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Schweiz

«Justitia et Pax» – ein Dauerprovisorium im Schwebezustand

Luzern, 11.10.16 (kath.ch) Justitia et Pax, die sozial-ethische Kommission der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), feiert dieses Jahr ihr 40-Jahr-Jubiläum. Doch der politische Arm der Kirche ist derzeit blockiert. Die Bischöfe halten die Kommission als Dauerprovisorium schwach. FDP und Grüne Politiker haben ihre eigene Meinung über deren Aufgaben.

Remo Wiegand

Die «Grüne Wirtschaft» erhält Unterstützung von kirchlichen Institutionen. Die Bischofskonferenz schafft eine Fachstelle für Palliative Care. Der Generalvikar des Bistums Chur schreibt in Tageszeitungen über den Islam und christliche Werte. kath.ch lanciert eine Service Public-Diskussion. Was haben all diese Themen gemein? Sie berühren die katholische Soziallehre, die Übersetzung der christlichen Botschaft in die Welt von Gesellschaft und Politik.

Sie fallen damit potentiell in den Kompetenzbereich von Justitia et Pax. In der Ära kirchlicher Öffnung nach dem zweiten Vatikanischen Konzil gegründet, zielte der päpstliche Rat darauf, die politischen Debatten weltweit mit zu beeinflussen. 1976 wurde der Schweizer Ableger gegründet. Justitia et Pax mauserte sich zu einer anerkannten Stimme im eidgenössischen politischen Diskurs. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss.

Bereits vor drei Jahren wurde die Kommission, die der Bischofskonferenz (SBK) angehängt ist, deutlich verschlankt: Heute versuchen nur noch ein Generalsekretär und die ehrenamtliche Kommission mit dem Tempo der Politik und der Breite möglicher Themen Schritt zu halten.

Rom schliesst zusammen

Und nun weht von Rom her noch ein ganz anderer Reformwind: Das vatikanische Mutterhaus von Justitia et Pax wird ab 1. Januar 2017 mit den Ämtern für Gesundheit, Migration und Katastrophenhilfe zusammengefasst, das neue Super-Ministerium trägt den Namen «Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen».

Der Rückhalt, den die Kommission geniesst, ist schwach

Für Justitia et Pax selbst ist die römische Grossbaustelle nur ein weiterer Unsicherheitsfaktor unter vielen. «Die Rolle der Politik wird in der Bischofskonferenz kontrovers diskutiert», sagt Thomas Wallimann-Sasaki, Ad-interims-Präsident von Justitia et Pax. Der Rückhalt, den die Kommission insgesamt geniesst, ist entsprechend schwach.

Innerkirchliche Konkurrenz

Dass Wallimanns Funktion nur provisorisch gilt und von den Bischöfen nie bestätigt wurde, weist darauf hin. Auffällig ist ebenso, dass neue, konkurrierende Strukturen neben Justitia et Pax entstehen, so die bischöfliche Fachstelle für Palliative Care, die sich auch mit Fragen zur Sterbehilfe befassen dürfte, oder die sozialethische Plattform «Dignité et Development» im Bistum Lausanne-Genf-Freiburg.

Prioritäten und Kirchenverständnis unterscheiden sich in Deutsch- und Westschweiz

Auch die Beziehung zwischen Justitia et Pax und der Bioethik-Kommission der Bischofskonferenz, deren Themen sich nicht selten überschneiden, löst Fragen aus: Letztere ist personell stärker französischsprachig, erstere deutschsprachig geprägt, was auf unterschiedliche Prioritäten und ein unterschiedliches Kirchenverständnis hinweist.

Justitia et Pax im «Schwebezustand»

Wäre für die verschiedenen sozialethischen und politischen Gremien der Bischofskonferenz nicht ein gemeinsames Dach vonnöten, damit Kompetenzen geklärt und die die knappen Ressourcen effizienter genutzt werden könnten? SBK-Generalsekretär Erwin Tanner bestätigt eine «laufende Organisationsentwicklung der Schweizer Bischofskonferenz». Dabei würde «den Themen und Anliegen der Kommission Justitia et Pax grosse Beachtung geschenkt». Einen Zeithorizont nennt er für den Prozess nicht.

Wir sind momentan gefordert, von uns aus aktiv zu werden

Die Herausforderungen dahinter sind gross: Der Umgang der Westschweizer und Deutschschweizer mit politischen Themen unterscheidet sich traditionell, das konservative Bistum Chur reibt sich an Positionen, die oft jenen der politischen Linken entsprechen. Beides steht einer Konsolidierung von Justitia et Pax im Weg. «Wir befinden uns in einem Schwebezustand», sagt Wallimann.

