Thomas Wallimann-Sasaki

Gedanken zum Sonntag: Was die Bibel sagt

Zum 12. November 2017 (Matthäus 25,1-13)

Was die Bibel sagt

Thomas Wallimann-Sasaki*

Ist es nicht hart, was heute das Evangelium erzählt? Ohne Einfühlungsvermögen wird die Hälfte der Jungfrauen von der Hochzeit ausgeschlossen. Widerspricht dies nicht der Nächstenliebe, die wir im Zentrum der Botschaft Jesu so oft hören?

Wer nach klaren Lösungen und Antworten in der Bibel sucht, wird enttäuscht. Und es verunsichert zusätzlich, wenn wir an jene Menschen denken, die für alles in der Bibel irgendeine passende Aussage als Handlungsanleitung in konkreten Fragen finden wollen. Doch die Frage, woran wir uns beim Handeln als Bibellesende orientieren sollen, bleibt bestehen!

Zu Hilfe kommen können uns die Tradition und die grossen Linien der biblischen Geschichten: Gott ist engagiert in Geschichte und menschlichem Leben! Dies führte die Kirche im 19. Jahrhundert im Gefolge der Industrialisierung und einem komplett neuen Kontext dazu, ihre biblische und theologische Tradition auf neue Art zu lesen und zu gebrauchen. Entstanden ist dabei unter anderem die Katholische Soziallehre. Sie zeigt, wie neben dem Kontext (Industrialisierung/Arbeitswelt/Gesellschaft) und der Suche nach konkreten Handlungsoptionen der biblisch-christliche Wertboden notwendig ist.

Er bietet eine solide Orientierung. Diese erinnert daran, dass Institutionen für den Menschen da sein müssen und nicht umgekehrt. Auch gilt es, vorrangig die Benachteiligten und Armen im Blick zu haben und für sie zu sorgen. Beim Helfen soll es um Hilfe zur Selbsthilfe gehen, damit alle ernst genommen und gestärkt werden. Schliesslich soll zu Natur und Ressourcen Sorge getragen werden. Denn Handeln soll zum Ziel haben, dass es wirklich allen Menschen gut geht und niemand übermässig bevorteilt wird oder Lasten tragen muss.

Blicke ich auf den heutigen Evangeliumstext, so sehe ich nur den Handlungsentscheid. Der Kontext und wie auch die Anwendung der Kernwerte fehlen. Und darum erinnert mich diese Geschichte im Matthäusevangelium daran, dass es unsere Rolle als Christinnen ist, unsere handfesten Werte immer wieder auf die sich verändernden Kontexte und Situationen anzuwenden. Denn Handlungsoptionen wachsen erst aus dem Dialog zwischen Kontext und Wertorientierung. So wirkt denn auch Gott im Leben und den Geschichten von uns Menschen.

* Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

Thomas Wallimann-Sasaki | © zVg
11. November 2017 | 10:15
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