Georg Bier, Theologe und Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg i.Br.
International

Kirchenrechtler zu kirchlichem Dienst und Homosexualität: «viel Interpretationspotenzial»

Wer in einem kirchlichen Dienstverhältnis steht, muss seine Loyalität zur katholischen Sittenlehre erklären. Der deutsche Kirchenrechtler Georg Bier (62) erklärt, wann und warum Arbeitnehmende in homosexuellen Partnerschaften gekündigt werden können.

Annika Schmitz

Die katholische Kirche und homosexuelle Beschäftigte – das ist keine einfache Beziehung. Auf welchen Grundlagen steht das Arbeitsverhältnis?

Georg Bier: Für alle kirchlichen Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer in Deutschland gilt die Grundordnung des kirchlichen Dienstes, die die deutschen Bischöfe 2015 in einer revidierten Fassung vorgelegt haben. Die Beschäftigten müssen danach bestimmte Loyalitätsverpflichtungen beachten und erfüllen. Dazu gehört auch das Ausrichten der eigenen Lebensführung an den Grundsätzen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre.

Die ist ja in Sachen Homosexualität ziemlich eindeutig.

Bier: Jemand, der bekannt macht, dass er homosexuell ist, legt erst einmal nur dar, wie es um die eigene sexuelle Orientierung bestellt ist. Das ist noch kein Verstoss gegen eine Loyalitätsverpflichtung. Ein solcher Verstoss kann vorliegen, wenn jemand eine gleichgeschlechtliche Ehe eingeht.

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

Kann, muss aber nicht?

Bier: Bis 2015 waren die Bestimmungen eindeutiger. Nach der revidierten Fassung ist das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe grundsätzlich erst einmal kein Loyalitätsverstoss. Es kann aber zu einem Loyalitätsverstoss werden, wenn das Eingehen der gleichgeschlechtlichen Ehe geeignet ist, ein «erhebliches Ärgernis» in der Dienstgemeinschaft oder dem beruflichen Wirkungskreis zu erregen oder die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.

«Eine homosexuelle Partnerschaft ist nicht mehr in jedem Fall ein Loyalitätsverstoss.»

Wer entscheidet denn dann, wie und wann ein solches «erhebliches Ärgernis» vorliegt und welche Fälle geeignet sind, dieses Ärgernis hervorzurufen?

Bier: Da steckt viel Interpretationspotenzial drin. Alles liegt im Ermessen des Dienstgebers. Man kann festhalten: Eine homosexuelle Partnerschaft ist nicht mehr in jedem Fall ein Loyalitätsverstoss. Im kirchlichen Dienst Beschäftigte, die in einer gleichgeschlechtlichen Ehe leben, können heute anders als vor 2015 hoffen, dass dies auf Ihre Anstellung keine Auswirkungen hat – sicher sein können sie aber nicht.

Gilt das für alle kirchlichen Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer?

Bier: Nein. Für Beschäftigte im kirchlichen Dienst, die pastoral oder katechetisch tätig sind, also zum Beispiel für Pastoralreferenten, oder für Beschäftigte, die aufgrund einer «missio canonica» oder einem besonderen bischöflichen Auftrag tätig sind, wird die Eignung zur Erregung eines Ärgernisses unwiderlegbar vermutet. In diesen Fällen kann das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe möglicherweise also schnell zur Kündigung führen.

Nicole Büchel wollte das Thema Kirche und Homosexualität nicht "nochmals aufwärmen".
Nicole Büchel wollte das Thema Kirche und Homosexualität nicht "nochmals aufwärmen".

«Je grösser die Nähe zur Verkündigung, desto schwieriger kann es für Beschäftigte werden.»

Je grösser die Nähe zum Sendungsauftrag der Kirche, je grösser die Nähe zur Verkündigung der Kirche, desto schwieriger kann es für Beschäftigte werden, wenn ihre Lebensführung nicht der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre entspricht. Das gilt dann übrigens auch für Religionslehrkräfte an staatlichen Schulen. Das sind zwar keine kirchlich Beschäftigten, aber sie benötigen eine «missio canonica», die in solchen Fällen entzogen werden kann.

«Der Priester ist verpflichtet zu vollständiger sexueller Enthaltsamkeit.»

Und wie sieht es im Fall von Priestern aus?

