Flüchtlingszelte in einer Kirche im Irak
Schweiz

Katholische Kirche Luzern ist für mögliches Kirchenasyl gerüstet

Luzern, 17.5.18 (kath.ch) Die Katholische Kirche Stadt Luzern hat sich für mögliche Fälle von Kirchenasyl gerüstet: Am Mittwoch hat der Grosse Kirchenrat Grundsätze zum Kirchenasyl verabschiedet. Diese müssten lediglich noch abgeglichen werden mit einem Papier der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, welches derzeit in Vorbereitung ist, heisst es in einer Medienmitteilung der Katholischen Kirche Stadt Luzern (16. Mai).

Sylvia Stam

Auslöser sei ein konkreter Fall vor zwei Jahren gewesen, sagt Nicola Neider Ammann, Leiterin des Bereichs Migration/Integration der Katholischen Kirche Stadt Luzern, auf Anfrage. «Wir haben damals einer kurdischen Familie ad hoc Kirchenasyl gewährt, ohne dass  genügend Zeit war,  die Situation juristisch abzuklären.» Das Kirchenasyl konnte denn auch nicht aufrechterhalten werden, so Neider.

Dies sei der Anfang eines langen Meinungsbildungsprozesses bei den Leitungsgremien gewesen: Das Thema wurde im Kirchenrat (Exekutive der Kirchgemeinde) sowie im Pastoralraumteam (Konferenz der Pfarreileitenden) diskutiert. Das nun vorliegende Papier wurde vom Doppelrat (wo beide Leitungsgremien vereint sind) einstimmig verabschiedet und war dem Grossen Kirchenrat (Legislative) am Mittwoch vorgelegt worden.

Checkliste für den konkreten Fall

Das siebenseitige Dokument umfasst einerseits grundsätzliche Überlegungen aus rechtlicher und theologischer Sicht, klärt Voraussetzungen und hält verschiedene Aufgaben fest, ausserdem enthält es eine Checkliste, wie im konkreten Fall vorzugehen ist.

Theologisch basiert es auf zwei Bibelstellen: «Was ihr einem der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan», heisst es im Matthäusevangelium. Im Buch Levitikus, Kapitel 19 steht zudem: «Wenn ein Fremder bei dir lebt in eurem Land, sollt ihr ihn nicht bedrängen.»

Kirchenasyl als «ultima ratio»

»Wir haben unser Grundhaltungspapier mit anderen abgestimmt, die schweizweit bereits existieren», so Neider. «Ziel war es, unser Papier mit anderen abzustimmen und gleichzeitig für unseren Pastoralraum durchzubuchstabieren.» Unter den bestehenden Papieren erwähnt Neider die Migrationscharta sowie die Stellungnahme, welche Justitia et Pax im Jahr 1996 gemeinsam mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund herausgegeben hat. «Die bischöfliche Nationalkommission Justitia et Pax hat uns zugesichert, dass die darin formulierte Haltung nach wie vor gültig sei», so Neider.

Der Rechtsstaat soll nicht gegen seine eigenen Prinzipien verstossen.

Mehrmals wird im Schreiben der Luzerner Kirche betont, ein Kirchenasyl habe Appellcharakter: Es erinnere den Rechtsstaat daran, «in diesem konkreten Fall nicht gegen seine eigenen Rechtsprinzipien zu verstossen». Die Kirchen anerkennten grundsätzlich den Rechtsstaat, Kirchenasyl sei immer eine «ultima ratio» und zwar dann, wenn Menschen «durch staatliche Entscheidungen und Handlungen in ihrem Grund- und Menschenrechten gefährdet sind.» Kirchenasyl helfe, Zeit zu gewinnen und sei in jedem Fall die Ausnahme.

Mutter und Kind traumatisiert

Wann aber handelt es sich um eine solche Ausnahme? Neider erwähnt das Beispiel einer Mutter mit ihrem Kind im Primarschulalter, die seit einigen Monaten in der Schweiz leben. Ihr Asylgesuch sei abgelehnt worden, weil sie aus einem anderen Dublin-Land angereist seien. In jenem Land waren sie von ihren Verfolgern, vor denen sie aus dem Heimatland geflohen waren, aufgespürt worden. Nach der Rückschaffung in das Dublin-Land habe man die Frau mit ihrem minderjährigen Kind mittellos auf der Strasse stehen lassen und angedroht, sie in ihre Heimat zurückzuschicken, worauf sie erneut in die Schweiz geflohen sei.