Arbeit nicht gefährden

Darin sieht der Politiker, der für die Grünen im Nidwaldner Landrat sitzt, allerdings auch Vorteile: «Wir sind momentan gefordert, von uns aus aktiv zu werden, nicht darauf zu warten, bis uns die Bischöfe Aufträge erteilen. Das entspricht dem Subsidiaritätsprinzip, wie es die katholische Soziallehre vorsieht», so Wallimann. Doch ist es ist nicht ein zermürbendes und typisch schweizerisches Phänomen, Provisorien zu pflegen statt Entscheide zu treffen, und seien es unpopuläre, wie eine mögliche Auflösung von Justitia et Pax und einen Neustart? Dafür gäbe keine Anzeichen, so Wallimann.

Ob eine Klärung der Präsidentenrolle klug sei, könne man kontrovers diskutieren. «Doch warum Justitia et Pax-Skeptiker der SBK auf den Plan rufen und die Arbeit gefährden? Die Aufgabe der Kirche in der Welt ist nicht, sich um sich selber zu drehen, sondern Salz in der Welt zu sein. Wenn sie das mit einem Ad-interim-Präsidenten sein kann, dann reicht das!»

Kirche sollte Gläubige nicht mit Wahlempfehlungen entmündigen

Dennoch scheint klar: Um eine offene Diskussion zum künftigen Profil des politischen Arms der Kirche, um das «Wo», «Wann» und «Wie», kommt man langfristig nicht herum. Generalsekretär Tanner bleibt aber vage: «Zu politischen Fragen äussert sich die Bischofskonferenz dann, wenn grundlegende theologische und ethische Fragen auf dem Spiel stehen. Wann dies zutrifft und wann nicht, ist im Einzelfall zu klären.»

Vielfalt der Positionen aufzeigen

Einen kritischen Anstoss gibt Béatrice Acklin Zimmermann, Studienleiterin an der Zürcher Paulus Akademie und FDP-Abgeordnete im Freiburger Parlament: «Justitia et Pax sollte Gläubige zum Denken anregen und ihnen Wahlmöglichkeiten aufzeigen, nicht aber sie mit Wahlempfehlungen entmündigen.» Acklin stören Positionsbezüge wie zur Initiative «Grüne Wirtschaft» oder zu den Öffnungszeiten von Autobahn-Tankstellenshops. Es gäbe nur wenige politische Themen, die für die Kirche nicht verhandelbar seien, so die Todesstrafe, Folter oder die Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Stärker noch als die Inhalte kritisiert Acklin die Form politischer Positionsbezüge der Kirche, die ihr mitunter besserwisserisch, paternalistisch erscheinen und bisweilen auf nur wenig Dossierkenntnis schliessen lassen: «Justitia et Pax tritt manchmal wie ein Lehramt auf, wie ein Lehramt der anderen Seite. Ein Schritt der Öffnung auf aufgeklärte Menschen, die selber denken und sich eine Meinung bilden können, wurde bisher verpasst.»

Wohlstandsgemeinschaft unangenehm sein

Wallimann kann mit dem Vorwurf leben. «Justitia et Pax vertritt klare Positionen, die notgedrungen nicht allen gefallen. Der kirchliche Einsatz für Menschenwürde und eine gerechtere Gesellschaft ist in einer Wohlstandsgesellschaft etwas vom Unangenehmsten, das es gibt.» Zugleich gibt Wallimann zu erkennen, dass die Frage nach dem Stil von Verlautbarungen wichtig sei und gegebenenfalls überprüft werden müsse.

Kirche muss Spagat zwischen Gewissheit und Glauben meistern

Klare Positionen, Gerechtigkeits-Pathos und Aufrufe zum Handeln? Oder mehr Hintergrundinforationen, Kontroversen und offene Fragen? Das richtige Mass von Politik in der Kirche ist auch eine Stil-Frage. Beide Überzeugungen können sich derzeit auf Papst Franziskus berufen: Seine sozialpolitischen Voten sind deutlich, bisweilen kämpferisch und emotional. Zugleich zeigte sich selten ein Papst weniger unfehlbar als Franziskus, offenkundig ein Mensch mit Zweifeln und Schwächen. Damit fördert er eine Begegnung auf Augenhöhe und schafft Raum zum Selber-Denken – bis in seine Texte hinein. Die Zukunft von Justitia et Pax und anderen politischen Armen der Kirche hängen auch damit zusammen, wie weit sie den Spagat zwischen Gewissheit und Glauben meistern. (gs)

 

Staat und Kirche – Bundeshaus mit Heiliggeist-Kirche | © Georges Scherrer
11. Oktober 2016 | 12:23
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Laienkommission der Katholischen Kirche

Der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden (Pontificium Consilium de Iustitia et Pace) wurde auf Anregung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 6. Januar 1967 durch das Motu Proprio «Catholicam Christi Ecclesiam» als Päpstliche Kommission Iustitia et Pax errichtet. 1976 wurde der Schweizer Ableger ins Leben gerufen. Justitia et Pax Schweiz versteht sich gemäss Eigendarstellung als Laienkommission der Katholischen Kirche. Sie beschäftigt sich schwerpunktmässig mit sozialen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen und macht dies aus einer sozialethischen Perspektive.