Mauro Jöhri
Schweiz

«Ich möchte nicht Bischof von Chur werden»

Rom, 10.9.18 (kath.ch) Zwölf Jahre lang hat der Bündner Mauro Jöhri (71) als Generalminister die Kapuziner weltweit in Rom angeführt. Im Interview mit kath.ch blickt er stolz und zugleich kritisch zurück. Und betont, er wolle weder Bischof noch Administrator des Bistums Churs werden – sondern ein einfaches Mönchsleben im Tessin führen.

Raphael Rauch

Seit einer Woche sind Sie nicht mehr Chef der weltweiten Kapuziner. Wie fühlt sich das an?

Mauro Jöhri: Ich bin erleichtert. Es fühlt sich gut an, nach zwölf Jahren nicht mehr die Last der Verantwortung auf den Schultern zu haben.

Wenn Sie auf Ihre Zeit als Generalminister zurückschauen: Worauf sind Sie besonders stolz?

Jöhri: Mir ist es gelungen, den Orden im brüderlichen Respekt zu begleiten. Wir sind gut vorangekommen. Wir haben unsere Satzungen erneuert und eine «Ratio Formationis» verabschiedet, einen Ausbildungsplan für den gesamten Orden. Wir haben unser Haus in Jerusalem wieder erneuert und mit einer speziellen Funktion betraut. Wir haben die Generalkurie gründlich saniert.

«Die zunehmende Säkularisierung macht sich bemerkbar.»

Das Wachstum im Süden stimmt uns optimistisch. Dagegen gehen die Zahlen in Europa und in den USA zurück, die zunehmende Säkularisierung macht sich hier bemerkbar.

Ist Klerikalisierung in Ihrem Orden ein Thema?

Jöhri: Ja, viele Kapuziner in Afrika und in Indien wollen unbedingt Priester werden, weil unter anderem der Priesterberuf mit einem hohen sozialen Prestige verbunden ist. Das passt nicht zu unserer Spiritualität: Wir stehen für Bescheidenheit, Nähe zu den Armen und nicht für Prestige.

Was haben Sie gegen diese Haltung unternommen?

Jöhri: Ich habe den Vatikan darauf aufmerksam gemacht: Gebt den Laienbrüdern die gleichen Rechte wie den Priestern. Ein Laienbruder darf bis jetzt weder Provinzial noch Generalminister werden. Ich habe darüber schon mit Papst Benedikt und mit Papst Franziskus gesprochen.

Die Salesianer, Benediktiner und Steyler Missionare sind auch dafür. Ich hake nächste Woche bei Papst Franziskus nach, weil ich auf meinen Brief vom letzten Jahr noch keine Antwort bekommen habe.

An Ostern 2019 wird Bischof Vitus Huonder zurücktreten. Sie werden als möglicher Nachfolger gehandelt. Wollen Sie Bischof von Chur werden?

Jöhri: Nein. Ich bin jetzt 71 Jahre alt geworden. Ein Bischof muss mit 75 Jahren seinen Rücktritt anbieten – ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Amtszeit von vier Jahren sinnvoll ist.

Aber Sie könnten Administrator werden – um den Übergang zu verwalten.

Jöhri: Ich strebe dieses Amt nicht an. Und die Voraussetzungen dafür sind auch nicht gut. Der Papst steht wegen der Missbrauchsfälle weltweit unter Druck. Auch im Orden der Kapuziner gab es Missbrauchsfälle. Würde mich der Papst zum Administrator machen, könnten das Kritiker des Papstes ausschlachten.

Wenn Papst Franziskus Sie trotzdem darum bitten würde?

Jöhri: Dann würde ich ein Gespräch verlangen und klar machen, wie ich die Sache sehe und welche Gründe dagegensprechen.

Eine unabhängige Untersuchungskommission in der Schweiz hat Sie dieses Frühjahr von Vertuschungs-Vorwürfen im Missbrauchsfall Joël Allaz entlastet. Gibt es dennoch etwas, was Sie mit dem heutigen Wissensstand anders machen würden?

Jöhri: Wir hatten kein Krisenmanagement und waren auf solche Fälle nicht vorbereitet. Überhaupt hatte ich von diesen ganzen Abgründen nur wenig Ahnung. Mir haben eine Ausbildung in Montréal und ein Symposium an der Gregoriana in Rom sehr geholfen, für diese Thematik sensibler zu werden.

«Ich hatte von diesen Abgründen wenig Ahnung.»

Ich hätte den Täter dazu bringen sollen, dass er sich selbst anzeigt, andernfalls hätten wir ihn anzeigen müssen, auch gegen den ausdrücklichen Wunsch der Opfer.

Die Kirche wird gegenwärtig von Enthüllungen über Missbräuche aufgewühlt. Was haben Sie an der Spitze der weltweiten Kapuziner getan, damit sich so etwas nicht wiederholt?

Jöhri: Wir haben eine sehr strenge Politik eingeführt. Jeder Verdachtsfall wird genau untersucht und muss der Glaubenskongregation gemeldet werden. An erster Stelle steht der Schutz des Opfers. Kinder und Jugendliche müssen in einem geschützten Umfeld aufwachsen.

Warum haben Sie nicht durchgesetzt, dass Verdachtsfälle immer auch den staatlichen Stellen gemeldet werden müssen?

Jöhri: In vielen Ländern wird das bereits jetzt so praktiziert. Wir werden aber über das Thema sprechen und es ist eine entsprechende Motion eingereicht. Es gibt Länder, da ist die Kirche noch so mächtig, dass die Leute Angst haben, Fälle zu melden. Das darf nicht sein.

«Ich freue mich auf die gute Luft im Tessin.»

Wie wird Ihr Leben künftig aussehen?

Jöhri: Die letzten zwölf Jahre waren sehr anstrengend. Ich habe viel erlebt und bin viel gereist, da war wenig Zeit, um alles zu verarbeiten. Ich ziehe mich bis Weihnachten in ein Kloster in der Steiermark zurück. Und dann möchte ich zurück ins Tessin und wieder als einfacher Bruder leben.

Zwölf Jahre in Rom sind genug. Bei aller Schönheit der Stadt: Die Infrastruktur ist stark vernachlässigt, die Stadt ist schmutzig. Ich freue mich auf die gute Luft im Tessin.

Ihre Vorgänger sind teilweise Bischöfe geworden. Warum wollen Sie ein einfaches Mönchsleben führen?

Jöhri: Dafür wird man doch Kapuziner, um ein bescheidenes Leben für Gott und die Menschen zu führen. Und ich kann doch nicht die Klerikalisierung bei meinen Mitbrüdern in Afrika und Indien kritisieren, selber aber ein klerikales Leben führen.

«Man wird Kapuziner, um ein bescheidenes Leben zu führen»

Ich sehe es als meine Aufgabe an zu zeigen: Man kann auch nach zwölf Jahren in einer Leitungsfunktion wieder eine einfache Rolle in Demut einnehmen. Vielleicht so wie der Kapuziner Pascal Rywalski. Er stammte aus dem Wallis und war von 1970 bis 1982 Generalminister der Kapuziner in Rom. Danach ist er als einfacher Bruder zurück ins Wallis. Ihn nehme ich mir zum Vorbild.

Mauro Jöhri im Video von kath.ch:

Mauro Jöhri | Hans Merrouche | © Hans Merrouche
10. September 2018 | 05:27
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!