Szenenbild aus «Silence»
Schweiz

Leiden und Fegefeuer – theologische Spuren in Scorseses Film «Silence»

Zürich/Berlin, 21.2.17 (kath.ch) «Silence» beginnt mit einer beklemmenden Stille, und er endet mit einer Bestattung, in der nur noch das Geräusch von Flammen zu hören ist. Diese Reduktion der Mittel ist ungewöhnlich, man erwartet diese Filmsprache von Martin Scorsese nicht. Einfache und klare Einstellungen, eine äusserst ruhige und kontinuierliche Montage, der vollständige Verzicht auf Filmmusik. «Silence» war offensichtlich eine Herzensangelegenheit von Scorsese.

Charles Martig

Vieles an «Silence» enttäuscht die Erwartungen – aber in positivem Sinne. Die Erfahrung dieses Filmerlebnisses ist nachhaltig, weil es keine opulente Inszenierung von Szenen gibt. «Casino», «The Gangs of New York» und «The Wolf of Wallstreet» sind ein ganzes Erzähluniversum entfernt vom Arthouse-Drama «Silence». Scorsese konzentriert sich hier ganz stark auf die religiösen Fragestellungen und fordert eine theologische Interpretation heraus.

Verfolgte Missionare

Martin Scorsese hatte seit rund drei Jahrzehnten versucht, diesen Film über die Jesuiten in Japan und die Christenverfolgung in Asien zu realisieren. Und dafür hat der Regisseur alles fallen gelassen, was seine früheren Filme so virtuos und sehenswert machte.

Im Mittelpunkt stehen zwei junge Jesuiten, die im Japan des 17. Jahrhunderts auf der Suche nach ihrem Mentor (Liam Neeson) sind. Dabei sind sie brutaler Gewalt und Verfolgung durch einen Inquisitor (Issei Ogata) ausgesetzt. Dennoch versuchen die jungen Priester, dem japanischen Volk, einfachen Fischern an der Westküste, den christlichen Glauben näher zu bringen.

Der religiöseste Film des italo-amerikanischen Katholiken.

Nach Scorseses «Die letzte Versuchung Christi» (1988) ist dies der religiöseste Film des italo-amerikanischen Katholiken. «Silence» beruht auf dem Roman «Schweigen» des Japaners Shusaku Endo. Das Buch schildert die Verfolgung der Katholiken aus der Perspektive des portugiesischen Missionars Sebastian Rodrigues (Andrew Garfield). Der Jesuit schreibt Briefe an seinen Provinzial und berichtet, wie katholische Konvertiten gekreuzigt, lebendig verbrannt und ertränkt werden.

Angst und Leiden

Aus der literarischen Vorlage übernimmt Scorsese die Erzählung durch Briefe, die aus der Christenverfolgung in der Region Nagasaki berichten. Damit wird eine erste Erzählebene konstruiert. Voraus geht der Blick des Mentors und früheren Missionars, der am Anfang des Films die Kreuzigung und Folter von Mitbrüdern mitansehen muss.

Dieser angsterfüllte und leidende Blick gibt den Grundakkord vor und weckt eine Vorahnung auf die Ereignisse, die sich in den folgenden Szenen weiter entfalten und in ein regelrechtes Fegefeuer münden. Als weitere Ebene kommt die Aussenperspektive eines holländischen Handelsmanns hinzu, der über das Schicksal der Priester aus der dritten Person – sozusagen aus neutraler Perspektive – berichtet.

Herrschaftspolitik gegen Mission

«Silence» erzählt vom Aufeinandertreffen von Religionen und Kulturen, das zu heftigen Verwerfungen führt. Theologisch gesprochen, geht es um die Frage, wie die Inkulturation des Christentums in Japan möglich ist. In einer Schlüsselszene kommt es zum Disput zwischen Rodrigues und dem Inquisitor. Dieser ist überzeugt, dass das Christentum im japanischen Sumpf nicht Wurzeln schlagen kann. Rodrigues hält dagegen, dass bereits Hunderttausende den Glauben angenommen haben und grausam zu Tode gekommen sind. Sein Argument gegen die Religionspolitik wird jedoch pervertiert. Der Inquisitor will Rodrigues zum Abfall vom Glauben zwingen und findet grausame Mittel, diese Herrschaftspolitik durchzusetzen.

In der Erzählung wird sichtbar, dass die Portugiesen als Imperialisten in Japan eingedrungen sind und mit Hilfe der Jesuiten den Glauben verbreiten. Die Gegenreaktion der japanischen Herrscher ist rigoros. Hunderttausende fallen der Christenverfolgung zum Opfer. In der Folge stellt sich die Frage, ob das Christentum im Land der aufgehenden Sonne überhaupt Fuss fassen kann, oder ob der naturreligiöse Shintoismus und der Buddhismus für das japanische Volk nicht die besseren Alternativen sind.

Parallelen zu heute

Der Film fragt auch nach der Bedeutung von heiligen Bildern für den christlichen Glauben. Wie stark sind Katholiken auf die Verehrung von Christus- und Marienbildern verpflichtet? Ist diese religiöse Verehrung der Kern ihres Glaubens? Darauf hinaus läuft die Methode der japanischen Inquisition: Christen müssen mit dem Fuss auf ein Christusbild stampfen und so ihrem Glauben entsagen. Nur so können sie der Folter und dem sicheren Tod entgehen. Doch es zeigt sich, dass dieser äussere Akt nicht vollständig identisch mit der religiösen Gesinnung ist. Es gibt die Wahl, das Heiligenbild zu entehren und trotzdem Christ zu bleiben.

