Gedanken zum Sonntag: Aus dem Wahrnehmen erwächst Handeln

Gedanken zum Sonntag, 8. Januar 2017 – (Buch Jesaja, Kapitel 42; Matthäusevangelium, Kapitel 3, Verse 13-17)

Aus dem Wahrnehmen erwächst Handeln

Thomas Wallimann*

Es wäre doch so einfach: Wer nicht gute Werke tut, kommt nicht in den Himmel! Ganz nach menschlicher Logik: Es braucht Anreize, Sanktionen oder Strafen, dann folgt das Handeln automatisch.

Die Lesungen an diesem ersten Sonntag nach Neujahr zum Fest der Taufe des Herrn erzählen uns etwas anderes. Gottes Pädagogik ist anders. Zuerst kommt die Zusicherung der Liebe. Gott mutet uns einfach mal sein unbedingtes Vertrauen zu. Er tut dies nicht mit einer grossen Ansprache oder einem tüchtigen Wunder, sondern in den Geschichten und im Leben von Menschen. Im ersten Testament sind es die Lieder vom Gottesknecht, aufgeschrieben vom Propheten Jesaja, im neuen Testament ist es Johannes der Täufer.

«Du bist als Mensch akzeptiert und geliebt.» Punkt. Diese Zusage kommt zuerst, ohne Wenn und Aber. Und dann folgt das Handeln. Dazu aber braucht es Wahrnehmung. Licht für die Völker zu sein, wie es Jesaja beschreibt, meint weniger ein hektisches Herumzünden, sondern das Hineinleuchten in die dunklen Orte dieser Welt. Dann sehen wir und fragen: Täuscht uns die Bilderflut in unserer Welt mit all ihren Versprechungen nicht gern über das hinweg, was wirklich passiert?

Der vom Geist und der vorbehaltlosen Zusage Gottes inspirierte Blick deckt auf und fragt: Fühlen sich heute nicht viele Menschen in der Arbeitswelt wie in einem Hamsterrad gefangen, das wie ein Gefängnis wirkt? Erinnern viele Aussagen zur Zukunft der Alterssicherung oder zu andern Sozialwerken nicht an eine Situation, in der nur noch Düsternis herrscht? Ist damit gemeint, was in den biblischen Texten heute erzählt wird: Licht sein, wo Menschen heute blind sind, wo sie in Kerkern gefangen leben oder im Dunkeln sitzen?

Hinschauen ist nicht ganz einfach, weil es uns Angst machen könnte. Denn wir wissen schlicht nicht, wie wir reagieren sollen, wie wir Lösungen finden sollen. Das ist menschlich. Die Zusage Gottes spricht uns anders an: Nicht Lösungen sollen wir bieten, nicht laut herumschreien und Aufmerksamkeit erhaschen, sondern den glimmenden Docht nicht auslöschen, das geknickte Rohr nicht zerbrechen, vielmehr Licht und Zuversicht verbreiten. Modern heisst dies «visionär sein»! Das können wir nur, wenn wir sorgfältig und wachsam sind. Recht durchsetzen ist keine Frage des Holzhammers, sondern vorerst feines und liebevolles Wahrnehmen. Wahrnehmen heisst, in Kontakt treten und dann zusammen mit den Menschen konkret, geistvoll – eben von der Taufe geprägt – handeln.

*Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.

7. Januar 2017 | 15:29
Lesezeit: ca. 2 Min.
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