Thomas Wallimann-Sasaki
Schweiz

Justitia et pax-Präsident: Ein Bischof, der den Weg ohne die Laien geht, «ist nicht katholisch»

Zürich, 22.2.15 (kath.ch) Der Interims-Präsident der Schweizerischen Nationalkommission Justitia et pax, Thomas Wallimann-Sasaki, hofft, dass sich das Gerücht einer Deklassierung der Kommission nicht bewahrheitet. Die Unsicherheit bezüglich der Kommission führt Wallimann auf ein Seilziehen innerhalb der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) zurück. Ein Teil der Bischöfe wolle eine hierarchisch organisierte Kirche, andere wollen eine basis-volksorientierte Kirche. Wallimann wünscht, dass die Bischöfe gemeinsam mit den Laien den Weg in die Zukunft gehen. Wenn ein Bischof den Weg ohne die Laien gehen wolle, dann sei er nicht katholisch, sagt Wallimann im Interview mit kath.ch

Scherrer Georges

Papst Franziskus will die beiden vatikanischen Räte «Justitia et pax» und «Cor unum» zu einer Kongregation zusammenfassen. Wie bewerten Sie diese Absicht?

Thomas Wallimann-Sasaki: Ich nehme dies mit sehr viel Freude zur Kenntnis. Es ist ein wichtiges Signal, das zeigt, dass das Evangelium eine sozial-politische, weltbewegende Komponente enthält. Das entspricht einer langen Tradition in der katholischen Kirche. Einsatz im Namen des Evangeliums bedeutet immer auch Einsatz für die Gerechtigkeit in der Welt. Paul VI. unterstrich diese Forderung vor allem in seinem apostolischen Schreiben Octogesima adveniens (1971).

Die Schweizerische Nationalkommission der Bischöfe Justitia et pax hatte bis vor einiger Zeit ihr Büro direkt im politischen Zentrum Berns nahe dem Bundeshaus. Dann zügelte das Sekretariat nach Freiburg. War das ein kluger Entscheid oder entzogen sich die Schweizer Bischöfe die Möglichkeit, über ihre Kommission direkt Einfluss auf die Schweizer Politik zu üben?

Wallimann: In der Schweiz sind alle Wege sehr kurz. Beim Entscheid, das Sekretariat nach Freiburg zu verschieben, stellte sich die Frage, wie können mit den knappen finanziellen und personellen Mitteln der Bischofskonferenz ihre Organe am besten funktionieren. Es ging nicht darum, Einfluss direkt von Bern aus zu üben, sondern, wie dieser Einfluss besser ausgeübt werden kann. Justitia et pax und die Medienstelle der Schweizer Bischöfe sind im Freiburger Sekretariat nahe beieinander. Konkret heisst das: Der Generalsekretär der Kommission, Wolfgang Bürgstein, und die Sprecher der Bischöfe, Walter Müller und Simon Spengler, konnten direkt am runden Tisch besprechen, wie die Botschaft der Kommission unter die Leute gebracht werden kann.

Das Sekretariat der Bischöfe wurde dadurch gestärkt…

Wallimann: Ich habe es nie anders verstanden. Insbesondere der damalige Abt von Einsiedeln und Mitglied der Bischofskonferenz, Martin Werlen, hat diese Synergie stark gefördert. Er hat gesehen, dass die sozial-politische Botschaft der Kirche in der heutigen Welt kommunikativ gut begleitet in der Öffentlichkeit verbreitet werden muss.

Bisher diskutierten alle Beteiligten in diesem Prozess auf Augenhöhe miteinander. Nun soll die Kommission stärker in das Sekretariat der Schweizer Bischöfe eingegliedert und dem Generalsekretär unterstelle werden. Was bedeutet das für die Arbeit von Justitia et pax?

