George W. Bush
Schweiz

Gewalttätige Koranverse: Ist die Bibel weniger blutig und brutal?

Zürich, 16.1.15 (kath.ch) Kein Kampf der Religionen, sondern ein Kampf der Auslegung heiliger Schriften führt zur Polarisierung zwischen Christen und Muslimen. Koran und Bibel enthalten gleichermassen blutige Darstellungen. Der vermeintlichen Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen setzte der ehemalige US-Präsident George W. Bush durch sein unbedachtes Wort «Kreuzzug» zu Beginn seines «Krieg gegen den Terror» die Krone auf, sagt der Schweizer Religionswissenschaftler Oliver Krüger.

Georges Scherrer

Zum Schutz der friedlichen Muslime in Europa führe man keine Debatte über das grundsätzliche Verhältnis Mohammeds oder des Korans zur Gewalt, klagt Giuseppe Gracia, Sprecher des Bischofs von Chur, in einem Kommentar für die Basler Zeitung. Die Debatte muss breiter geführt werden.

Das Alte Testament steht dem Koran mit Texten, die Gewalt darstellen oder zu solcher aufrufen, in nichts nach, erklärt Max Küchler, emeritierter Professor für Neues Testament und Biblische Umwelt an der Universität Freiburg, gegenüber kath.ch. Die Texte enthielten Aufrufe zur Gewalt gegen die Gegner der Israeliten. Es hänge alles davon ab, wie man die «antiken Texte» im Horizont der heutigen geschichtlichen Situation interpretiert.

Berühmte Zitate wie das «Auge um Auge» würden auch heute noch falsch ausgelegt. Das Zitat besage nicht, dass eine Untat immer wieder mit einer weiteren vergolten werde, sondern vielmehr, dass die Kette der Vergeltungen unterbrochen werde, sobald Genugtuung geleistet worden sei.

Es sei heute äusserst fragwürdig, wenn jüdische Kreise mit Stellen aus dem Alten Testament argumentierten, um die Besetzung von Gebieten in Nahost zu rechtfertigen. Eine derartige Auslegung heiliger Texte, «die immer auch gefährlich sind», entspreche der Art und Weise, wie «islamistische Fundamentalisten Textstellen des Korans oder Christen Einzelaussagen ihrer Tradition wie etwa den Blutruf über die Juden im Matthäusevangelium selektiv auswählen und für eigene Bedürfnisse verwenden», so Küchler.

Im Unterschied zum Christentum habe der Islam weder eine Zeit der Reformation noch der Aufklärung erfahren, die dazu führte, dass heute die heiligen Schriften «in ihrer Geschichtlichkeit erkannt und unter Berücksichtigung des historischen Kontexts gelesen werden». Was im damaligen geschichtlichen Kontext gesagt wurde, dürfe nicht einfach auf heute übertragen werden. Fundamentalistische Kreise jüdischer, muslimischer und christlicher Prägung machten es sich zu einfach, wenn sie sich auf eine so genannt wörtliche Anwendung einer heiligen Schrift festlegten.

Extreme Passagen inspirieren Fundamentalisten

Im Grunde bestehe nicht ein Kampf zwischen den Religionen, sondern ein Kampf zwischen den Auslegungen heiliger Schriften. Die Christen würden mit dem Neuen Testament «gut weg» kommen. Denn Jesus habe nie dazu aufgerufen, andere zu töten. Aber auch das Neue Testament enthalte brachiale Gewalt. Küchler verweist auf die Apokalypse des Johannes. Dieser apokalyptische Text des Neuen Testaments werde jedoch von vielen Christen heute als Nebensache gewertet oder gar nicht wahrgenommen.
Nach Ansicht von Oliver Krüger, Ordinarius für Religionswissenschaft an der Universität Freiburg, besteht das «grundlegende Problem» bei Texten heiliger Schriften darin, «dass wir annehmen, ein Text einer heiligen Schrift hat eine bestimmte Wirkung und diese ist konstant. Wenn dort ein Gewaltaufruf steht, dann bedeute das auch, dass die Menschen danach handeln müssen. » Man könnte die Perspektive jedoch auch auf die Auslegepraxis der Menschen legen, welche die Texte der heiligen Schriften interpretieren, schlägt Krüger vor. Im Lauf der Religionsgeschichte kam es stets zu ganz verschiedenen Betonungen und Selektionen in allen religiösen Traditionen.

