Massiv verschmutzte Meeresküste mit Wohlstandsabfällen
Vatikan

«Laudato si» – Die zentralen Passagen

Rom, 18.6.15 (kath.ch) Auf 220 Seiten entwirft Papst Franziskus eine umfassende Zusammenschau und Analyse der gegenwärtigen ökologischen und sozialen Krise und er spart nicht mit deutlichen Ansagen.

Papst Franziskus ruf in seiner Enzyklika «Laudato si» die Welt zur Umkehr auf, um globale Umweltzerstörung und Klimawandel zu stoppen. Einige «Höchstgrenzen der Ausbeutung des Planeten» seien bereits überschritten, warnt der Papst. Eine Minderheit konsumiere gegenwärtig «in einem Verhältnis, das unmöglich verallgemeinert werden könnte», kritisiert er. Die rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Rohstoffe auf Kosten ärmerer Länder, sei eine «ökologische Schuld» der Industrienationen.

«kath.ch» dokumentiert im Folgenden zentrale Passagen der Öko-Enzyklika:

Kapitel 1 – «Was unserem Haus widerfährt»

Im ersten Kapitel behandelt der Papst verschiedene Aspekte der gegenwärtigen ökologischen und sozialen Krise (15) und bedient sich dabei jüngster wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Konkret geht es um die Umweltverschmutzung, den Klimawandel, die Wasserfrage, den Verlust der biologischen Vielfalt, die Verschlechterung der Lebensqualität und den sozialen Niedergang eines grossen Teils der Weltbevölkerung, weltweite soziale Ungerechtigkeiten sowie die Schwäche der Reaktionen auf die dramatischen Vorgänge.

Wörtlich schreibt der Papst: «Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln» (21). Die Wurzel dessen sei eine «Wegwerfkultur», der mit einer Wirtschaft begegnet werden müsse, die auf Recycling und auf die Begrenzung des Gebrauchs nicht-erneuerbarer Ressourcen setzt. Leider seien «die Fortschritte in diesem Sinn noch sehr gering» (22), bemängelt der Papst. Der Klimawandel ist für den Papst ein wissenschaftliche belegtes Faktum (23) und «ein globales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen» (25).

Wasser ist für den Papst ein zentrales Thema. Er schreibt sehr deutlich: «Der Zugang zu sicherem Trinkwasser ist ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht, weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist» (30). Den Armen den Zugang zu Wasser vorzuenthalten heisse, «ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräusserlichen Würde verankert ist» (30). Das vom Menschen verursachte Aussterben von Pflanzen und Tieren verändere das Ökosystem und die Konsequenzen dessen in der Zukunft sind noch nicht absehbar, warnt der Papst weiter (33).

Papst Franziskus beklagt die weltweite soziale Ungerechtigkeit: «Tatsächlich schädigen der Verfall der Umwelt und der der Gesellschaft in besonderer Weise die Schwächsten des Planeten» (48), also die Mehrheit der Weltbevölkerung. In internationalen politischen und ökonomischen Debatten würden sie nur noch als «Kollateralschaden» wahrgenommen (49).

Der Papst weist dabei auf die Notwendigkeit hin, «dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde» (49). Eine Lösung liege sicher nicht in der Begrenzung der Geburtenrate, sondern darin, dem «extremen und selektiven Konsumverhalten» eines kleinen Teils der Weltbevölkerung entgegenzuwirken (50). Es werde deutlich, «dass die Verschlechterung der Umweltbedingungen und die Verschlechterung im menschlichen und ethischen Bereich eng miteinander verbunden sind». (56) Der Papst kritisiert die Schwäche der Reaktionen angesichts des dramatischen Befunds. Es fehle am Willen, den eigenen Lebensstil, die Produktionsbedingungen und den Konsum zu ändern (59).

