Markus Zimmermann
Schweiz

Leben und Sterben in Pflegeheimen in Corona-Zeiten

Die nachgewiesenen Ansteckungen durch das Coronavirus gehen zurück, das Leben wird normaler. Alte Menschen dürfen aber nicht auf der Strecke bleiben, fordert Markus Zimmermann* in einem Gastbeitrag.

Gleich auf mehrfache Weise sind Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen von der gegenwärtigen Corona-Krise betroffen. Als Teil einer grossen Wohngemeinschaft sind sie stärker als andere Menschen exponiert, vom Coronavirus angesteckt zu werden.

Aufgrund ihres meist hohen Alters und der damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen sind sie besonders gefährdet, an den Folgen von Covid-19 zu sterben.

«Dazu kommt die Stigmatisierung des vierten Alters in der Schweiz.»

Wegen der Besuchsverbote in Heimen sind sie isoliert von Angehörigen und Freunden. Aufgrund der starken Beanspruchung der Pflegefachkräfte, die nicht mehr von Angehörigen entlastet werden und wegen der eigenen Ansteckungsgefahr in der Regel nicht alle im Einsatz stehen können, werden sie zusehends vernachlässigt. Manchmal werden sie aufgrund fehlender Alternativen auch sediert. Dazu kommt die Stigmatisierung des vierten Alters in der Schweiz.

Ausgangssperre und Hindernis Technik

Ohne jede Übertreibung ist klar: Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen haben gegenwärtig eine extrem schwierige Situation auszuhalten und zu bestehen. Seit Wochen besteht eine Ausgangssperre, beim gemeinsamen Essen sitzen die anderen zwei Meter entfernt, die Pflegefachkräfte tragen Masken, Angehörige haben Besuchsverbot.

Die alte Generation ist nicht vertraut mit moderner Technik. Skypen oder Facetimen sind weitgehend unbekannt. Viele sind dement. Es besteht keine Aussicht, die Institution lebendig zu verlassen.

«Die Anwesenheit vertrauter Menschen ist wichtig.»

Was ist für Menschen in einer solchen Lebenssituation wichtig? Das dürfte ähnlich sein wie für Menschen in anderen Lebens- und Wohnsituationen: Beziehungen, Familie, Freunde, Bekannte, vertraute Personen.

Die Türen sind verschlossen

Die Anwesenheit eines vertrauten Menschen könnte insbesondere Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen beruhigen, aber die Türen sind verschlossen. Sicher, es besteht die Möglichkeit, eine Patientenverfügung zu schreiben.

«Palliative Betreuung bis zum Ende wäre mir wichtig.»

Ich würde wohl festhalten: Ich hätte gerne Besuch, Kontakte, würde gerne nach draussen; bitte keine Spitaleinweisung, keine Intensivmedizin, keine Reanimationsversuche mehr im Fall einer schweren Erkrankung.

Palliative Betreuung bis zum Ende wäre mir wichtig, nicht ersticken zu müssen, keine heftigen Schmerzen. Und nicht zuletzt: Nicht allein gelassen zu werden während der langen Nächte. Nicht alleine sterben müssen.

Auf zweite Infektionswelle vorbereitet sein

Zweifellos besteht hier akuter Handlungsbedarf. Es gibt bereits Ideen und Initiativen, um die Situation der Menschen in Langzeitinstitutionen in Zeiten von Covid-19 zu verbessern. Diese sind in jeder Hinsicht zu begrüssen. Pflegefachkräfte engagieren sich, wo immer sie können.

«So, wie es heute ist, darf es nicht bleiben.»

Abgegrenzte Besucherräume werden geschaffen, spirituelle Begleitung durch Seelsorgerinnen mit entsprechender Schutzkleidung angeboten, auch der Einsatz moderner Kommunikationstechnik in den Alltag integriert, Besuche mit speziellen Schutzvorrichtungen oder im Garten mit dem nötigen Abstand ermöglicht. Wir brauchen mehr davon und weitere Ideen.

So, wie es heute ist, darf es nicht bleiben. Eine zweite Infektionswelle ist abzusehen, die genannten Herausforderungen für Menschen in Pflegeheimen bleiben vorläufig bestehen.

Auf Bedürfnisse eingehen

Als Gesellschaft, Kirchen und Einzelne haben wir die Aufgabe, die Situation der besonders verletzlichen Menschen wahrzunehmen und auf ihre Bedürfnisse wenn immer möglich einzugehen: Das betrifft seit einigen Wochen in der Schweiz in besonderem Mass pflegebedürftige Menschen in unseren Heimen.

*Der Theologe Markus Zimmermann ist Vizepräsident der Nationalen Ethikkommission (NEK) und Präsident der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» (NFP 67). Er ist Titularprofessor an der Universität Freiburg.

Markus Zimmermann | © zVg
11. Mai 2020 | 06:04
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