Gedanken zum Sonntag: «Gott, ich verzeihe dir …»

Zum  3. September 2017  – Jeremia 20,7-17

 «Gott, ich verzeihe dir …»

Josef Imbach*

Vor etlichen Jahren habe ich eine romanische Kirche aufgesucht, die für ihre alten Fresken berühmt ist. Weit nachhaltiger als die berühmten Malereien beschäftigt mich noch immer ein Buch, das dort auflag. Wer immer wollte, konnte darin persönliche Anliegen hineinschreiben. Beim Blättern stiess ich auf einen höchst ungewöhnlichen Eintrag einer Frau: «Gott, ich vergebe dir alles, was du mir angetan hast.»

Gott, ich vergebe dir! Steht eine solche Äusserung nicht dem Regelwerk jeder Religion diametral entgegen? Hat man uns denn nicht seit Kindheitstagen eingetrichtert, dass wir immer und lebenslang allen Grund haben, Gott um Verzeihung zu bitten für unsere Sünden? Ihn um Nachsicht anzuflehen? Ihm zu danken? Und hier wirft sich eine Schreiberin zur Richterin auf über GOTT! Erkühnt sich gar, Gott zu vergeben, was er ihr angetan!

Vor fünf oder sechs Jahrzehnten hätte ich eine solche Haltung vermutlich als gotteslästerlich empfunden. Inzwischen sehe ich die Dinge ein bisschen differenzierter. Nicht nur in vielen Gesprächen mit schmerzgeplagten und leiderprobten Menschen, sondern gerade auch durch die Lektüre der Bibel habe ich gelernt, dass es Situationen gibt, die Gottgläubige überfordern können.

Erinnert sei nur an Ijob, den über alle Massen Geprüften. Oder an Jeremia. Spott und Hohn muss der Prophet einstecken, wenn er seine Landsleute zur Umkehr aufruft. Irgendwann aber werden die Anfeindungen ihm zuviel – und er verwünscht den Tag seiner Geburt. «Der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet. Verflucht der Mann, der meinem Vater die frohe Kunde brachte: Ein Kind, ein Knabe, ist dir geboren!, und ihn damit hoch erfreute» (vgl. Jeremia 20,7-17).

Angesichts solcher Reden, die sich letztlich gegen den Schöpfergott selber richten, müssen alle gut gemeinten und religiös verbrämten Trostworte wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Was bleibt, ist der Eindruck, vom Schicksal, vom Leben oder von Gott ums Lebensglück betrogen worden zu sein.

Was die Frau in der alten Kirche ins Buch schrieb, scheint mir ehrlich – also kein Anzeichen von Zynismus, sondern Ausdruck von Glauben. Sie fühlt sich nicht vom Leben oder vom Schicksal, sondern von Gott selber ungerecht behandelt. Und sie nimmt diesen Gott, von dem sie meint, dass er sie fallen liess, ernst. Und schreibt ganz einfach, was sie empfindet: «Gott, ich vergebe dir!»

Wäre es vielleicht besser gewesen, sie hätte geschrieben: Gott, nie und nimmer kann ich dir vergeben, was du mir angetan hast?

* Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.

2. September 2017 | 16:46
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!