Karin Iten, Präventionsbeauftragte des Bistums Chur
Schweiz

Frauen reagieren auf Rücktritt von Karin Iten: «Wir sind die Basis und der Boden in der katholischen Kirche»

Die Präventions-Ikone Karin Iten geht: Seelsorgerin Ella Gremme wird sie vermissen. Michaela Berger-Bühler, Thurgauer Generalsekretärin kann nicht nachvollziehen, dass die Präventionsbeauftragte so kämpfen musste, um den Verhaltenskodex umzusetzen. «Karin Iten hat ganz viel bewegt», sagt Simone Curau-Aepli, Präsidentin des katholischen Frauenbunds in der Schweiz.

Wolfgang Holz und Sarah Stutte

Ella Gremme leistet seit Jahren als Badener Pfarreiseelsorgerin Dienst an der Basis. Die gelernte Krankenschwester, mittlerweile mit 65 Jahren im besten Pensionsalter, übernimmt nach dem Weggang von Weihbischof Josef Stübi, nun vorübergehend weiterhin Verantwortung in ihrer Pfarrei. Sie wurde gerade eben zur Pfarrei- und Gemeindeleiterin ad interim bestimmt. Sie darf jetzt sogar taufen.

«Ohne Frauen würde in der Kirche nichts mehr funktionieren.»

Ella Gremme, Pfarreileiterin ad interim, Baden

«Natürlich vermisse ich Karin Iten. Jede Frau, die sich für Gleichheit und Gerechtigkeit in der katholischen Kirche einsetzt, ist wichtig», ist Ella Gremme überzeugt.

Immer ein Lächeln im Gesicht: Ella Gremme in Baden
Immer ein Lächeln im Gesicht: Ella Gremme in Baden

Und nicht nur das. Frauen seien in der katholischen Kirche längst nicht mehr wegzudenken. «Wir Frauen sind die Basis und der Boden der katholischen Kirche, in der ohne Frauen nichts mehr funktionieren würde.»

Reformprozess mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten

Sie selbst sei zwar keine feministische Theologin. «Aber ich bin mir sicher, dass es – ausgelöst durch den weltweit synodalen Prozess die Gleichberechtigung in der katholischen Kirche – nicht mehr aufzuhalten sein wird, dass Frauen irgendwann zu Diakoninnen und zu Priesterinnen geweiht werden», sagt die Pfarreiseelsorgerin. Allerdings kann sie sich vorstellen, dass dieser Reformprozess in einzelnen Ländern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen wird.

Gottesdienst «full house» – dank einer Frau

Dass Frauen als Priesterinnen durchaus erwünscht sind, hat sie jüngst aus eigener Erfahrung wieder erlebt. «Als ich vor drei Wochen meinen Startgottesdienst in Baden hatte, versicherte man mir, dass die Kirche leer sein würde – am Ende war der Wortgottesdienst mit Kommunion proppenvoll.»

«Sie hat nicht nur Dinge gefordert, sondern auch zur Diskussion angeregt.»

Simone Curau-Aepli, Katholischer Frauenbund

Für Simone Curau-Aepli, Präsidentin des katholischen Frauenbunds in der Schweiz, steht absolut fest, dass Karin Iten «ganz viel bewegt, aber auch ganz viele Widerstände ausgelöst hat.»

Simone Curau-Aepli ist Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds
Simone Curau-Aepli ist Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds

Sie habe ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass es längst überfällig sei, dass die Institution Kirche in Sachen Frauen aktiv werden müsse. «Sie hat nicht nur Dinge gefordert, sondern auch zur Diskussion angeregt.»

«Richtige Baustelle»

Wobei Curau-Aepli anfangs gestaunt habe, dass sich Karin Iten mit ihrem feministischen Hintergrund und ihrer Kompetenz in das katholisch-klerikalistische System überhaupt hineinbegeben habe. «Das ist ja eine riesige Baustelle.»

Doch die Aussenperspektive könne auch ein Vorteil sein, weiss Michaela Berger-Bühler, Generalsekretärin der katholischen Landeskirche Thurgau. «Je neutraler der Blick, desto eher können die gegebenen Strukturen hinterfragt und die Systematiken, die für viele Interne selbstverständlich sind, durchbrochen werden. Ich bin selbst auch ohne kirchliche Vorgeschichte in die Landeskirche gekommen. Mir hat das stets geholfen und tut es immer noch.»

