Wikinger-Schiff
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Kein Ort für Einzelkämpfer – Eine kleine Seelenkunde furchtloser Nordmänner

Reykjavik, 30.6.16 (kath.ch) Ganz Europa schaut plötzlich auf Island, auf elf furchtlose Nordmänner aus einem Land mit so wenigen Einwohnern wie Bern und Basel zusammen, trainiert von einem Zahnarzt und mit einem Jahresgehalt, wie es die Stars der EM in einer Woche verdienen. Eine Welle der Sympathie wogt über ein eher unwirtliches Land, das sonst wenig im Fokus steht. Nach den begeisternden EM-Auftritten steht fest: Diese Männer glauben an sich. Bis vor zehn Monaten war mit Pierre Bürcher ein Schweizer katholischer Bischof der Insel.

Angelika Prauss und Alexander Brüggemann

Widerstandskraft, Zähigkeit und Stehvermögen – Eigenschaften, die schon die norwegischen Wikinger brauchten, als sie Island um das Jahr 870 besiedelten. Sie hätten sich wohnlichere Gefilde aussuchen können als das dunkle, kalte und karge Eiland im Nordmeer. Missernten, Epidemien, Vulkanausbrüche und Tierseuchen sorgten immer wieder dafür, dass das Leben dort bis Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem ein Überlebenskampf war. Noch in den 1930er Jahren hausten vereinzelt Isländer in Höhlen ohne Strom.

Als Einzelkämpfer konnte man in dieser Gegend kaum überleben. Teamgeist ist immer und überall gefragt, wo knapp 330.000 Einwohner ein komplettes Gemeinwesen am Laufen halten müssen, wie Kristof Magnusson in seiner «Gebrauchsanweisung für Island» schreibt: «vom Geigenbauer über den Kindernephrologen bis zum Fluglotsen». Nebenbei müsse auch der Nationalstaat funktionieren, Diplomaten entsandt und das reiche kulturelle Leben mit Oper, Nationalballett und Sinfonieorchester bestückt sein. Ebenso die Fussballnationalmannschaft. Und so arbeiten eben manche Isländer gleich in mehreren Berufen. Torwart Hannes Halldorson etwa ist gelernter Filmemacher.

Kneipen im heissen Topf

Gemeinschaft wird nicht nur im Sport gepflegt. Unzählige Isländer verkürzen sich die langen Winterabende beim Singen im einen Chor. Zum Plauschen trifft man sich nicht in der Kneipe, sondern im «Heitur pottur» («heissen Topf») in einem der rund 170 Freibäder der Vulkaninsel. In den kleinen Becken mit eingelassenen Sitzbänken ist Platz für rund acht Leute. Im 40 Grad warmen Wasser lässt sich bei Wind und Wetter plaudern – in diesen Tagen etwa über Spieltaktiken und den fulminanten EM-Durchmarsch.

Die Isländer sind ein stolzes Volk. Die Wirtschaftskrise 2009 haben sie überstanden. Wer so weit vom Rest Europas gut überlebt, weiss um seine Stärken. Auch aufgrund der Krise in der EU hat Island im Frühjahr 2015 seinen Antrag auf Mitgliedschaft zurückgezogen. Einst flohen die norwegischen Wikinger vor der Unterdrückung in ihrer Heimat. Diese Freiheit möchten sie sich nicht noch einmal nehmen lassen. Nach einer Phase relativer Unabhängigkeit geriet Island ab Mitte des 13. Jahrhunderts zunächst unter norwegische, dann unter dänische Hoheit. Erst 1944 erklärte es seine Unabhängigkeit.

Religion auf Island

Bleibt noch die Gretchenfrage: Isländer, wie hältst du’s mit der Religion? Auf der Insel lebt eine kleine katholische Gemeinschaft. Von 2007 bis September 2015 war der Schweizer Pierre Bürcher ihr Bischof.

Auf der Insel ist jedoch die evangelisch-lutherische Kirche Staatskirche. Sie wird staatlich gefördert und geschützt. Ihr Anteil an der Bevölkerung sank jedoch zuletzt von 96 Prozent (1994) auf 74 Prozent (2015). Seit 2012 ist mit Agnes Sigurdardottir erstmals seit 1.000 Jahren eine Bischöfin Kirchenoberhaupt Islands. Eine Minderheit von etwa 3,5 Prozent gehört der katholischen Kirche an, knapp 6 Prozent verschiedenen Freikirchen.

Sympathisch: Die Christianisierung um das Jahr 1000 verlief vergleichsweise unblutig. Naja, ein paar Todesdrohungen seitens des norwegischen Königs Olav I. gab es schon, sollten die Isländer nicht bald das Christentum annehmen. Ein Schiedsspruch wurde schliesslich als klug akzeptiert: Taufe ja, aber auch die Erlaubnis, im Stillen den alten Göttern zu dienen. Wahrscheinlich rührt daher die weit verbreitete (und vom Tourismus beförderte) Neigung der Isländer, bis heute an Volkssagen, Elfen und Trollen festzuhalten.

Die Einführung der Reformation um 1540 geschah «von oben», durch ein politisches Geflecht von dänisch-norwegischem König und rivalisierenden Bischöfen. Eine reformatorische Bewegung im Sinne eines bürgerschaftlichen Wechselwillens hat es in Island nicht gegeben. Und so läuft es dann auch in der Ökumene wie bei so vielem auf der Insel: Man rückt zusammen und hilft sich. (kna)

 

Wikinger-Schiff | © pixabay.com CC0
30. Juni 2016 | 17:16
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