Wallimann: Es handelt sich um ein Gerücht. Ich als Präsident der Kommission weiss nichts Konkretes, wie auch viele andere Personen, die etwas wissen müssten, auch nichts Konkretes wissen oder sagen. Sollte es aber Beschlüsse dieser Art geben, bei denen entgegen unserer 45 Jahre alten Tradition der zuständige Bischof, Felix Gmür, und die Kommission nicht einbezogen wären, gäbe dies ziemlich Aufruhr und wäre ein enormer Vertrauensentzug gegenüber engagierten Frauen und Männern, die ihr Fachwissen der Kirche zur Verfügung stellen.

Die Schweizer Bischöfe streben seit langem eine Reorganisation ihres Sekretariats in Freiburg an. Betroffen sein soll auch Justitia et pax. Was würde eine «Vertrauensentzug» bei Laien für die Arbeit der Kommission bedeuten, der Sie als Präsident vorstehen?

Wallimann: Wenn Reorganisationen durchgeführt werden und niemand genau weiss, was dazu zu sagen ist, dann führt das zu Unruhen in der Arbeitswelt. Diese Unruhe ist auch für Justitia et pax schlecht.

In den vergangenen Wochen haben verschiedene Entscheide in der Kirche Schweiz zu Schlagzeilen geführt und Reaktionen ausgelöst. Eine Internet-Petition, die das Verbleiben von Pfarrer Wendelin Bucheli in seiner Pfarrei Bürglen fordert, wurde bisher von über 40›000 Personen unterzeichnet. Was bedeutet diese Aktion für die Kirche Schweiz?

Wallimann: Die Leute haben begriffen, was katholisch-sein heisst: Wir sind alle Kirche. Diese Menschen verstehen Kirche so, wie das Zweite Vatikanische Konzil die Kirche gesehen hat: Als Volk Gottes unterwegs. Das Engagement der Menschen insbesondere auch für den Pfarrer von Bürglen macht deutlich, dass sich die Menschen Sorge darüber machen, welchen Weg die Kirche in Zukunft gehen will.

Trotz der leeren Kirchenbänke vermag die Kirche nach wie vor Leute zu mobilisieren. Wie soll die Kirche dieses Potential nutzen?
Wallimann: Das zeigt, dass sich die Gläubigen eine engagierte Kirche wünschen, die nahe bei den Menschen ist. Sehr viele Gläubige wissen, um was es in der Kirche geht, nämlich um das Heil der Menschen. Gleichzeitig nehmen sie wahr, dass es innerhalb dieser Kirche grosse Unterschiede bei der Wahrnehmung gibt, was Kirche ist und wie sie wirken soll.

Wie drückt sich das aus?

Wallimann: Die Situation in Bürglen macht deutlich, wie zwei Kirchenbilder aufeinander prallen. Einerseits das Verständnis einer stark hierarchisch organisierten Kirche, andererseits jenes einer basis-volksorientierten Kirche. Beide streben das Heil des Menschen an. Jede Seite schätzt aber die Welt unterschiedlich ein.

Welcher der beiden Standpunkte, die Sie eben beschrieben haben, hat heute die stärkere Gefolgschaft in der katholischen Kirche Schweiz?

Wallimann: Das ist schwierig zu beantworten. Im Alltag, auf Pfarreiebene, besteht heute in der Schweiz ein weitgehend gesundes Selbstverständnis der Katholikinnen und Katholiken, was Kirche sein soll. Auf der obersten Führungsebene der Kirche Schweiz akzentuiert sich unter den Bischöfen zurzeit der Unterschied, was Kirche sein soll. Unter den Bischöfen besteht diesbezüglich eine starke Diskrepanz.

Was heisst das genau?

Wallimann: Die Rolle der Kirche und wie sie handeln soll, wird unter den Bischöfen unterschiedlich bewertet. Ein Teil der Bischöfe geht davon aus, dass der Bischof der Oberhirte ist und genau zeigt, was der Weg ist. Die Herde, das Volk Gottes, hat der Lehre zu folgen. Andere Bischöfe sehen die Kirche als ein gemeinsames Unterwegs-Sein mit den Gläubigen. Diese Bischöfe betrachten die Kirche als etwas Lebendiges, das mit der Zeit mitgeht und dabei wächst. Der Kern, der die Kirche ausmacht, bleibt gleich, wird aber immer wieder neu formuliert, damit er Hoffnung verbreitet und verstanden wird.

