«Für mich ist das ein idealer Arbeitsort»

Zürich, 18.6.17 (kath.cb) Emsig werden im Garten des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks) in Auzelg Beete gepflanzt und begossen. Dort sind Flüchtlinge tätig. kath.ch hat die Einrichtung anlässlich des Weltflüchtlingstags der Uno vom 18. Juni besucht.

Vera Rüttimann

Auf dem 1600 Quadratmeter grossen Areal ist eine Oase entstanden für Menschen, die ihren heimatlichen Boden aufgrund von Krisensituationen verlassen mussten. «Urban Gardening» mit Flüchtlingsfrauen. Ein Integrationsprojekt mit Vorbildcharakter, denn jede Flüchtlingsfrau darf hier ihr eigenes Beet bepflanzen.

Jetzt, im Sommer, herrscht im Garten Hochbetrieb. Die Frauen, die mit gebeugten Rücken zwischen Erdschollen und Sträuchern stehen, kommen aus Afghanistan, Eritrea, Sri Lanka, Bosnien, Pakistan und dem Iran. Mitten drin: Lisa Moser. Die Zürcherin führt die Frauen als Programmleiterin der Heks-Gärten und Naturgartenfachfrau ins Gärtnern ein.

Es kostete Mut, diesen Schritt zu tun.

In der Pause setzt sie sich mit den Frauen zum Mittagbrot. Auf dem Tisch liegt aus, was die Frauen ernten konnten: Schnittknoblauch, Kresse und Erbsen. Es wird viel gelacht. «Das tut den Frauen gut, denn oftmals haben sie auf dem Weg in die Schweiz Belastendes erlebt», sagt Lisa Moser später im Gespräch mit kath.ch.

Die 60-Jährige fragt die Frauen nicht nach ihrer Fluchtgeschichte. «Für traumatisierte Menschen ist es wichtig, dass wir Ihnen ein Stück Normalität anbieten und ihnen mit Freundlichkeit begegnen», betont Moser, die erst durch die Gärten mit Geflüchteten zusammen kam.

Die Abwesenheit von belastenden Themen und das gemeinsame Arbeiten im Garten sei das Kernstück des Projekts, so Moser. Die Frauen seien froh, dass hier nicht ihre bedrückenden Erlebnisse Thema sind, sondern Karotten und Zucchettis, die aus dem Boden wachsen und normale Alltagsthemen

Der Garten als Lernort

Auch wenn Lisa Moser bei den Flüchtlingsfrauen den richtigen Ton trifft, versteht sie sich nicht als Sozialarbeiterin, sondern als Gartenfachfrau. Dazu hat sie sich mit 50 Jahren umschulen lassen und absolvierte den Lehrgang «Naturnaher Garten – und Landschaftsbau», nachdem sie zuvor als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bildungs- und Sozialverwaltung gearbeitet hatte.

Einen grünen Daumen hatte sie jedoch schon immer. Schon als junge Frau arbeitete sie in der Landwirtschaft und hatte selbst einen grossen Garten mit Kleintieren. 2011 begann Moser, bei den Heks-Gärten zu arbeiten. «Es kostete Mut, diesen Schritt zu tun, aber ich habe es bis heute keine Sekunde bereut.» Die Arbeit gefällt der agilen Frau.

Hier könne sie alles einbringen, was sie in ihrem bisherigen Berufsleben gelernt habe, sowohl die gesamten Projektleitungsarbeiten als auch das Gartenwissen und die Arbeit mit Menschen Lisa Moser bringt den Flüchtlingsfrauen alle nötigen handwerklichen Fertigkeiten bei, die es für einen Garten braucht: Das Bestellen der Beete, das Rasen- und Sensenmähen und das Bauen von Tomatenhäusern. Zudem lernen sie, wo man Setzlinge und Saatgut kaufen kann und wie Abfall hierzulande korrekt entsorgt wird.

Sie müssen erkennen, warum man auf Wiesen keine Steine wirft.