Kapitel 2 – «Das Evangelium von der Schöpfung»

Um den Problemen, die in Kapitel 1 beschrieben wurden, begegnen zu können, bezieht sich Papst Franziskus auf die Bibel. Er bietet eine umfassende und auf der jüdisch-christlichen Tradition aufbauende Perspektive an und beschreibt die «unermessliche Verantwortung» der Menschheit für die Schöpfung, die enge Verbindung unter allen Geschöpfen. Der Glaube biete «wichtige Motivationen für die Pflege der Natur und die Sorge für die schwächsten Brüder und Schwestern» (64), hält er fest. Die Verantwortung für die Natur sei Teil des christlichen Glaubens.

Der Schöpfungsbericht sei ein Schlüssel, um über die Beziehung zwischen den Menschen und den anderen Geschöpfen nachzudenken und darüber, wie die Sünde das Gleichgewicht der Schöpfung als Einheit zerbricht: «Diese Erzählungen deuten an, dass sich das menschliche Dasein auf drei fundamentale, eng miteinander verbundene Beziehungen gründet: die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Erde. Der Bibel zufolge sind diese drei lebenswichtigen Beziehungen zerbrochen, nicht nur äusserlich, sondern auch in unserem Innern. Dieser Bruch ist die Sünde» (66). Die Erde sei Gabe, nicht Besitz; sie wurde den Menschen gegeben zum Hüten, nicht zum Zerstören (72).

Der Papst spricht von der universalen Gemeinschaft: Gott allein ist der Herr, «das gibt Anlass zu der Überzeugung, dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft, die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt bewegt» (89). In dieser universalen Gemeinschaft sei der Mensch, begabt mit Verstand und Persönlichkeit, einzigartig (81). Die Menschen seien für die Schöpfung, die ihrer Sorge überantwortet ist, verantwortlich. Jedes Geschöpf besitzt eine Funktion und keines sei überflüssig, betont Franziskus (84). Das gesamte geschaffene Universum spreche von Gottes Liebe (84).

Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur könne aber jedenfalls nicht echt sein, «wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist» (91). Die Ungereimtheit dessen, «der gegen den Handel mit vom Aussterben bedrohten Tieren kämpft, aber angesichts des Menschenhandels völlig gleichgültig bleibt, die Armen nicht beachtet oder darauf beharrt, andere Menschen zu ruinieren, die ihm missfallen», sei offensichtlich (91).

Kapitel 3 – «Die menschlichen Wurzeln der ökologischen Krise»

Während der Papst im ersten Kapitel seiner Enzyklika die Phänomene der gegenwärtigen ökologischen und sozialen Krise thematisiert, analysiert er im dritten Kapitel die diesen Phänomen zugrundeliegenden menschlichen Ursachen. Er ortet diese vor allem in einem weltweit vorherrschenden «technokratischen Paradigma» und einer falschen Sicht der Stellung des Menschen (Anthropozentrismus) und seines Handelns in der Welt (Relativismus).

Tatsache sei, dass «der moderne Mensch nicht zum richtigen Gebrauch der Macht erzogen wird», denn das enorme technologische Wachstum sei nicht mit einer Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen einher gegangen. Die Menschheit brauche deshalb eine solide Ethik, eine Kultur und Spiritualität, die Grenzen setzen und den Selbstbeschränkung lehren (105).

Der Papst kritisiert die «Globalisierung des technokratischen Paradigmas»: Das dominante technokratische Paradigma nehme die gesamte Realität als Objekt wahr, die man grenzenlos manipulieren kann. Von da aus gelange man leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr begeisterte. «Dieses Wachstum setzt aber die Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus auszupressen», so der Papst (106).

Das technokratische Paradigma beherrscht ebenso die Wirtschaft wie die Politik, stellt der Papst kritisch fest (109). Die Finanzen erstickten die Realwirtschaft. Für den Papst steht fest: «Man hat die Lektionen der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt, und nur sehr langsam lernt man die Lektionen der Umweltschädigung. Der Markt von sich aus gewährleistet jedenfalls nicht die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die soziale Inklusion (109). Papst Franziskus zeigt sich aber grundsätzlich optimistisch: Die menschliche Freiheit sei in der Lage, die Technik zu beschränken, sie zu lenken und in den Dienst einer anderen Art des Fortschritts zu stellen, der gesünder, menschlicher, sozialer und ganzheitlicher ist (112).

