Der Flüchtling Abde aus Eritrea lebt im "Niemandsland" zwischen Gaza und Israel, hinter einem Metallcontainer am Checkpoint 55
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Exklusiv: Vier Monate illegal im Niemandsland zwischen Gaza und Israel

Gaza-Stadt, 29.1.15 (kath.ch) Der Flüchtling Abde lebt seit vier Monaten im Niemandsland zwischen Gaza und Israel. Illegal und ohne Hoffnung. Die Hamas will den Christ aus Eritrea nicht und Israel will ihn nicht. Die Heiligland-Korrespondentin von kath.ch, Andrea Krogmann hat den 27-Jährigen am Checkpoint 55 getroffen. Ein erschütterndes Dokument einer heillosen Situation.

Andrea Krogmann

Eritrea. Sudan. Ägypten. Israel. Abdes Weg ist der eines klassischen illegalen Flüchtlings. Auf dem Landweg hat er sich durchgeschlagen, zu gefährlich die See. «Zu viele Eritreer sind im Mittelmeer gestorben.» Dann kam das Niemandsland. Wie genau er in den schmalen Streifen zwischen dem israelischen Grenzkontrollpunkt «Erez» und Gaza geraten ist? Abde zögert, senkt den Blick, murmelt etwas von «einem Fehler». Seine Stimme geht im Gewirr der Stimmen am Checkpoint unter.

Abde zieht es hinter den Metallcontainer, weg vom offiziellen Betrieb des kleinen Schalterhäuschens. Unruhig springt sein Blick hin und her. Dann wieder schaut er zu Boden, verlegen, apathisch fast. 27 Jahre alt, gross gewachsen, schlank. Ein zu gross geratener Junge, der beim Schummeln erwischt wurde.

Vom israelischen Gefängnis ins Gefängnis der Hamas

Eigentlich hatte Abde es geschafft. Eine Lücke im immer enger werdenden Netz gefunden, mit dem Israel sich vor illegalen Einwanderern zu schützen versucht. Eine Arbeit in Tel Aviv, illegal und ohne Papiere. Wie die meisten seiner Landsleute. Dann gab es «Probleme auf der Arbeit». Abde kam ins Abu Kabir-Gefängnis bei Tel Aviv. Nach einer Woche in Haft wurde er nach Gaza gebracht, «zusammen mit einem Häftling aus Ramallah». An der Grenze zu Gaza wurde er aufgegriffen, ins Gefängnis der Hamas gebracht. «Jeden Tag» haben sie versucht, ihn zum Islam zu bekehren. «Aber ich habe nicht gelogen: Ich habe meine Religion. Ich bin Christ.»

Das vorerst letzte Kapitel seiner Flucht begann am 13. September, dem Tag, als er aus dem Hamasgefängnis entlassen wurde. «Ich wurde nach Erez gebracht», erzählt Abde. «Ich bin als erstes nach Israel gegangen. Eine Stunde habe ich mit den Soldaten gesprochen. Sie haben mich weggeschickt, gesagt, ich habe kein Recht hier zu sein. Das war vor mehr als vier Monaten. Seither warte ich hier.»

Vom Hamas-Knast in die Pufferzone

Hier. Am «Checkpoint 55». 55, benannt nach der Armee-Funkfrequenz, steht unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde. Pufferzone zwischen dem israelischen Kontrollpunkt «Erez» und «Checkpoint 44», der Hamas-kontrollierten letzten Hürde zum Gazastreifen. Ein Stuhl auf einer Holzpalette, darüber eine Wäscheleine mit ein paar T-Shirts. Ein paar Quadratmeter Intimsphäre an einem Durchgangsort für die Auserwählten, die Reisefreiheit zwischen Israel und Gaza geniessen. «Checkpoint 55» ist nicht gemacht für Dauergäste.

Am Checkpoint 55 kennt man Abde. Die Mitarbeiter haben Mitleid. «Die Leute sind nett. Sie sind von Ramallah, nicht von der Hamas. Seit der Regen angefangen hat, darf ich nachts im Büro schlafen. Mittags esse ich mit ihnen.» Es ist die einzige Mahlzeit am Tag. Wenn der Checkpoint abends um sieben schliesst, ist Abde allein. «Bis jetzt lebe ich im Gefängnis. Sie haben mich entlassen, aber ich kann nirgends hingehen.»

Bibel im Container versteckt

Als Muslim, sagt Abde, hätte er es einfacher. Seine Bibel hat er im Container versteckt. «Als Muslim könnte ich mit Hilfe der Hamas zurück in den Sudan.» Abde will nach Israel. Per Telefonkonferenz hat er vor drei Monaten Flüchtlingsstatus beim UNHCR beantragt. «Das dauert.» Die Vertreter des Roten Kreuzes sieht Abde täglich am Checkpoint. Helfen konnte ihm bislang keiner. Und die Kirche? «Es gibt eine orthodoxe Kirche in Gaza. Aber niemand kam um mich zu sehen oder mit mir zu beten. Wir haben Angst vor Hamas.»

Abde war Soldat. Die «Politik der Regierung und das schlechte Management» haben ihn zur Flucht getrieben. «Ich liebe Eritrea.» Wie ein Mantra wiederholt Abde den Satz. Wenn er zurückgeschickt wird, droht ihm Gefängnis. Seine Familie hat er in Eritrea zurückgelassen. «Manchmal rede ich mit ihnen. Aber sie wissen nichts von meiner Lage.»

Eine Einladung zum Kaffee schlägt Abde aus. «Es ist besser, wenn wir nicht zusammen gesehen werden, wegen der Hamas.» Ob er einen Wunsch hat, eine Botschaft «für die Menschen da draussen»? Abde zuckt mit den Schultern. «Ich habe keine Hoffnung mehr. Keiner kann mir helfen.» Dann mischt er sich unter die bekannten Gesichter am Checkpoint 55.

Der Flüchtling Abde aus Eritrea lebt im «Niemandsland» zwischen Gaza und Israel, hinter einem Metallcontainer am Checkpoint 55 | © 2015 Andrea Krogmann
29. Januar 2015 | 16:53
Lesezeit: ca. 3 Min.
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