Brücke
Schweiz

«Gibt es eine Generalreinigung, ehe man bei Gott ankommt?»

Luzern, 1.11.16 (kath.ch) Ein Park mit Blumen und Musik, ein Gang über eine Brücke oder eine Wiedergeburt als Schmetterling. Vielfältig sind die Vorstellungen darüber, was nach dem Tod sein könnte. kath.ch hat anlässlich von Allerheiligen und Allerseelen Menschen befragt, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation besonders mit dem eigenen Sterben konfrontiert sind.

Sylvia Stam

Sie kommen rasch auf den Punkt. Sterben ist für die Menschen des Pflegeheims «Steinhof» in Luzern eine Realität, der sie ungeschminkt in die Augen schauen. Ob katholisch, reformiert oder konfessionslos – alle haben sie eine Vorstellung davon, wie es nach ihrem Tod weitergehen könnte. Und jede der sechs befragten Frauen strahlt eine beeindruckende Überzeugtheit aus, wenn sie davon erzählt.

Einfach fertig

«Ich habe das Gefühl, es ist einfach fertig», sagt Elisa Meier*(58) und lacht, weil damit schon alles gesagt ist. Es ist kein zynisches Lachen, sondern vielmehr Ausdruck einer gewissen Leichtigkeit. Die körperlich behinderte Frau liegt in ihrem Stuhl und sieht ihr Gegenüber mit wachen Augen an. Die Vorstellung, es könnte «einfach fertig» sein, macht ihr weder Angst, noch löst dies bei ihr positive Gefühle aus. Sie wünscht sich lediglich, der Tod möge «möglichst schmerzlos» vonstatten gehen. Vielleicht ist sie deshalb Mitglied bei der Sterbehilfeorganisation Exit, auch wenn sie einräumt, davon nicht unbedingt Gebrauch zu machen.

«Ich bin ein Sandkorn im Ganzen.»

Mit der Vorstellung eines Jüngsten Gerichts kann die katholisch sozialisierte Frau wenig anfangen. Sie ist vor 25 Jahren aus der Kirche ausgetreten, ohne konkreten Anlass. Vielmehr «stimmte es einfach nicht mehr». Eine ausgleichende Gerechtigkeit braucht sie nicht. «Ich bin ein Sandkorn im Ganzen. So wichtig nehme ich mich nicht, dass mich die Vorstellung, nicht mehr zu existieren, kränken könnte», sagt sie, und man glaubt es ihr bedenkenlos. Sie ist an diesem Morgen die Einzige, die in dieser Radikalität ein Weiterleben nach dem Tod verneint.

Zurück an den Ursprung

Nur wenige Meter nebenan wohnt Agathe Müller (85), die vom genauen Gegenteil überzeugt ist: «Es ist auf keinen Fall einfach zu Ende», sagt die Dame mit dem kurzen weissen Haar. «Wir kommen irgendwo her und gehen auch wieder dorthin zurück, in eine geistige Existenz», ist sie überzeugt. Dass der Mensch einfach verschwindet, kann sie sich nicht vorstellen, «sonst könnte man ja alles über den Haufen werfen!»
Müller wirkt reflektiert; die Frage, was nach dem Tod sein wird, begleitet sie schon lange. Ihre Überzeugung ist im Verlauf der Jahre gewachsen: Sie hat ihren Mann und ihre Nachbarin in den Tod begleitet. «Mein Mann glaubte an ein Weiterleben nach dem Tod, er konnte ganz friedlich einschlafen. Meine Nachbarin hingegen, für die mit dem Tod alles fertig war, hat lange gekämpft, als wollte sie noch etwas zu Ende besprechen». Diese Erfahrungen hätten ihr gezeigt, dass sie auf dem richtigen Weg sei.

«Ich ahne, dass nachher etwas kommen wird.»

Sie bezeichnet es als beruhigend, eine solche Einsicht bekommen zu haben, denn dies nehme ihr die Angst vor dem Sterben: «Ich bin absolut bereit, weil ich ahne, dass nachher etwas kommen wird.» Es ist eine Haltung, die sie erworben hat. Denn aufschwätzen lasse sie sich nichts.

Generalreinigung auf der Brücke

Nathalie Schneider (91) hat vielfältige Erfahrungen mit dem Tod gemacht. Sie erzählt detailgetreu vom Tod ihres Vaters, als wäre es gestern gewesen. Das Sterben stellt sie sich als Weg über eine Brücke vor: «Der Übergang ist wie ein Weg über eine Brücke von dieser Welt in den so genannten Himmel. An deren Ende wartet jemand auf mich. Dann bin ich ganz bei Gott.»

«Gott weiss schon, wie er das machen will.»