In der Schweiz bestehe im rechten politischen Spektrum bisweilen die Auffassung, dass der Islam generell eine gewaltbereite Mörderreligion darstelle. Das Christentum werde hingegen als Religion der Nächstenliebe gesehen. Dabei werde unterschlagen, dass das Christentum im politischen Verbund über beinahe 1500 Jahre Krieg, Verfolgung und Gewalt vor allem gegen andere Christen legitimierte.

Fallstrick Islamischer Staat

Dass dies heute gern vergessen werde, liege vor allem daran, dass «wir teilweise in die Falle des Islamischen Staates (IS) und anderer radikalen Islamisten getreten sind». Diese stellen ihren Kampf als Kampf des Islam gegen die westliche Moderne dar. Das legitimiere für diese Gruppen auch die Gewalt im Nahen Osten gegen Muslime. Die Islamisten verteidigen nach ihrer Ansicht den wahren, echten Islam gegen korrupte islamische Regime. Selbst das saudische Regime werde als korrupt und nicht mehr richtig islamisch betrachtet, weil es mit den USA zusammenarbeitet.

Zwischen der sich in der Schweiz formierenden Pegida und dem Verein «Islamischer Zentralrat der Schweiz» (IZRS) gibt es eine interessante Parallele. Der Gründer der Pegida wie auch ein Gründungsmitglied des IZRS gehörten früher Bewegungen am rechten Rand an. Ignaz Bearth der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) und Qaasim Illi der nationalkonservativen Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Beide vertreten heute auf ihre Weise erneut radikale Positionen.

Krüger: «Sie sehen die Welt in Schwarz und Weiss. Die leben davon. Der eine kann ohne den anderen nicht. Extremismus braucht immer einen extremen Gegenpol. Diese Schwarzweissmuster ist sehr bequem und auch sehr wirkungsvoll. » Dieses Muster findet sich in der Teilung christliches Abendland und islamischer Orient wieder.

Wider die Schwarz-Weiss-Mentalität

Beeindruckend sei jedoch, dass heute in Deutschland weit mehr Pegida-Gegner auf die Strasse gingen als Befürworter. «So ganz dumm sind die Leute doch nicht». Sie differenzieren zwischen dem radikalen Islam und der muslimischen Mehrheit, die damit überhaupt nicht einverstanden ist.

Bei dieser Differenzierung spielen die heiligen Schriften an sich keine prominente Rolle. Man müsse sich viel mehr die «Theologien» ansehen. Doch das klappe wenig. Die Aufrufe prominenter Imame der Sunniten und Schiiten, welche die Gewalt des IS radikal verurteilen, gehen im Westen fast unter. «Warum das so ist, müssen sich die Medien selber fragen».

Diese tappten in die genannte IS-Falle: «Man nimmt dies selektiv so wahr, weil es in das alte Muster Orient gegen Abendland passt.» Eigentlich handle es sich eher um einen Kampf eines radikalisierten Islam gegen eine sehr grosse islamische Mehrheit. Der Westen spielt nur am Rande eine Rolle. «Wir nehmen nur immer die westlichen Opfer wahr.» Die Gewalt des syrischen Regimes, das mit vergleichbarer Brutalität wie der IS seine Gegner und Zivilisten behandle – jedoch ohne Enthauptungsvideos – sei der medialen Peripherie versunken.

Beängstigender christlicher Fundamentalismus

Eine Radikalisierung von Christen mit biblischem Bezug finde auch im Westen statt und zwar vor allem in den USA. Das werde hier kaum wahrgenommen. Wenn man von der Ostküste der USA, die städtisch geprägt ist, nach Westen geht, treffe man vermehrt auf Menschen, die an die Parusie (Wiederkunft) Christi in naher Zukunft glauben. Die Auseinandersetzung mit dem Islam werde als Vorbote von Armageddon, also der Endschlacht, angesehen, welche der Evangelist Johannes in blutigen Bildern beschreibt.

Als US-Präsident George W. Bush 2001 den Krieg gegen den Terror ausrief, rutschte ihm das Wort Kreuzzug heraus. Das war ziemlich das Dümmste, was er je sagte, so Krüger. Er gab dem Krieg damit augenscheinlich eine religiöse Legitimierung und tappte damit in die Falle, welche die Religionen für Gewalt verantwortlich macht. Mit den Enthauptungsvideos unterstützen die Extremisten das Bild des gewalttätigen Islams und des bedrohten Abendlandes. Dabei werde ausser Acht gelassen, dass die meisten Opfer des IS Muslime sind. «Das beunruhigt mich zutiefst», erklärt Krüger. (gs)

 

George W. Bush | © Mark Probst
16. Januar 2015 | 15:25
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