«Die Tochter ist stark traumatisiert.»

«Die Tochter wurde durch die Ereignisse stark traumatisiert. Nicht zuletzt deshalb sollte diese Frau die Möglichkeit erhalten, in der Schweiz einen Asylantrag zu stellen, weil das Erstaufnahmeland sie sonst in die Heimat zurückschickt», argumentiert Neider. Sollte das Staatssekretariat für Migration für diese Frau kein nationales Asylverfahren eröffnen, wäre es für Neider durchaus möglich Kirchenasyl in Erwägung zu ziehen.

Keinen juristischen Status

Das Grundhaltungspapier hält fest, dass Kirchenasyl keinen juristischen Status habe und die Behörden sich Zutritt zu kirchlichen Räumen verschaffen könnten. Es empfiehlt, Asyl nur Menschen anzubieten, die einer Pfarrei oder einer anderen kirchlichen Organisation bereits seit längerem bekannt seien.

Das Kirchenasyl findet laut dem Dokument immer in einer konkreten Pfarrei statt, verantwortlich für die Entscheidung und Durchführung sei letztlich der Pfarreileiter oder die Pfarreileiterin. Dabei sei vorgängig mit Kirchenrat und Pastoralraumleitung Rücksprache zu halten. Zuständig für die Überprüfung der Situation sei der Bereich Migration/Integration der katholischen Kirche Stadt Luzern. Diese Fachperson betreue auch das Pfarreiteam und gewährleiste den Kontakt zu den Behörden.

Verfügungsgewalt und rasches Handeln

Diskussionen hat es laut Neider bei der Frage der Verantwortung und bei der Finanzierung gegeben. Es habe sich gezeigt, dass sinnvollerweise ein Pfarrer oder eine Gemeindeleiterin die Verantwortung tragen soll. «Die Person braucht einerseits Verfügungsgewalt über Räume, in denen die Schutzsuchenden leben können. Andererseits muss sie rasch handeln können.»

«Die Kosten könnten über eine Kollekte beglichen werden.»

Die Kosten für eine solche Unterbringung dürften nicht aus Kirchensteuern gedeckt werden, heisst es im Papier. «Die Kosten können beispielsweise über eine Kollekte, über Einnahmen aus der Antonius- oder aus Kerzenkassen beglichen werden.»

Sechs Monate überbrücken

Eine Anhäufung von Kirchenasyl-Fällen erwartet Neider nicht. «In der Regel werden es sehr verletzliche Menschen sein, Familien mit Kindern oder Kranke, welchen wir Kirchenasyl gewähren.» Es müsse sich um wirklich verletzliche Personen handeln, deren Leben bei einer Ausschaffung gefährdet sei und für die es in der Schweiz eine Zukunft geben könne. «Das Kirchenasyl darf nur temporär sein. Es soll angewendet werden, wenn es zum Beispiel darum geht, die sechsmonatige Überstellungsfrist des Dublin-Verfahrens zu überbrücken.»

«Es werden sehr verletzliche Menschen sein.»

Konkrete Zahlen möchte sie keine nennen, erwähnt aber, dass von den 200 Personen, die derzeit von der Beratungsstelle für Sans Papiers begleitet würden, nur wenige für ein Kirchenasyl in Frage kämen. Denn diese Menschen seien nicht von akuter Ausschaffung bedroht oder es gäbe für sie kurzfristig keine wirkliche Alternative in der Schweiz.

Auch die RKZ arbeitet an einem Grundlagenpapier

Das Papier wurde am Mittwoch vom Grossen Kirchenrat zustimmend zur Kenntnis genommen, dies allerdings mit dem Vorbehalt, es müsse mit einem Grundlagenpapier der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) zum gleichen Thema abgeglichen werden. Dieses sei jedoch erst in Vorbereitung.

Im Prinzip ist das Luzerner Papier damit verabschiedet. «Falls die RKZ inhaltlich etwas wesentlich anderes sagen sollte, als was in unserem Papier steht, müssten wir unser Papier nochmals abändern», so Neider. Gemäss Daniel Kosch, Generalsekretär der RKZ, wird dieses Papier der Plenarversammlung der RKZ vom 22./23. Juni vorgelegt. Kosch sieht inhaltlich keine wesentlichen Unterschiede zum Grundhaltungspapier aus Luzern, wie er auf Anfrage mitteilt.

Flüchtlingszelte in einer Kirche im Irak | © Kirche in Not
17. Mai 2018 | 16:39
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