Uneinige Bischöfe sorgen für Schlagzeilen in der Gesellschaft. Über die Kirche und ihre Botschaft wird geredet und diskutiert. Das ist doch gut für die Kirche?

Wallimann: Es ist schon so, dass Konflikte auf höchster Ebene – und besondere wenn sie, wie im Fall Bürglen mit Sex zu tun haben – ein Medienrenner sind. Die Frage stellt sich jedoch: Fördert eine derartige mediale Auseinandersetzung die Glaubwürdigkeit der Kirche? Daran zweifle ich. Es zeigt vielmehr eine Zerrissenheit der Kirche auf, die der gesellschaftlichen Vision, welche die Kirche verbreiten will, widerspricht. Wenn die Oberhirten der katholischen Kirche Schweiz untereinander zerstritten sind, die Menschen aber nach Orientierung und einer optimistischen Botschaft suchen, dann ist das alles andere als förderlich.

Was wünschen Sie sich als Präsident von Justitia et pax für die Kirche Schweiz?

Wallimann: Eine Portion Optimismus und dass die Kirche in der heutigen Gesellschaft zu mehr Gerechtigkeit beitragen sowie neue gesellschaftliche Entwicklung kritisch begleiten kann.

Für den Pfarrer von Bürglen läuft eine Petition. Im Sekretariat der SBK gibt es dem Vernehmen nach Widerstände gegen die aktuelle Entwicklung. So sollen Unterschriften gegen die Kündigung des Bischofssprechers gesammelt worden sein. Würden Sie sich einen derartigen Widerstand auch gegen eine mögliche Herabstufung der Kommission Justitia et pax wünschen?

Wallimann: Eine Unterstützungsgruppe hat sich bereits vor über einem Jahr gebildet. Diese setzt sich für eine starke Kommission Justitia et pax in der Schweiz ein. Die Absicht des Papstes, Justitia et pax innerhalb der vatikanischen Kurie aufzuwerten, stützt diesen Wunsch. Wir haben Kontakt mit den Bischöfen. Verschiedenen katholischen Organisationen in der Schweiz ist es ein Anliegen, dass auch die Kirche Schweiz dem Beispiel von Papst Franziskus folgt. Eine Kirche, die sich nicht mehr sozial-politisch äussert, ist keine Kirche mehr. Justitia et pax muss in der Tradition, die sie seit 45 Jahren in der Kirche Schweiz innehält, weiterhin wirken können und pointiert Stellung nehmen.

Blicken Sie, was Justitia et pax betrifft, optimistisch in die Zukunft?

Wallimann: Angesichts der Schweizer Kirchentradition bin ich durchaus optimistisch, dass wir das weiter führen können, was uns wichtig ist. Was zurzeit in Bürglen vor sich geht, ist Ausdruck einer langen, viele Jahrhunderte alten Tradition in der Schweiz und wie man in der Schweiz katholisch ist. Das wird immer wieder missverstanden. Ausserhalb der Grenzen hat man das Gefühl, die Kirche Schweiz sei ein aufmüpfiges Gebilde. Ein Hauptcharakteristikum des Schweizer Volkes ist seine Freiheitsliebe. Diese besteht darin, dass wir mitreden und mitgestalten wollen. Wir reagieren äusserst pikiert und verärgert, wenn man uns dieses Mitspracherecht verweigert. Das gilt auch für Entscheide, die auf der Ebene des Generalsekretariats gefällt werden. Ich wünsche darum, dass die Bischöfe offene Ohren und ein freudiges Vertrauen in den heiligen Geist haben. Ohne die Laien gibt es keinen Weg in die Zukunft. Wenn ein Bischof den Weg ohne die Laien gehen will, dann ist er nicht katholisch. (gs)

 

 

Thomas Wallimann-Sasaki | © 2013 Josef Bossart
22. Februar 2015 | 17:43
Lesezeit: ca. 6 Min.
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