Thomas Wallimann-Sasaki

Gedanken zum Sonntag: Biblisch-christlich selbstbestimmt

Zum Sonntag, 11. November 2018

Thomas Wallimann-Sasaki*

Zürich, 10.11.18 (kath.ch) «Solange ich Präsident bin, werde ich die Interessen Amerikas über alles andere stellen.» So beschrieb Donald Trump im September in einer Rede vor der UNO in New York seine politische Grundhaltung. Vielen ist sie auch bekannt unter dem Schlagwort «America first». Trump verstärkt, was oft auch im Kleinen erwähnt wird: Jede und jeder muss nur für sich selber schauen, die anderen müssen lediglich dieses Recht schützen, und dann geht es schliesslich allen gut. Gerade wenn die Zeiten schwieriger und komplizierter werden, hat der Rückzug auf das Eigene etwas Faszinierendes an sich und verspricht Sicherheit.

Dies mag sein, aber es gibt eine andere Erfahrung der Menschheit, die in den Texten zum heutigen Sonntag aufscheint. Die Witwe von Sarepta in der Lesung aus dem 1. Testament, die Witwe im Tempel im Markusevangelium und Jesus im Hebräerbrief – sie hätten alle genug Gründe, zuerst für sich selber zu schauen. Doch sie teilen! Die Witwe von Sarepta teilt mit Elija, die Witwe im Tempel mit den Ärmsten, wo sie doch selber kaum genug zum Leben hat, und Jesus teilt sogar sein Leben. Denn erst im Teilen kommt der Mensch zu sich selber und erfährt in der Beziehung den Reichtum des Menschseins. Dann spürt er das Gleichgewicht zwischen sich selber und dem Eingebunden-Sein in das Ganze der menschlichen Gemeinschaft.

Diese Weisheit ist nicht nur christlich, sondern sie ist menschlich. Niemand wird geboren ohne Beziehung. Kein Kind kann sich ernähren ohne Beziehung und niemand kann letztlich überleben ohne Beziehung. Der englische Priester John Donne hat dies um 1600 in einer Predigt so gesagt: «Kein Mensch ist eine Insel, einfach für sich selber da. Jeder Mensch ist Teil eines Kontinents, Teil eines Ganzen. Wird ein Klumpen vom Meer weggewaschen, ist Europa weniger und jeder Tod eines Menschen verringert auch mich.»

Wir Schweizerinnen und Schweizer schütteln häufig den Kopf und lachen über «America first», weil wir die Kurzsichtigkeit und den Egoismus dieser Politik durchschauen. In zwei Wochen stellt sich uns eine ganz ähnliche Frage: Wollen wir eine Selbstbestimmungsinsel oder Teil des Kontinents sein? Denn heisst ein tieferes Verständnis von Selbstbestimmung nicht: Teilen und in Beziehung leben?

Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich und ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

 

Thomas Wallimann-Sasaki | © zVg
10. November 2018 | 12:05
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