Gedanken zum Festtag: Der geschundene König und sein Paradies

Gedanken zum Festtag, 20.November 2016 – Christkönigsfest

Der geschundene König und sein Paradies

Ingrid Grave*

Schon manch ein König wurde geschunden, doch keiner hat dabei zu seinen Mitgeschundenen von einem Paradies gesprochen. Derjenige, von dem solches erzählt wird, hat sich zeitlebens aber nie als König ausgegeben. Trotzdem ist er angeklagt, sich als König der Juden bezeichnet zu haben. Genau besehen war diese Anklage ein politischer Trick, um den besitz- und furchtlosen Wanderprediger aus Nazareth umbringen zu lassen. Pilatus, der römische Statthalter in Palästina, lässt Jesus kreuzigen. Eine Todesstrafe, die nicht nur unsägliche Qualen verursachte, sondern für den Betreffenden und seine Angehörigen grösste Schmach bedeutete. Genau diesem Gehenkten hat die katholische Kirche einen Gedenktag gewidmet, das Christkönigsfest.

Der Evangelist Lukas (23, 35 – 43) schildert die Szene unter dem Kreuz, unter den drei Kreuzen. Am mittleren Kreuz der Wanderprediger. Im Gegensatz zu seinen Mitgekreuzigten trägt er eine Krone aus Dornen auf seinem Haupt. Ausdruck des Spottes, den schon die Henkersknechte mit ihm getrieben hatten, bevor er zur Kreuzigung abgeführt wurde. Doch nicht genug damit. In gewisser Entfernung von den Kreuzen stehen die Neugierigen, die Gaffer, die in ihren Äusserungen über den angeblichen König tiefe Verachtung zum Ausdruck bringen. Darunter führende Männer des Volkes, die für die schmerzverkrümmte «königliche» Gestalt nur noch ein Lachen übrig haben. Oben am Kreuzesbalken steht es sogar geschrieben, wer hier bald seinen Geist aushauchen wird: Der König der Juden! – Nein, hier auf diesem Hügel der drei Kreuze gibt es kein Erbarmen, kein Mitgefühl, keine Gnade. Oder doch? Die beiden Mitgekreuzigten sind keine Anhänger des geschundenen Königs, sondern werden als gewöhnliche Verbrecher bezeichnet.

Oft ist es so im Leben, dass zwei Menschen, die das gleiche Schicksal erleiden, total entgegengesetzt reagieren. Der eine flucht und vergräbt sich im Hass gegen Gott und die Menschen. Der andere bedenkt sein Leben, möchte neu beginnen, anders. So auch hier. Einer der beiden Mitgekreuzigten schafft es trotz seiner Qual, hörbar seinen Hohn über den König zu seiner Seite auszuschütten. Der andere bittet Jesus um ein Gedenken beim Hinübergehen in sein jenseitiges Reich, ins neue Leben. Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein, so lautet Jesu wahrhaft königliche Antwort.

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie sich in der Ökumene und in der Seelsorge engagiert.

 

 

 

 

21. Oktober 2016 | 08:05
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