Wolfgang Müller, Christine Axt Piscalar, Kurt Koch, Georg Pfleiderer, Lukas Kundert
Schweiz

Kardinal Koch zu den Reformierten: «Die Amtsfrage ist die Krux»

Basel, 15.11.5 (kath.ch) An seinem Vortrag an der Universität Basel forderte der Schweizer Kardinal Kurt Koch die Protestanten auf, ihr Kirchenverständnis zu klären und forderte einen Akt der Busse zum Auftakt des Reformationsjubiläums 2017. Die am Podiumsgespräch beteiligten Professoren und eine Professorin der protestantischen Theologie sahen die Dinge etwas anders.

Regula Pfeifer

Die gemeinsame Erklärung zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Katholischen Kirche vom 13. Oktober 1999 habe die zentralsten Fragen behandelt, die zur Kirchenspaltung geführt hatte, sagte Kurt Koch im Referat «Wohin geht die Ökumene? Entwicklungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil». Heute dränge sich im Hinblick auf das Reformationsjubiläum 2017 eine Klärung des Kirchenverständnisses auf. Es gehe darum, wie die Protestanten heute die Reformation betrachteten, als Bruch oder als bleibende Kontinuität der Kirche.

Geschichtsrevision notwendig

Laut Koch ging es dem deutschen Reformator Martin Luther um eine Erneuerung der Kirche. Das habe auch der deutsche Theologe Wolfhart Pannenberg so gesehen. Er schrieb, Luther habe die Reformation der gesamten Kirche angestrebt und keine separate Kirche. Das Reformationsgedenken werde eine Chance für die Ökumene sein, die es anzugehen gelte, so der Kardinal. Er plädierte aber, nicht zu rasch zur Gemeinschaft zu kommen, sondern erst den Konflikt auszuhalten. Immerhin habe die Reformation zu einem verheerenden Krieg, dem Dreissigjährigen Krieg, geführt. Da müsste gemäss Koch der erste Schritt des gemeinsamen Reformationsjubiläums ein öffentlicher Akt der Busse sein.

Danach sollten beide Seiten eine differenzierte geschichtliche Sichtweise entwickelten, so Koch. Die Katholiken müssten einen neuen Blick auf die Reformation werfen und die Reformierten einen neuen Blick auf die Kirche des Mittelalters.

Gravierender Richtungsunterschied

Allerdings steht gemäss Koch dem Ziel der ökumenischen Einheit ein gravierender Richtungsunterschied im Weg. Die Katholiken und die Orthodoxen strebten eine Einheit im Glauben, in den Sakramenten und den kirchlichen Ämtern an. Von den Protestanten her komme hingegen nur das Postulat der gegenseitigen Anerkennung. Die Leuenberger Konkordie habe nur zu einem Verständnis als Gemeinschaft verschiedener protestantischer Kirchen geführt. Das habe aber Auswirkungen auf eine mögliche Einheit der Kirche. «Es gibt so viele ökumenische Vorstellungen dieser Einheit, wie es Kirchen gibt», erklärte Koch und plädierte einmal mehr für eine Suche nach Einheit. Ohne eine solche Suche würde sich der christliche Glaube selbst aufgeben, fand der Kardinal. Auch eine Neuevangelisierung sei so kaum möglich; die Missionare würden ausgelacht.

Kochs Interpretation der Leuenberger Konkordie kam bei Christine Axt Piscalar, Professorin für Systematische Theologie in Göttingen, nicht besonders gut an. Sie habe aus den Voten des Kardinals eine deutliche Kritik an den protestantischen Kirchen gehört. Er habe von einer beliebigen Pluralität gesprochen. Da wolle sie fragen, so Axt Piscalar: Wie viel Vielfalt darf nach dem römisch-katholischen Konzept von Einheit der Kirche denn sein?

Versöhnung, ja, aber…

Selbstverständlich gebe es Einheit nur in der Vielfalt, aber auch umgekehrt Vielfalt in der Einheit, antwortete Koch. «Und unter Einheit kann nicht Einheitlichkeit verstanden werden.»

