der Papst Franziskus vor zwei Jahren vor den Teilnehmern am Internationalen Kongress der Pastoral gesprochen hatte und dabei von seinen Erfahrungen als Bischof in der Millionenstadt Buenos Aires erzählte. Es gehe dem Papst, so Kurmann, um einen Perspektivenwechsel, um eine wahre Verwandlung. Die pastorale Arbeit müsse unter dem Schlüssel der Mission verstanden werden.

Kurmann: «Keine Kirche, die sich um sich selbst dreht, sondern eine, die auf die Strassen der Welt geht und prophetisch und diakonisch unterwegs ist.» Keine Kirche für die Sakristei, sondern für die Welt, wie es Papst Franziskus formulierte. Gerade die Flüchtlingskrise fordere dazu heraus, «in uns den barmherzigen Samariter herauszulocken und die Komfortzone zu verlassen. Nicht ich, sondern der andere ist meine Referenzpunkt, wie ich mein Christsein lebe.» Fremdbegegnung, so Kurmann, habe die Kirche über Jahrhunderte eingeübt. Er gab den Tagungsteilnehmern mit auf den Weg: «Wir haben einen reichen Erfahrungsschatz. Nutzen wir ihn!» (vr)

 

 

Beat Dietschy | © 2016 Vera Rüttimann
30. April 2016 | 17:13
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