Max Feigenwinter auf der Veranda seines Hauses in Sargans.
Theologie konkret

Max Feigenwinter: «Das Licht, das von innen kommt, kann durch nichts ersetzt werden»

Lebkuchen, Glühwein, Walnüsse: Die Adventszeit kennt viele Bräuche und Traditionen. Für den Autor Max Feigenwinter fängt der eigentliche Advent im eigenen Herzen an: «Wie viele Leute haben alles, was sie brauchen – und sind dennoch unglücklich!»

Vera Rüttimann

Wie würden Sie einem jungen Menschen erklären, was der Advent ist? 

Max Feigenwinter*: Advent heisst Ankunft. Seit 1400 Jahren wird die Adventszeit als vierwöchige Vorbereitungszeit auf Weihnachten gefeiert. Im Advent erwartet man die Ankunft von Jesus als Mensch in Bethlehem. Viele bereiten sich heute nicht mehr besinnlich und mit christlichem Hintergrund auf diese Zeit vor. Manche denken mehr an die Geschenke, die sie vorbereiten müssen oder an die Wunschliste, die oft sehr lange ist. Viele haben und machen sich Stress, sind froh, wenn diese Zeit dann endlich vorbei ist. Schade, was man daraus gemacht hat.

Achtsamkeit und Stille sind ihm wichtig: Max Feigenwinter.
Achtsamkeit und Stille sind ihm wichtig: Max Feigenwinter.

Wie gestalten Sie Ihre Adventszeit? 

Feigenwinter: Ich bin ruhiger geworden, nehme mir Zeit für mich. Advent ist eine Zeit der Besinnung. Ich gehe spazieren. Stille ist mir sehr wichtig. Ich setze mich mit philosophischen und biblischen Texten auseinander. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas lese ich immer wieder. Sie fordert mich auf, mich in ihr zu finden. Ich frage mich in dieser Zeit: Worauf warte ich eigentlich? Wonach sehne ich mich? Und: Was ist für mich letztlich wichtig? Advent ist auch eine Zeit, um zurückzuschauen. Ich bin dankbar, dass ich sein darf. Nachdem ich zweimal sehr krank war, ist es für mich nicht selbstverständlich, wieder gesund zu sein. Ich blicke auch nach vorne: Was kommt auf mich zu? Was wird mich fordern? Werde ich es meistern?

Rorate-Gottesdienst in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon.
Rorate-Gottesdienst in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon.

Wie haben Sie als Kind Advent gefeiert? 

Feigenwinter: In meiner Familie haben wir diese Zeit intensiv erlebt. Wir machten einen Adventskranz, hatten Adventskalender und freuten uns, wenn in der Kirche die Krippe aufgestellt wurde. Wir gingen morgens früh zur Rorate-Messe. Es war für uns immer das Grösste, wenn wir die brennende Kerze auch bei Wind bis in die Kirche retten konnten. Noch später schien mir dies ein Symbol: Wir müssen darauf achten, dass wir das Licht schützen, füreinander Licht sind.

Eine Ministrantin zündet den Adventskranz an.
Eine Ministrantin zündet den Adventskranz an.

Welche Rolle spielt die Weihnachtsgeschichte in Ihrem Leben? 

Feigenwinter: Eine grosse Rolle. Als ich Lehrer wurde, habe ich mit den Kindern über die Weihnachtsgeschichte gesprochen und wir haben uns überlegt, was sie uns heute bedeutet. Kinder haben Texte geschrieben und es ist ein Büchlein entstanden mit dem Titel: «Damals in Bethlehem, heute bei uns». An einer Weihnachtsfeier haben dann die Kinder diese Texte den Eltern vorgelesen. Ich weiss noch, wie viel dies den Eltern und den Kindern bedeutete. 

Konzert der Engel, Detail des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden in Colmar (Frankreich).
Konzert der Engel, Detail des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden in Colmar (Frankreich).

Was sind das für Texte? 

Feigenwinter: Wir stellen Fragen wie: Was tun wir, wenn jemand bei uns anklopft? Mit uns spielen will? Mich um etwas bittet? Wer ist uns Engel? Ein Mädchen schrieb: «Ich habe viele Engel: Meine Mutter, mein Vater, mein Meerschweinchen… Sie sind mir wichtig, helfen und spielen mit mir und trösten mich, wenn ich traurig bin.» Als das Mädchen diesen Text vorlas, war ihre Mutter sehr berührt, hatte Tränen in den Augen. Viele Eltern staunten, was ihre Kinder geschrieben hatten, fanden selbst einen neuen Zugang zur altbekannten Geschichte.

Max Feigenwinter
Max Feigenwinter

Was hat es mit Ihren Adventskalendern auf sich? 