Der moderne fehlgeleitete Anthropozentrismus akzeptiere nicht die Natur als Norm, sondern er stelle die technische Vernunft über die Wirklichkeit (115), kritisiert der Papst weiter. Und er wird deutlich: «Wenn man schon in der eigenen Wirklichkeit den Wert eines Armen, eines menschlichen Embryos, einer Person mit Behinderung – um nur einige Beispiele anzuführen – nicht erkennt, wird man schwerlich die Schreie der Natur selbst hören.» Alles sei miteinander verbunden (117).

Die Kritik an einem fehlgeleiteten Anthropozentrismus dürfe aber nicht zur Hinwendung zu einem ebenso unausgeglichenen «Biozentrismus» werden, die dem Menschen jeglichen besonderen Wert abspricht, warnt der Papst. Es gebe keine Ökologie ohne eine angemessene Anthropologie. «Wenn der Mensch bloß für ein Wesen unter anderen gehalten wird, das aus einem Spiel des Zufalls oder einem Determinismus der Natur hervorgeht, dann droht in den Gewissen der Menschen das Verantwortungsbewusstsein abzunehmen» (118).

Als Konsequenz eines fehlgeleiteten Anthropozentrismus ortet der Papst einen praktischen Relativismus, bei dem alles irrelevant wird, «wenn es nicht den unmittelbaren eigenen Interessen dient» (122). Dieser Relativismus treibe einen Menschen dazu, «einen anderen auszunutzen und ihn als ein bloßes Objekt zu behandeln, indem er ihn zu Zwangsarbeit nötigt oder wegen Schulden zu einem Sklaven macht» (123).

Ausdrücklich spricht der Papst von der Notwendigkeit, die Arbeit zu schützen: bei jeder ganzheitliche Ökologie «ist es unerlässlich, den Wert der Arbeit einzubeziehen» (124). Jeder müsse die Möglichkeit haben, zu arbeiten, denn diese sei «Teil des Sinns des Lebens auf dieser Erde, Weg der Reifung, der menschlichen Entwicklung und der persönlichen Verwirklichung» (128).

Einmal mehr macht Franziskus auch deutlich, dass sich der Einsatz für Ökologie und Menschenwürde nicht trennen lässt, wenn er schreibt: «Andererseits ist es besorgniserregend, dass einige ökologische Bewegungen, wenn sie die Unversehrtheit der Umwelt verteidigen und zu Recht gewisse Grenzen für die wissenschaftliche Forschung fordern, bisweilen dieselben Prinzipien nicht für das menschliche Leben anwenden. Für gewöhnlich wird das Überschreiten aller Grenzen gerechtfertigt, wenn mit lebenden menschlichen Embryonen Experimente durchgeführt werden. Man vergisst, dass der unveräusserliche Wert eines Menschen jenseits seiner Entwicklungsstufe liegt.» (136)

Kapitel 4 – «Eine ganzheitliche Ökologie»

Die Phänomene und Ursachen der ökologischen und sozialen Fehlentwicklungen hat Papst Franziskus in den vorangegangenen Kapiteln auf den Tisch gelegt. Nun möchte er diesem Befund eine «ganzheitliche Ökologie» als neues Paradigma der Gerechtigkeit entgegenhalten. Es gebe einen Zusammenhang zwischen Umweltfragen und sozialen und menschlichen Fragen, der nicht zerbrochen werden darf, betont der Papst einmal mehr (141).

Deswegen sei es entscheidend, «ganzheitliche Lösungen zu suchen, welche die Wechselwirkungen der Natursysteme untereinander und mit den Sozialsystemen berücksichtigen. Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise» (139). Die Wege zur Lösung erforderten einen ganzheitlichen Zugang, «um die Armut zu bekämpfen, den Ausgeschlossenen ihre Würde zurückzugeben und sich zugleich um die Natur zu kümmern.» (139) Ökologie setze auch die Pflege der kulturellen Reichtümer der Menschheit im weitesten Sinn voraus» (143). Es sei notwendig, die Rechte der Völker und Kulturen in diese Ökologie zu integrieren, vor allem dadurch, dass die lokalen sozialen Akteure eine zentrale Rolle übernehmen (144), mit besonderer Aufmerksamkeit für indigene Gemeinschaften (146).

