Mein Platz an der Krippe

Gedanken zum Festtag, 25. Dezember 2015 (Lk 2,15-20)

Josef Imbach*

«Ein Retter ward euch heute geboren – er ist der Messias, der Herr …» Auf der Erzählebene gilt diese Engelskunde den Hirten vor Betlehems Toren. In Wirklichkeit jedoch wendet sich der Evangelist an seine Leserinnen und Leser, also an uns. Wir sollen uns aufmachen und hineilen zum Stall vor der Höhle.

Wo stellen wir uns da hin? Sehen wir uns kniend neben Maria oder doch eher an der Seite von Ochs und Esel? Die sind ja nicht zufällig da (in den Evangelien steht nichts davon!), sondern aufgrund eines Spruchs aus dem Buch Jesaja: «Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn» (Jesaja 1,3). Die beiden Tiere stehen demnach nicht für Stumpfheit und Sturheit, sondern für die Zugehörigkeit zu Jesus.

Fühlen wir uns wohler bei den Hirten? Die haben eine Botschaft vernommen, sich auf die Socken gemacht und glauben. Ihr Leben wird fortan in anderen Bahnen verlaufen. Gut möglich, dass der eine oder die andere sich zu dem abseits sitzenden Josef gesellt, der sich einmal mehr fragt, wer denn nun wirklich der Kindsvater sei (die mittelalterlichen Künstler haben diese Szene häufig dargestellt). Manche erkennen sich wohl in den Schafen wieder, aber da gibt es Unterschiede. Etliche von ihnen gehören zur Gattung der Herdentiere, die gedankenlos mitlaufen. Andere wiederum blöken, wider die Hirten (vielleicht, weil sie vorausahnen, dass deren grobe Stöcke sich in späteren Jahrhunderten zu diamantbesetzten Krummstäben biegen werden?). Ausserdem sind da die gotthungrigen Magier aus dem Osten, die einen weiten Weg zurücklegen mussten, bis sie das Kind fanden – ähnlich wie es auch heute Menschen gibt, die Jahre oder Jahrzehnte brauchen, bis sie sich Jesu Botschaft aneignen können. Doch wo die Magier auftauchen, sind auch Herodes und seine Häscher nicht fern; die Szene weitet sich, dramatisch.

Wo ist mein Platz an der Krippe? Wo stehe ich und wie stehe ich zu Jesus? Vermutlich lässt sich diese Frage so eindeutig gar nicht beantworten; haben wir denn nicht schon des Öfteren unseren Standort gewechselt? Manchmal meinen wir wohl wie Ochs und Esel zu wissen, wo wir hingehören. Dann wieder bewegen wir uns im Umfeld von Herodes’ Komplizen. Oder wir mischen uns unter die Schafe, schlucken das von den Oberhirten verabreichte Futter, vergessen das Blöken. Vielleicht begleiten wir die Hirten auf ihrem Rückweg aufs Feld, in der Hoffnung, irgendwann auch in unserem Alltag einen Stern zu erblicken. (ji)

* Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.

27. November 2015 | 07:58
Lesezeit: ca. 2 Min.
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