Der evangelischen Seite sei die Versöhnung wichtig, erklärte Lukas Kundert, Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Kirche Basel und Titularprofessor für Neues Testament an der dortigen Universität. «Wir lassen uns von Christus versöhnen», sagt Kundert und erläutert: «Lehrunterschiede, die wir zum Amt haben, sollen nicht kirchentrennend sein, weil wir uns vereint wissen.»

Im Übrigen sei er mit dem Kardinal einig: «Die Kirche muss sich eine Organisation geben, damit sie nicht ein chaotischer Haufen ist, sondern die Welt gestalten kann.» Und mit Verweis auf die Gefühlsebene meinte Kundert: «Uns verbindet, dass wir beide an der Trennung der Kirche leiden.»

«Ich habe nichts gegen eine Versöhnung, nur gegen eine schnelle Versöhnung», konterte der Kardinal. Das Leitmotiv sei dabei die versöhnte Verschiedenheit. Damit erklärte sich Koch einverstanden, aber nur, solange man darunter nicht den heutigen Zustand meine, sondern einen Zustand, den man noch gemeinsam suchen müsse, wie er klar machte.

Die Krux in der Auseinandersetzung

«Die Amtsfrage hingegen», so der Kardinal, «ist für uns eine schwierige Krux in der ökumenischen Auseinandersetzung, über diese Differenz müssen wir hinauskommen».

So klar habe sie ihn das noch nie sagen hören, erklärte Axt Piscalar, fand aber, sie sehe das anders. Koch verwies auf den Unterschied zwischen den deutschen Lutheranern, die bereits Bischöfe haben, und den Schweizer Reformierten. Diese überlegten sich gerade, ob denn ein Bischofsamt nicht in Betracht zu ziehen wäre.

Das habe damit zu tun, dass die Schweizer Reformierten sich seines Wissens nie von den katholischen Bischöfen distanziert hätten, erklärte Kundert und meinte ironisch: «Wir haben also unseren Bischof, er sitzt da vor uns, Bischof Felix Gmür». Seine Bemerkung sei illusorisch, korrigierte sich Kundert. Vielmehr würden die Reformierten sich heute fragen: «Wollen wir statt von einem Präsidenten nicht von einem Bischof sprechen, was er im Grunde ist?»

Einen Unterschied gebe es bei der Ämterfrage, fiel der Moderator Georg Pfleiderer, Professor für Systematische Theologie und Ethik in Basel, kurz in die Diskussion ein und zeigte sich dabei als Protestant: «Bei uns könnte es auch eine Bischöfin sein.»

«Wir haben einen grossen Nachholbedarf auf der synodalen Ebene und Sie auf der personalen Ebene», brachte Koch die Sache auf den Punkt. Er sei aber froh, dass in den anwesenden hohen Kirchenvertretern, Kundert und Gottfried Locher – dem Präsidenten des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) – das geistliche Amt sichtbar werden solle.

Christliches Martyrium: Tragik und Verheissung

Locher, in der vordersten Reihe sitzend, nutzte die Gelegenheit und bat den Kardinal öffentlich, die Einladung des SEK an Papst Franziskus zu übermitteln. Der SEK würde sich sehr freuen an einer Teilnahme des Papstes an den Reformationsfeierlichkeiten in der Schweiz. Koch versprach, den Papst dazu zu ermuntern.

Die Einheit der Christen sei dringend, sagte Kurt Koch an diesem Abend auch mit Verweis auf die weltweite Christenverfolgung. Das Martyrium berge eine grosse Tragik, aber auch eine gewisse Verheissung, so Koch, denn: «Im Himmel leben die christlichen Märtyrer in voller Gemeinschaft». Nur: Die Tatsache, dass die Christenverfolger die Christen als Einheit wahrnehmen, bezeichnete Koch als «beschämend.» (rp)

Wolfgang Müller, Christine Axt Piscalar, Kurt Koch, Georg Pfleiderer, Lukas Kundert | © Regula Pfeifer
15. November 2015 | 10:29
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!