Alt-Bundesrichter Giusep Nay
Schweiz

Giusep Nay zum Händedruck-Zwang: Gesetzliche Grundlage fehlt

Baden AG, 29.5.16 (kath.ch) Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay überzeugt das rechtliche Gutachten der Baselbieter Bildungsdirektion nicht. Es entspreche kaum der Bundesgerichtspraxis, wie er im Interview mit der «Schweiz am Sonntag» (29. Mai) sagt. Auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) kritisiert in derselben Zeitung den Zwang zum Händedruck und plädiert für Differenzierung im Einzelfall.

Giusep Nay berücksichtigt bei seiner Beurteilung des nun vorliegenden Rechtsgutachtens der Bildungsdirektion die offenkundig «strenggläubig orthodoxe Glaubenshaltung der Schüler beziehungsweise ihres Vaters». In diesem Fall seien «die Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage und an ein überwiegendes öffentliches Interesse höher, als wie sie im Gutachten dargestellt werden», so Nay. Eine solche Rechtsabwägung entspreche daher kaum der Praxis des Bundesgerichts.

Pädagogik statt Recht

In diesem Ausnahmefall besonderer Strenggläubigkeit dürfe der Händedruck nicht erzwungen werden. In Fällen, wo die Betroffenen weniger strenggläubig sind, schliesst Nay die Einforderung des Handschlags nicht aus, würde aber andere Lösungen prüfen. «Beispielsweise, dass die Schüler auf eine andere Art ihren Respekt gegenüber der Lehrerin bezeugen, etwa indem sie sich ihr gegenüber stellen, ihr in die Augen schauen, mit dem Kopf nicken.» Das Recht sei nicht der Ort, um eine Lösung zu finden im Umgang mit patriarchalen Denkweisen. «Wenn es darum geht, gegen solche Ansichten anzutreten, ist die Pädagogik gefordert.»

Nay hofft, dass der Fall nicht bis zum Bundesgericht weitergezogen wird. Falls dies dennoch geschieht, vermutet er, dass das oberste Gericht zum Schluss kommen wird, dass der Händedruck nicht erzwungen werden darf. Dennoch dürfte ein solches Bundesgerichtsurteil laut Nay kein Präjudizfall sein. Denn beim Therwiler Falls handle es sich wegen der Strenggläubigkeit der Betroffenen «um einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit». Für die grosse Mehrheit der Muslime, die weniger strenggläubig sei, handle es sich bei der Einforderung des Händedrucks gar nicht um eine Beschränkung ihrer Glaubensfreiheit, «weil für sie der Händedruck einer Frau gemäss ihrem Glauben kein Tabu ist».

Gespräche statt Bussen

Auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund plädiert für eine Betrachtung des Einzelfalls. Orthodoxe Juden, die Frauen den Händedruck verweigerten, seien von den angedrohten Sanktionen nicht betroffen, weil sie Privatschulen besuchten, sagte Jonathan Kreutner, Generalsekretär des SIG, gegenüber der «Schweiz am Sonntag». Doch auch moderate Juden profitierten von Sonderregelungen, etwa von Dispensen für Feiertage. Die jüdischen Gemeinden befürchteten eine Zunahme von Konflikten, wenn das Zusammenleben der Religionen vermehrt mit Sanktionen statt durch Gespräche gelöst würden.

Die Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) war diese Woche im Rahmen einer rechtlichen Prüfung für die Sekundarschule Therwil BL zum Schluss gekommen, dass Lehrpersonen verlangen dürfen, dass Schüler ihnen die Hand schütteln. Wer den Händedruck dennoch verweigere, könne mit bis zu 5000 Franken gebüsst werden. Auslöser war der Fall zweier muslimischer Schüler, die ihrer Lehrerin den Händedruck aus religiösen Gründen verweigert hatten. (sys)

Therwil BL: Handschlag darf von Lehrpersonen eingefordert werden

Alt-Bundesrichter Giusep Nay | © Adrian Müller
29. Mai 2016 | 12:33
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