Ganzheitliche Ökologie umfasst auch den Alltag. Die Enzyklika wendet sich besonders dem urbanen Leben zu. Der Papst fordert eine ganzheitliche Verbesserung der Lebensqualität: bei Wohnraum, öffentlichen Plätzen, bei Gebäuden, bei Transport und Verkehr etc. (150-154). Die menschliche Dimension der Ökologie beinhalte auch das Akzeptieren des eigenen Körpers als Gabe Gottes» so der Papst. Eine Logik der Herrschaft über den eigenen Körper könne sich in eine manchmal subtile Logik der Herrschaft über die Schöpfung verwandeln, warnt der Papst (155).

Schliesslich betont der Papst das Prinzip des Gemeinwohls: Ganzheitliche Ökologie oder Humanökologie «ist nicht von dem Begriff des Gemeinwohls zu trennen» (156). «In der gegenwärtigen Situation der globalen Gesellschaft, in der es so viel soziale Ungerechtigkeit gibt und immer mehr Menschen ausgeschlossen und ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt werden», werde der Einsatz für das Gemeinwohl immer auch zu einen «Appell zur Solidarität» und zu einer «vorrangige Option für die Ärmsten» (158).

Das Gemeinwohl betreffe aber nicht nur die gegenwärtige Generation sondern ebenso die zukünftigen Generationen: «Ohne eine Solidarität zwischen den Generationen kann von nachhaltiger Entwicklung keine Rede mehr sein» (159), betont Franziskus. Darüber dürften die Armen von heute aber nicht vergessen werden. Den Kern von «Laudato si» bildet die Frage «Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?» (160).

Kapitel 5 – «Einige Leitlinien für Orientierung und Handlung»

Die Frage nach konkreten Leitlinien und Handlungsorientierungen steht im Mittelpunkt des fünften Kapitels. Die bisherigen politischen Versuche, etwa in Form von Klimakonferenzen eine Lösung der globalen ökologischen Krise herbeizuführen, werden von Franziskus als defizitär beschrieben. «Sehr spärlich» (169) seien etwa die Fortschritte beim Klimawandel. Kein gutes Haar lässt der Papst in diesem Zusammenhang an der großen Klimakonferenz 2012 in Rio de Janeiro (»Rio+20»). Die Folgen des Klimawandels seien unübersehbar – und «wie immer trifft es die Schwächsten» (170). Daran werde auch der weltweite Emmissionszertifikate-Handel nichts ändern, zeigt sich Franziskus überzeugt: Denn dieses System bringe keine «radikale Veränderung» mit sich, sondern verbleibe in einer Wirtschaftslogik, die gerade mit Schuld trage an den Entwicklungen.

Hoffnungszeichen sieht Franziskus dagegen vor allem in zivilgesellschaftlichen Aufbrüchen und Neuansätzen: «Während die Menschheit des post-industriellen Zeitalters vielleicht als eine der verantwortungslosesten der Geschichte in der Erinnerung bleiben wird, ist zu hoffen, dass die Menschheit vom Anfang des 21. Jahrhunderts in die Erinnerung eingehen kann, weil sie grossherzig ihre schwerwiegende Verantwortung auf sich genommen hat.» (165) Damit diese Verantwortung konkret wird, brauche es «dringend (…) internationaler Vereinbarungen» (173), die zwar die Souveränität der Staaten wahren, «aber auch miteinander abgestimmte Wege festlegen, um lokale Katastrophen zu vermeiden, die letztlich allen schaden würden».