Feigenwinter: Bei meinen Kalendern ist mir wichtig, dass man die einzelnen Bilder der Weihnachtsgeschichte (Herbergssuche, drei Weisen unterwegs, die Hirten auf dem Feld) in die Gegenwart übersetzt. Wer klopft bei mir an? Wie reagiere ich, wenn von mir jemand etwas will? Welcher Stern leitet mich? Suche auch ich das neue Leben? Lasse auch ich mich täuschen von Macht und Prunk wie die Weisen? Die Geschichte geht uns an!

Sehnsucht nach Frieden.
Sehnsucht nach Frieden.

Wie feiern wir Advent in einem Jahr, in dem in Europa wieder ein Krieg ausgebrochen ist?

Feigenwinter: Wir müssen akzeptieren, was ist. Letztlich können wir Putin nicht aufhalten. Aber wir können nicht nichts tun. Wir können uns einsetzen für die Flüchtlinge, für all jene, die es nicht so gut haben wie wir. Es geht darum, dass wir unsere Möglichkeiten einsetzen – jeden Tag, wo immer wir sind, damit diese Welt durch uns ein wenig besser wird. Wir können etwas tun, dass für mehr Menschen Weihnachten wird. Wir können diese Welt menschlicher machen. Es fängt im Kleinen an: Wie gehen wir aufeinander zu? Helfen wir unserem Nachbarn? Sehen wir die Not des Bedürftigen?

«Wegen einer Blutvergiftung musste ich sechs Wochen lang Antibiotika nehmen.»

Wo schöpfen Sie Kraft, wenn Sie sich schwach fühlen?

Feigenwinter: Es ist mir klar, dass es mir nicht immer gut gehen kann. Immer wieder habe ich aber erlebt, dass ich auch in schwierigen Zeiten wichtige Erfahrungen machen, Neues lernen kann. In meinem Büchlein «An Widerständen wachsen» habe ich meine Erfahrungen festgehalten, die ich während meiner zweiten Sepsis machte, einer Blutvergiftung. Sechs Wochen lang musste ich Antibiotika nehmen. Damals habe ich auch erlebt, wie wichtig mir Mitmenschen sind, die Anteil nehmen. 

Max Feigenwinter
Max Feigenwinter

Woher rührt Ihre Hoffnung?

Feigenwinter: Ich glaube, dass es immer eine Lösung gibt, dass ich nicht alles selbst machen und wissen muss. Und oft denke ich auch an den bekannten Satz: «Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.» Weil ich immer wieder erfahre, wie gut es tut, Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern zu erhalten, gebe ich oft auch persönliche Feedbacks. Dieser Austausch ist wertvoll, tut gut.

Während des Lockdowns war gezwungenermassen weniger Betrieb. Braucht es in der lauten Adventszeit eine verordnete Stille?

Feigenwinter: Wahre, heilsame Stille kann nicht befohlen werden. In dieser Zeit waren zwar weniger Veranstaltungen, viele sind deshalb aber nicht ruhiger geworden. Wesentlich verändert hat sich kaum etwas. Nach dem Lockdonwn hat sich das ja gezeigt: Viele wollten endlich nachholen, was sie verpasst hatten. Viel wichtiger als staatliche Verordnungen ist die Einsicht: Ich brauche dies und jenes gar nicht. Verhaltensänderungen werden auch durch persönliche Krisen ausgelöst. Oft kann man hören, dass jemand sagt: Erst als es mir schlecht ging, habe ich gemerkt, dass ich etwas verändern muss.

Weihnachtsbeleuchtung in Zürich
Weihnachtsbeleuchtung in Zürich

Wir stecken in einer Energiekrise. Sollten wir auf Weihnachtsbeleuchtungen verzichten?

Feigenwinter: Wärme, die wir wirklich brauchen, gibt es dort, wo die Menschen ehrlich und echt sind, wohlwollend aufeinander zugehen. Lämpchen an der Hausfassade mögen schön sein. Aber das Licht, das von innen kommt, kann durch nichts ersetzt werden. Wie viele Leute haben alles, was sie brauchen, oder gar noch mehr – und sind dennoch unglücklich! Zu Weihnachten gehört für mich auch, bescheiden zu werden und sich zu beschränken. Ob Weihnachten ist, hängt nicht von der Anzahl Lichter ab, sondern davon, ob wir einander Licht sind.

* Der Autor Max Feigenwinter (79) wohnt in Sargans. Er war Didaktik-Lehrer am Seminar in Sargans, in der Aus- und Fortbildung von Katechetinnen und Katecheten tätig und hatte früher einen Lehrauftrag am Churer Priesterseminar. Ende Dezember erscheint sein Buch «Ein Licht für den Frieden anzünden» im Eschbach-Verlag.


Max Feigenwinter auf der Veranda seines Hauses in Sargans. | © Vera Rüttimann
4. Dezember 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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