Bier: Für einen Priester ist nicht eine bestimmte sexuelle Orientierung gefordert. Er ist verpflichtet zum Zölibat, also zu vollständiger sexueller Enthaltsamkeit. 2005 hat die Bildungskongregation in einer Instruktion – das ist eine Ausführungsbestimmung zu einem Gesetz – jedoch klargestellt, dass auch die nicht praktizierte Homosexualität einen Eignungsmangel darstellt. Es sei deswegen nicht zulässig, diese Männer zu weihen. Wenn sich ein Bischof darüber hinwegsetzt, ist die Weihe trotzdem gültig – und ein Coming Out nach der Priesterweihe ändert daran auch nichts.

Wie wirkt sich diese Instruktion denn aus?

Bier: Sie führt meines Erachtens vor allem dazu, dass Männer sich verstärkt überlegen, ob sie ihre sexuelle Orientierung offenlegen oder nicht, und dass homosexuelle Neigungen verschwiegen und unterdrückt werden. Sie führt aber sicher nicht dazu, dass homosexuelle Männer nicht mehr zu Priestern geweiht werden.

«Zur Entlassung aus dem Klerikerstand kommt es in der Praxis regelmässig nicht.»

Welche Konsequenzen kann es für einen Priester haben, der sich outet?

Bier: Wenn er offen in einer homosexuellen Partnerschaft lebt, könnte er sanktioniert werden – das könnte aber auch dem heterosexuellen Priester passieren, der ja auch gegen den Zölibat verstösst. Das kann nach dem – gerade novellierten – kirchlichen Strafrecht bis zu einer Entlassung aus dem Klerikerstand führen. Dazu kommt es aber in der Praxis regelmässig nicht.

Das klingt so, als ob es einfacher ist, einem homosexuellen Religionslehrer die Dienstausübung zu verbieten als einem Priester?

Bier: So ist es. Einen Priester aus dem Klerikerstand zu entlassen ist deutlich schwieriger als einem Religionslehrer die «missio canonica» zu entziehen und ihm damit im Ergebnis seine Tätigkeit zu verbieten.

Viele Regelungen des kirchlichen Arbeitsrechts wirken in unserer gegenwärtigen Gesellschaft anachronistisch und antiquiert. Welchen Einfluss haben Arbeitsgerichte und ihre Rechtsprechung auf das Kirchenrecht?

Bier: Traditionell ist die Rechtsprechung in Deutschland sehr kirchenfreundlich. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil von 1985 festgestellt, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sehr weit reicht und den Kirchen im Arbeitsrecht eine weitgehende Kompetenz eröffnet, die eigenen Angelegenheiten nach den eigenen Vorstellungen zu ordnen.

Und doch kam es in den letzten Jahren zu erfolgreichen Klagen gegen kirchliche Organisationen. Das Bundesarbeitsgericht hat beispielsweise 2019 die Kündigung eines Chefarztes, der in zweiter Ehe verheiratet war, für unwirksam erklärt.

Bier: In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wird zunehmend die Auffassung vertreten, bestimmte Einschätzungen kirchlicher Dienstgeber müssten objektiv überprüfbar sein – zum Beispiel ob für eine konkrete Tätigkeit die persönliche Lebensführung wirklich relevant ist oder ob für einzelne Tätigkeiten eine bestimmte Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten gefordert werden darf. Das ist ein erheblicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, wie es bislang verstanden wurde. Zunehmend bewerten Arbeitsgerichte Entscheidungen der Kirche auch inhaltlich. Der Kirche wird nicht mehr ein uneingeschränktes Recht zugebilligt, ihre Angelegenheiten wirklich völlig losgelöst von allen anderen Umständen zu ordnen und zu verwalten.

Wir sprechen die ganze Zeit von Homosexualität. Die queere Community umfasst aber beispielsweise auch transsexuelle oder nicht-binäre Menschen. Wie geht das Kirchenrecht mit ihnen um?

Bier: Der Gesetzgeber hatte diese Sachverhalte bislang nicht im Blick und deswegen sind sie auch nicht implizit berücksichtigt. Dezidiert von Mann und Frau spricht das Kirchenrecht nur beim Sakrament der Ehe und bei der Weihe. Im Mai 2019 hat die Glaubenskongregation in einer vertraulichen Note darauf hingewiesen, dass transsexuelle Menschen keinen Rechtsanspruch auf kirchliche Funktionen haben. Um kein Ärgernis zu erregen oder um keine Verwirrung zu stiften, sollten sie demnach eher nicht als Religionslehrer tätig sein oder Lektoren werden.

Georg Bier, Theologe und Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg i.Br. | © Andree Kaiser/KNA
24. Januar 2022 | 15:48
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