Auch an dieser Stelle verknüpft Franziskus das Thema des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit wieder mit dem Thema Armut, wenn er fordert: «Wir brauchen eine verantwortlichere weltweite Reaktion, die darin besteht, gleichzeitig sowohl die Reduzierung der Umweltverschmutzung als auch die Entwicklung der armen Länder und Regionen in Angriff zu nehmen» (175). In seiner Forderung nach starken «internationalen Institutionen (…), die Befugnisse haben, die durch Vereinbarung unter den nationalen Regierungen gerecht bestimmt werden, und mit der Macht ausgestattet sind, Sanktionen zu verhängen», weiss sich Franziskus zugleich einig mit seinem Vorgänger Benedikt XVI., der in seiner Enzyklika «Caritas in veritate» bereits eine «echte politische Weltautorität» eingefordert hatte.

Als «Drama» bezeichnet der Papst indes, dass die Politik sich offenbar ganz dem Diktat des «kurzfristigen Wachstums» verschrieben hat und sich mit solchen grösseren Zusammenhängen schwer tut (178).

Keinen Zweifel lässt Franziskus daran, wer im Ringen zwischen Wirtschaft und Politik die Oberhoheit behalten muss: «Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen, und diese darf sich nicht dem Diktat und dem effizienzorientierten Paradigma der Technokratie unterwerfen» (189). Politik und Wirtschaft müssten sich beide «entschieden in den Dienst des Lebens» stellen, mahnte der Papst – und er benennt ein konkretes Beispiel, wo dies seines Erachtens nicht gelungen sei: «Die Rettung der Banken um jeden Preis, indem man die Kosten dafür der Bevölkerung aufbürdet, ohne den festen Entschluss, das gesamte System zu überprüfen und zu reformieren, unterstützt eine absolute Herrschaft der Finanzen, die keine Zukunft besitzt und nach einer langwierigen, kostspieligen und scheinbaren Heilung nur neue Krisen hervorrufen kann» (189). So sei man durch die Finanzkrise hindurchgekommen, ohne die «veralteten Kriterien zu überdenken, die weiterhin die Welt regieren».

Es brauche eine neue Definition von Fortschritt (194). Eine wirtschaftliche und technologische Entwicklung, die ausschliesslich dem «Prinzip der Gewinnmaximierung» (195) huldigt, und die nicht eine bessere Welt und höhere Lebensqualität hinterlasse, könne kein wirklicher Fortschritt sein. Und so appelliert der Papst: «Wir brauchen eine Politik, deren Denken einen weiten Horizont umfasst und die einem neuen, ganzheitlichen Ansatz zum Durchbruch verhilft, indem sie die verschiedenen Aspekte der Krise in einen interdisziplinären Dialog aufnimmt» (197). Wenn die Politik indes nicht imstande ist, «eine perverse Logik zu durchbrechen» und wenn sie nicht über «armselige Reden» hinauskomme, so werde die Menschheit «weitermachen, ohne die grossen Probleme der Menschheit in Angriff zu nehmen» (197), mahnt der Papst.

Auf diesem Weg seien die Religionen ein wichtiger Dialogpartner, sei doch der grösste Teil der Weltbevölkerung «Glaubende» (201). Dies müsse die Religionen letztlich veranlassen, auch untereinander «einen Dialog (…) aufzunehmen, der auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist».

Kapitel 6 – «Ökologische Erziehung und Spiritualität»

Damit ein nachhaltiger Lebensstil gelingen kann und sich eine neue, von zivilgesellschaftlichem Engagement getragene Politik etablieren kann, braucht es nach der Überzeugung von Papst Franziskus auch ein neues «Bewusstsein des gemeinsamen Ursprungs» (202). Dieses Bewusstsein zu schaffen sei eine «grosse kulturelle, spirituelle und erzieherische Herausforderung», so der Papst im letzten Kapitel unter dem Titel «Ökologische Erziehung und Spiritualität».