Die Garten-Leiterin vermittelt den Frauen auch Verantwortung für ihr Gegenüber. Lisa Moser nennt Beispiele: «Sie lernen, wie man Werkzeug richtig versorgt, ohne dass sich andere dabei verletzen. Sie müssen erkennen, warum man auf Wiesen keine Steine wirft, weil sonst der Rasenmäher kaputt geht.» Die Flüchtlingsfrauen erhalten von ihr zudem einen Schlüssel zum Garten und können so auch mit ihren Familien jederzeit hierher gehen. Das sei auch ein Übertragen von Verantwortung, so Moser.

Der Garten hier bietet ihnen etwas Raum zur Erholung.

Die Gärten sind ein Lernort, für beide Seiten. Während Migrantinnen hier etwas über die Pflanzzeiten erfahren, lernt Lisa Moser, die nebenbei noch ihr Naturgartenfachgeschäft «rosaviva naturnah» führt, von Frauen aus dem Iran, Syrien oder Afghanistan Pflanzen und Gerichte kennen, von denen sie als Schweizerin noch nicht gehört hat.

Eine soziale Oase

Goldgelb werden jetzt die Bäume und Sträucher von der Abendsonne beschienen. Einige der Frauen können in ihren Beeten Koriander, Zwiebeln und Knoblauch ernten. Die Stimmung ist gut und darüber freut sich auch Lisa Moser. Sie sagt: «Ich freue mich immer, wenn die Frauen ernten können, was sie angesät haben und wenn sie gerne in diesen Garten kommen.» Sie freut sich zudem, wenn sie sieht, wenn unter den Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund neue soziale Kontakte entstehen.

Das gemeinsame Säen, Ernten und Speisen schaffe ein Gemeinschaftsgefühl. Die Frauen sind hier unter sich. Das Programm richtet sich an Frauen, weil diese oft schon in ihrem Herkunftsland am Rand standen und auch hier kaum Möglichkeiten haben, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten «Manche haben auf der Flucht auch sexuelle Gewalt erlebt. Der Garten hier bietet ihnen etwas Raum zur Erholung», sagt Lisa Moser.

Der Erfolg der Gärten

Geflüchtete Frauen sollen nicht nur einer gesunden Tätigkeit in der Natur nachgehen, sie sollen sich in der Schweiz auch sozial und wirtschaftlich stabilisieren können. Deshalb wird im Garten Deutsch gesprochen, damit die Frauen auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben. Wenn Frauen nicht mehr in den Garten kommen, bedeutet dies für Lisa Moser nicht zwangsläufig etwa Negatives.

Wenn Frauen an einem Strang ziehen, schaffen sie erstaunlich viel.

Oft hat eine Migrantin eine Arbeit gefunden oder einen Intensivdeutschkurs begonnen. Vielen Frauen, weiss Moser, gibt ihr eigenes Beet im Auzelger Garten die nötige Schubkraft, in ihrem Leben einen wichtigen Schritt weiter zu gehen.

Die Gärten sind für Lisa Moser ein Erfolgsmodell. Sie sagt: «Wenn Frauen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen an einem Strang ziehen und Verantwortung übernehmen für sich und andere, schaffen sie erstaunlich viel.»

Lisa Moser, Leiterin der Heks-Gärten (Karriertes Hemd) | © Vera Rüttimann
18. Juni 2017 | 15:28
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Gärten und Schwimmbad

Das Projekt «Heks Neue Gärten» ist seit 2012 kontinuierlich gewachsen. Aktuell werden sechs Standorte betrieben, vier in Zürich, je einer in Winterthur und Schaffhausen. Drei Gärten in Zürich werden von Lisa Moser geführt. Der Garten in Winterthur wird von Monika Wirz, der Leiterin des Schaffhauser Gartens geführt, derjenige im Balgrist von Claudia Portmann, einer ehemaligen Freiwilligen vom Garten Zürich-Friesenberg. Im Gartenareal Auzelg und in Winterthur wird ausserdem ein Programm für Kinder angeboten.

Im Winter wurde in Zürich ein Schwimmkurs angeboten, in Schaffhausen traf sich die Gruppe monatlich zu einem Austausch über Gartenthemen im Kirchgemeindehaus und in Winterthur hat das von der lokalen Kirchgemeinde organisierte «Café International» der Gruppe Gastrecht gewährt. (vr)