Und heute? In Syrien, Ägypten, Pakistan und China etwa gibt es eine Vielzahl von Menschen, die wegen ihres christlichen Glaubens unterdrückt oder verfolgt werden. In diesem Umfeld hat das christliche Märtyrertum wieder eine neue Bedeutung bekommen.

Christenmord als Opfer

«Silence» stellt nun aber die beunruhigende Frage, ob die Idee des christlichen Martyriums durchzuhalten ist, wenn der Weg bis zum schmerzhaften Tod weder heilig noch richtig ist. Das Dilemma in der Erzählung besteht darin, dass Pater Rodrigues feststellt, dass die japanischen Christen nicht für ihren Glauben sterben, sondern für ihn als Priester geopfert werden, um ihn zum Akt des Glaubensabfalls zu zwingen. Solange das Märtyrertum, der Tod um des Glaubens willens, rein religiös verstanden wird, ist es in sich schlüssig. Wird es jedoch instrumentalisiert, sei es von der Glaubensgemeinschaft oder von politischen Mächten, gerät es auf die schiefe Bahn.

Eine dahinter liegende, theologische Fragestellung lautet: Dürfen wir einen zutiefst bösen Akt begehen, wenn sich daraus etwas Gutes ergibt? Wenn es dazu dient, sich selbst zu retten, müsste die Antwort «Nein» sein. Können jedoch damit andere gerettet werden, wie «Silence» durchblicken lässt, so könnte diese Handlung durchaus gerechtfertigt sein.

Dürfen wir einen bösen Akt begehen, wenn sich daraus Gutes ergibt?

Diese Frage ist nicht nur auf den historischen Kontext Japans bezogen, sondern ist universal gültig. Scorsese stellt damit das Märtyrertum in den Kontext eines ethischen Dilemmas. Pater Rodrigues entweiht schlussendlich das Christusbild und tut dies, um seine Gläubigen zu retten.

Aus ethischer Sicht ist er damit gerechtfertigt. Aus theologischer Sicht gibt er sich selbst auf – und tritt den Weg in die Hölle an, um andere zu retten. Im Sinne des stellvertretenden Leidens und der Nachfolge Christi handelt der junge Jesuit richtig, auch wenn bis zum Schluss offen bleibt, ober er seinen Glauben bewahren oder vollständig verlieren wird.

Leiden als Thema des Regisseurs

Martin Scorsese hat eine starke Verbindung zum Leiden als Prüfstand im Leben: Seine frühen Filme «Taxi Driver» (1975), «Wie ein wilder Stier» (1979) und «Good Fellas» (1989) sind Dramen über das Leiden im Fegefeuer. So auch «Silence», in dem das Leiden für den Glauben eine grosse Rolle spielt. Mitten in der Verfolgung stellt der Film wichtige Fragen zum Glaubensakt, zur Verehrung von Bildern, zum Rückzug des Glaubens in die Innerlichkeit und zur Bedeutung von Christenverfolgung, auch in der heutigen Zeit. (kna/film-dienst)

Charles Martig ist Direktor des Katholischen Medienzentrums Zürich. Er war an der diesjährigen «Berlinale» Vorsitzender der ökumenischen Jury.

Die Jesuiten in der Schweiz zeigen den Film «Silence» am Sonntagvormittag, 26.2.2017 in Zürich als Vorpremiere mit anschliessender Diskussion. Kinostart von «Silence» ist am 2. März.

Szenenbild aus «Silence» | © Ascot Elite Entertainment Group
21. Februar 2017 | 10:17
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Schwere Kost

Fast 30 Jahre trug Martin Scorsese das Filmprojekt «Silence» mit sich herum. «Ein Meisterstück über unser Leben», sagt der US-Jesuit James Martin. Der Starregisseur serviert schwere Kost aus der Zeit der Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts, ein Drama um Glaube, Gewalt und Verrat mit hochkarätig besetzten Missionaren (Liam Neeson, Andrew Garfield, Adam Driver) als Hauptfiguren. Die Jesuiten sind begeistert, denn es geht nicht nur um ihre Geschichte, sie haben auch am Set intensiv als Berater mitgewirkt.

In der jüngsten «Star Wars»-Episode mimte Driver noch einen der dunklen Seite der Macht verfallenen Jedi-Ritter. Für das japanische Jesuitenepos absolvierten er und sein Kollege Garfield («Spiderman») in einem abgelegenen walisischen Kloster ignatianische Schweigeexerzitien. Garfield bekannte anschliessend: «Ich bin ganz und gar zum Jesuiten geworden und habe die Spiritualität aufgenommen.»

Als Exerzitienmeister fungierte der US-Jesuit James Martin. Dieser wich während der ganzen Dreharbeiten nicht von der Seite des Regisseurs, der in jungen Jahren von einer Jesuitenschule flog und seinen Berufswunsch Priester aufgab, um sich bei der Traumfabrik Hollywood zu verdingen. Zudem stellten drei weitere in Taiwan arbeitende Jesuiten ihre Expertise zur Verfügung. Ein Theologieprofessor beaufsichtigte alle Szenen, in denen Jesuiten oder Gläubige in ausdrücklich religiösen Haltungen gezeigt werden. Zwei Mitarbeiter einer jesuitischen Filmproduktionsgesellschaft fungierten selbst als Komparsen. (kna)