So gelte es, erneut individuelle Grundhaltungen der Sorge, der Demut und der Orientierung am Anderen einzuüben, die letztlich in einer neuen «Kultur der Achtsamkeit» (231) und einer neuen Politik münden können. In diesem Sinne bedeute «Umwelterziehung» heute auch mehr als nur eine Vergewisserung eines nachhaltigen Lebensstils; vielmehr gehe es darum, einen «Sprung in Richtung auf das Mysterium zu vollziehen, von dem aus eine ökologische Ethik ihren tiefsten Sinn erlangt» (210) – anders gesagt: Es geht Franziskus darum, eine neue Mystik der offenen Augen im Blick auf den Nächsten wie im Blick auf die Umwelt zu entwickeln. Diese Mystik geht einher mit einer neuen Einfachheit im Lebensstil, mit Sparsamkeit und Demut vor der Schöpfung. Ort dieser Erziehung ist die Schule, aber zugleich auch die Familie (213).

Damit eine «ökologische Umkehr» gelingen kann, könne auch aus dem «grossen Reichtum der christlichen Spiritualität» (216) geschöpft werden, so der Papst weiter. Insofern sei die gegenwärtige ökologische Krise auch ein Appell zu einer «tiefgreifenden inneren Umkehr» – indes gebe es auch unter den «engagierten und betenden Christen» (217) einige, die «unter dem Vorwand von Realismus und Pragmatismus» die Umweltsorgen «bespötteln», so der Papst. Diesen Christen mangele es an «ökologischer Umkehr», mehr noch: es mangele ihnen an Einsicht in das Wesen des christlichen Glaubens selbst (217).

Die christliche Spiritualität dränge laut Franziskus auf einen anderen, «prophetischen und kontemplativen Lebensstil, der fähig ist, sich zutiefst zu freuen, ohne auf Konsum versessen zu sein» (222) und der der «alten Lehre» folgt, «dass ‘weniger mehr ist’». Abschliessend schlägt der Papst zwei Gebete vor: ein Gebet für unsere Erde und ein christliches Gebet mit der Schöpfung. (kap)

Massiv verschmutzte Meeresküste mit Wohlstandsabfällen | © Georges Scherrer
18. Juni 2015 | 12:00
Lesezeit: ca. 11 Min.
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Als E-Book und in Buchform

Die Umweltenzyklika von Papst Franziskus erscheint am 29. Juni in Buchform im Freiburger Verlag Herder. Kommentiert wird die 288seitige deutsche Ausgabe von Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller, dem Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation. Über die Internetseite des Verlags ist der Band bereits ab 19. Juni  als E-Book erhältlich.

Der vollständige Text der Enzyklika ist aktuell auf der Internetseite des Vatikans einsehbar.

Enzyklika – päpstliches Lehrschreiben

Es ist an die katholische Weltkirche, gelegentlich zudem an «alle Menschen guten Willens», also auch an Nichtkatholiken, gerichtet. Enzykliken beanspruchen ein hohes Mass an Verbindlichkeit. Sie werden in der katholischen Kirche als Ausdruck der obersten Lehrgewalt des Papstes verstanden, sind aber keine unfehlbaren Lehrentscheidungen im dogmatischen Sinn.

In Enzykliken nehmen die Päpste vornehmlich zu theologischen, moralischen oder sozialen Fragen Stellung. Die meist lateinischen Anfangsworte gelten als Titel des Textes. Der Begriff Enzyklika stammt aus dem Griechischen und bedeutet «Rundschreiben».

Am Donnerstag veröffentlicht Papst Franziskus seine zweite Enzyklika; sie widmet sich dem Thema Umwelt. Bei seiner ersten Enzyklika über den Glauben vom Juli 2013 handelte es sich nach eigener Aussage um ein «Werk der vier Hände», das auf massgeblichen Vorarbeiten seines Vorgängers Benedikt XVI. (2005-2013) fusste.

Die Zahl der päpstlichen Rundschreiben beläuft sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts auf mehrere hundert. Begründet wurde die Tradition der Enzykliken von Benedikt XIV. (1740-1758), der kurz nach seinem Amtsantritt das Rundschreiben «Ubi primum» über die Amtsführung von Bischöfen veröffentlichte. (kna)