Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler
Schweiz

Grosse Islam-Serie (V): Professor Schulze, was steht im Koran über das Kopftuch?

Bern, 6.2.15 (kath.ch) In unserer Serie vom Montag, 2. Februar, bis Samstag, 7. Februar, antwortet Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler an der Universität Bern, täglich auf drängende Fragen zum grossen Buch der Muslime. Heute: Der Koran und die Kleidung der Frau.

Sylvia Stam

Steht im Koran, dass Frauen ein Kopftuch tragen sollen?

Nein, das steht nicht im Koran, das ist eine Frage der Auslegung. Es gibt drei Stellen im Koran, wo darauf verwiesen wird, wie Frauen sich zu verhalten haben. Dabei ist nicht ganz klar ist, ob sich das nur auf die Frauen des Propheten oder auf alle Frauen der muslimischen Gemeinschaft bezieht.

Der Koran fordert die Frauen auf, sich züchtig zu verhalten, sich züchtig zu kleiden und sich zu bedecken. Der Koran bestimmt nicht, was sie bedecken sollen: Ist damit nur die Scham gemeint, die zu bedecken sei, dass Haar, der Kopf oder die Hände? Eine nähere Bestimmung hierüber findet sich allein in der Koranauslegung, die hier wieder auf die Prophetentradition zurückgreift. Es gab daher über Jahrhunderte hinweg keinen Konsens und auch keine einheitliche Art, wie sich Frauen züchtig kleideten.

Von einer Burka steht also nichts?

Nein. Im Koran werden zwei Worte verwendet, die auf die Kleidung von Frauen verweisen. Gemeint waren wohl ein Schal, den man als Überwurf tragen konnte, und eine Art Umhang. Unbestimmt bleibt, wie und vor allem auch wann sie diese zu tragen hatten. Vieles deutet darauf hin, dass es zunächst um die rechte Kleidung im Kult und um das Verbot von Nacktheit ging. Alle Entscheidungen darüber, was als Kleiderordnung zu gelten habe, stammen aus späterer Zeit und unterliegen regionalen und sozialen Bedingungen. Die Vollverschleierung durch eine Burka wie in Afghanistan ist erst 100 Jahre alt und wurde erst durch die Taliban zwangsweise durchgesetzt. Der persische Tschador kam erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Mode. Spezielle Formen der Gesichtsverhüllung gibt es auch in Südarabien.

Muss man den Koran wortwörtlich verstehen?

Zwar gab und gibt es muslimische Gelehrte, die in Anspruch nehmen, dass der Koran nur wortwörtlich zu verstehen sei. Doch die Mehrheit der Gelehrten unterscheidet zwischen der Wortform und dem Sinn. Um den Koran zu verstehen, müssen der Sinn der Verse erkannt werden. Da das Erkennen immer an die Fähigkeit der einzelnen Menschen in ihrer Zeit gebunden ist, könne es keine Auslegung geben, die für immer gelte. Dem Versuch, den Koran als konkrete Ordnung der Lebensführung zu lesen, sind so klare Grenzen gesetzt. Er gelingt erst, wenn die Prophetentradition als Quelle der Auslegung herangezogen wird. Da aber die Prophetentradition nicht kanonisiert ist, ergibt sich auch dann keine einheitliche Praxis. Eine wortwörtliche Auslegung des Koran gilt manchen gar als unvereinbar mit dem Willen Gottes, denn was ein Vers wirklich meint, würde letztlich ja nur Gott wissen.

Man muss den Koran also für jede Zeit neu auslegen?

Allein schon die Tatsache, dass über Jahrhunderte hinweg immer wieder neue Koranauslegungen verfasst wurden, beweist, dass es immer ein Bedürfnis gegeben hat, den Koran für jede Zeit neu auszulegen. Zudem wurde stets anerkannt, dass jede Auslegung sehr unterschiedliche Ziele verfolge: So kann sie dazu dienen, die Sprache des Korans besser zu verstehen, oder der Frömmigkeit ein Gesicht zu geben oder auch und gerade die historischen Umstände zu benennen, wann und warum ein Koranvers offenbart wurde. (sys)

Vorschau:
Samstag, 7. Februar: Steht im Koran, dass man Mohammed nicht abbilden darf?

Bisher erschienen:
Montag, 2. Februar: Der Koran und der Weltuntergang.
Dienstag, 3. Februar: Der Prophet Mohammed.
Mittwoch, 4. Februar: Jesus und Maria im Koran.
Donnerstag, 5. Februar: Gewalt im Koran.

Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler | © Screenshot SRF
6. Februar 2015 | 09:57
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Eine Burka aus Schönheit ist immer noch die beste Werbeträgerin

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Schmunzeln und Erstaunen löst jedes Jahr ein katholischer Kalender in Italien aus, der junge, ästhetische ansprechende Priester zeigt. Der Kalender folgt der alten Weisheit: Schöne Menschen ziehen die Aufmerksamkeit der Massen besser auf sich als Personen, die mit ihrer äusseren Erscheinung weniger gut gesegnet sind.

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