«Wir brauchen dringend Frauen wie sie, die das System kritisch hinterfragen.»

Michaela Berger-Bühler, Katholische Landeskirche Thurgau

Michaela Berger-Bühler kann Karin Itens Schritt nachvollziehen, sieht darin aber einen grossen Verlust für die katholische Kirche.

«Karin Iten hat immer dafür gekämpft, dass systematische Machtstrukturen abgebaut und Frauen nicht nur als Basisarbeiterinnen und freiwillige Mitarbeiterinnen betrachtet werden», so Berger-Bühler.

Michaela Berger-Bühler, Generalsekretärin der Katholischen Landeskirche Thurgau.
Michaela Berger-Bühler, Generalsekretärin der Katholischen Landeskirche Thurgau.

Und sie fügt hinzu: «Wir brauchen dringend Frauen wie sie, die das System kritisch hinterfragen. Diese müssen aber auch viel Durchhaltewillen mitbringen, weil in dem schweren Apparat katholische Kirche nur in ganz kleinen Schritten die Veränderung gelingt», meint die Thurgauer Generalsekretärin.

Auf die Frage, was Itens Weggang für die schweizweite Präventionsarbeit und Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche bedeute, erwidert Berger-Bühler: «Im Hinblick auf den 12. September, wenn die ersten Ergebnisse der nationalen Missbrauchsstudie veröffentlicht werden, ist das denkbar schlecht. Es gilt jede Form von kirchlichem Machtmissbrauch zu verhindern, denn jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Dass Karin Iten so kämpfen musste, um den Verhaltenskodex umzusetzen, konnte ich nicht nachvollziehen. Das sollte selbstverständlich sein in der heutigen Zeit.»

Präventionsarbeit ernst genommen

Auch Simone Curau-Aepli lobt das Engagement Itens zur Erarbeitung des neuen Verhaltenskodexes in der Kirche. «Wir haben ihre Präventionsarbeit sehr ernst genommen und auch in unserem Verband in punkto Arbeit mit Freiwilligen ein entsprechendes Papier konzipiert.» Karin Iten habe die Dinge beim Namen genannt und daraufhin gewiesen, dass Machtmissbrauch vor allem ein strukturelles Problem in der Kirche sei.

Karin Iten, Präventionsbeauftragte des Bistums Chur
Karin Iten, Präventionsbeauftragte des Bistums Chur

Die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes ist deshalb überzeugt, dass es auch dank der klaren Benennung von Missständen durch Karin Iten zu Veränderungen in der katholischen Kirche kommen muss. Damit sich die Partizipation und Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche erhöhe.

«Es braucht mutige Bischöfe»

«Um dies zu realisieren, braucht es allerdings Bischöfe, die mutig vorangehen», ist sich Simone Curau-Aepli sicher. «Bischöfe müssen sich getrauen, Frauen zu weihen.» Denn Kirche sei in der Schweiz und der ganzen Welt längst zu 70 bis 80 Prozent weiblich. «Und schliesslich ist es nicht einzusehen, dass Frauen, die sich zur Priesterin berufen fühlen, ihre Berufung nur wegen ihres Geschlechts nicht leben können.»

Ähnlich sieht es Michaela Berger-Bühler. «Die katholische Kirche hat ganz klar ein Personalproblem, da stimme ich Karin Iten zu. Ich würde die Situation sogar als kritisch bezeichnen. Die Seelsorgenden, die in Pension gehen, können mit dem Nachwuchs gar nicht mehr aufgefangen werden, weil die Kirche als Arbeitgeberin nicht mehr attraktiv erscheint», sagt sie.

«Wenn wir als Kirche in der Gesellschaft spürbar bleiben wollen, braucht es Mut zur Veränderung.»

Michaela Berger-Bühler

Dieser Entwicklung muss laut Michaela Berger-Bühler entgegengewirkt werden. «Wenn wir als Kirche in der Gesellschaft spürbar bleiben wollen, braucht es Mut zur Veränderung. Die Kirche steht seit jeher im Wandel. Das wäre Grund genug, den Wandel endlich auch zuzulassen».


Karin Iten, Präventionsbeauftragte des Bistums Chur | © zVg
5. Juni 2023 | 17:18
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