So plastisch ihre Vorstellung von diesem Übergang ist, so stellt sie sich dennoch auch eine Menge Fragen: «Macht man auf diesem Weg über die Brücke einen Prozess durch? Eine Art Generalreinigung, ehe man bei Gott ankommt?» Denn schliesslich könnten die Menschen ja, wenn sie bei Gott ankommen, nicht so belastet sein, wie sie auf Erden sind. Im Jenseits müssten doch alle einander wohlgesinnt sein, sinniert die ehemalige Lehrerin. «Vielleicht ordnet Gott unsere Gesinnung, wenn wir auf dem Weg in die Ewigkeit sind. Was aber, wenn Menschen das nicht wollen?» Auch die Frage, was mit jenen ist, die bis zum Tod nichts von Gott wissen wollen, beschäftigt Schneider. «Wo sind diese Menschen nach dem Tod? Ist das dann die Hölle?» Bei allen offenen Fragen schimmert im Gespräch dennoch immer wieder ihr Vertrauen durch: «Gott weiss schon, wie er das machen will!»

Wiedergeburt als Schmetterling

«Wenn ich wünschen könnte, möchte ich als Schmetterling wiedergeboren werden», sagt Christine Scherrer (49). Wichtig sei ihr, dass es in irgendeiner Form weitergehe, das Wie sei nicht entscheidend. «Auch mein jetziges Leben ist nicht der Himmel auf Erden, aber es ist richtig so.» Sie sagt es mit einer Bestimmtheit, die keinen Zweifel aufkommen lässt.

«Meine Grosseltern nehmen mit mir Kontakt auf.»

Scherrer sitzt seit ihrer Geburt im Rollstuhl. «Auch ein Schmetterling kann nicht laufen, aber er bewegt sich freier als ich, er hat nicht die gleichen Barrieren», sagt die Frau, die sich selbst als «spirituell, aber nicht gläubig im traditionellen Sinn» bezeichnet. An einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Leben, an die Möglichkeit einer moralischen Steigerung etwa, glaubt sie allerdings nicht. «Es kommt, wie es kommt!»

Sie ist allerdings davon überzeugt, dass sie mit Verstorbenen in Kontakt treten kann. So könne sie etwa die Präsenz ihrer Grosseltern spüren. «Sie reden nicht mit mir, aber sie nehmen mit mir Kontakt auf. Ich weiss, was sie mir mitteilen wollen.»

Schutzengel für die Liebsten

Genau eine solche Aufgabe erhofft sich Anna Pfister (91) nach ihrem Tod: «Ich fände es schön, wenn ich als Engel weiterleben und meine Liebsten auf der Erde begleiten könnte», sagt die Mutter dreier Töchter. Sie betont, dass dies lediglich eine Hoffnung ist. Denn auf die Frage, was nach dem Tod sein wird, antwortet sie bestimmt: «Ich weiss es nicht. Der Leib stirbt, und ich glaube, dass die Seele weiterlebt.» Die Katholikin geht davon aus, dass eine «höhere Macht» existiert. Ob sie glaubt, Gott im Jenseits zu begegnen? Sie schweigt lange, ehe sie antwortet: «Ja, aber ich weiss nicht, wie ich mir Gott vorstellen soll; jedenfalls nicht als Person.»

Ein Park mit Blumen und Musik

Im Zimmer vom Sandra Weiersmüller (91) hängt ein grosses, etwas dunkles Christusbild an der Wand; über dem Bett ein Kreuz und ein Bild der Mutter Gottes. Weiersmüller liegt im Bett, ihre dunklen Augen funkeln lebhaft. «Ich freue mich auf die Ewigkeit», sagt sie mit einer Selbstverständlichkeit, als ginge es beim Sterben um ein Fest. «Gerade wenn man es schwer hat, spürt man, dass der Herrgott einem hilft.» Diese Zuversicht schöpft sie aus ihrem tiefen, katholischen Glauben; sie erzählt aber auch von einem Nahtoderlebnis, das ihr Mann als Kind hatte: «Er sah einen Park mit wunderschönen Blumen und einen Konzertsaal. Daraus erklang Musik.» Sein Leben lang habe er sich nach diesem schönen Ort zurückgesehnt.

«Ich kann es kaum erwarten.»

Kein Wunder, dass sie keine Angst vor dem Sterben hat, auch wenn sie schmunzelnd einräumt, nicht zu wissen, wie es ihr dann in dem Moment tatsächlich ergehen werde. Wichtig sei jedoch, dass man vorher allen Menschen verzeihen könne. «Das ist sehr schwierig. Aber wenn ich an die Ewigkeit denke, dann gelingt mir das. Sonst hätte ich Angst, wenn ich das, was Gott von uns verlangt, nicht erbringen könnte.»

So aber freut sie sich darauf, an den schönen Ort zu gelangen, den ihr Mann beschrieben hatte. «Ich bin ‘gwundrig’, das zu sehen», sagt sie strahlend, «ich kann es kaum erwarten!»

* Namen von der Redaktion geändert.

Brücke | © pixabay.com CC0
1. November 2016 | 08:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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