Gewalt und Religion: «Christen sind blauäugig und naiv»

Freiburg, 29.7.16 (kath.ch) Der Mordin der Kirche in Rouen löste viele Reaktionen aus. Manche Christen wollen auf die Gewalt des Islamischen Staates mit Liebe antworten und hoffen damit, keinen Krieg entfachen zu lassen. Gilbert Casasus, Professor für Europastudien an der Universität Freiburg sagt im Interview mit kath.ch, wieso beten nichts hilft und es nicht zwei Seiten für einen Krieg braucht.

Francesca Trento

Sie haben sich nach dem Attentat in der Kirche von Rouen geäussert, das sei «klar ein Zeichen des Religionskrieges». Das sehen nicht alle so.

Gilbert Casasus: Ich finde es blauäugig und naiv, die Tat in Rouen nicht als grosses Warnsignal zu verstehen. Es geht nicht nur um einen einzelnen Mord an einen Priester. Es ist ein symbolischer Akt gegen unsere Religion und dementsprechend auch gegen unsere Kultur.

Was meinen Sie damit?

Casasus: In Europa hat man das Recht auf Meinungsfreiheit, auf Religionsfreiheit und auf eine individuelle Lebensgestaltung. Wir leben in einer mehrheitlich demokratischen Welt. Der IS will genau diesen Freiheitsgedanken zerstören.

Wir sind doch immer noch frei.

Casasus: Genau da liegt das Problem: «immer noch»– Aber wie lange noch? Und: Angst macht unfrei. Ich habe viele Freunde und Bekannte in Frankreich und die berichten, dass sehr viele Angst hätten – auch wenn das nicht in der Öffentlichkeit mitgeteilt wird. Frankreich trifft das ganz besonders.

Wieso?

Casasus: Das kann kein Zufall sein, dass es so viele Anschläge in Frankreich gab in den letzten Wochen. Die Parole «Liberté, Egalité et Fraternité» (der Wahlspruch «Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit» fusst auf den Losungen der Französischen Revolution 1789) – das pure Gegenteil dessen, wofür der IS steht.

Im IS sind es doch auch alles «Brüder»?

Casasus: Das ist eine falsche Art von Bruderschaft. Sie hat nichts mit, Liebe zueinander oder Frieden untereinander zu tun. Und ebenso nichts mit einer Religion, die eben für das steht: Liebe und Frieden.

Es braucht doch für einen Religionskrieg immer zwei. Wenn Christen mit Liebe antworten, kann kein Krieg ausbrechen.

Casasus: Das sehe ich anders. Es braucht nicht immer zwei für einen Religionskrieg. Man bedenke Hitler: er war gegen die Juden und das Ergebnis kennen wir. Das darf sich nicht wiederholen.

Sie meinen das wiederholt sich gerade?

Casasus: Wenn wir wieder so tatenlos zusehen, kann das sehr gut sein.

Wieder?

Casasus: Ich habe jüdische Vorfahren. Die hörten im Jahr 1932 noch «Nehmt Hitler nicht so ernst». Das war ein grosser Fehler, wie wir wissen.

Was müsste Europa dementsprechend ändern?

Casasus: Wir müssen den IS bekämpfen. Beten reicht nicht aus. Wir müssen aus unserer Blauäugigkeit aufwachen und handeln.

Sie sagten gegenüber «20 Minuten” (27. Juli)., dass die Attacke in Rouen als Rache für die Kreuzzüge gesehen werden könne.

Casasus: So sieht der IS die Tat, nicht ich. Ebenso wenig toleriere ich eine solche Ansicht. Ich versuche nur die Denkensweise des IS zu durchleuchten. Nur so können wir handeln. Wir können nicht aus unserer eigenen Sicht auf ihre schliessen.

Was wünschen Sie sich?

Casasus: Wir müssen wachsam sein und lernen zu verstehen, was der IS bezwecken will. Dann können wir auch etwas dagegen tun. Und: Wir dürfen unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat keineswegs aufs Spiel setzen. Damit wir weiter leben können wie bisher.

29. Juli 2016 | 16:16
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