Marianne Streiff, Präsidentin der EVP Schweiz und Nationalrätin
Schweiz

EVP-Präsidentin Streiff zum Referendum gegen Fortpflanzungsmedizingesetz: «Anwendung der PID muss in möglichst engen Grenzen gehalten werden»

Zürich, 1.9.15 (kath.ch) Nach dem deutlichen Grundsatzentscheid zur Präimplantationsdiagnostik (PID) vom 14. Juni ergreift die Evangelische Volkspartei der Schweiz (EVP) am Dienstag, 1. September, zusammen mit weiteren Organisationen das Referendum gegen das revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz. Dieses regelt die Anwendung des umstrittenen Verfahrens. EVP-Parteipräsidentin und Nationalrätin Marianne Streiff sagt im Interview mit kath.ch, was mit dem Referendum erreicht werden kann, warum dieses an der Urne eine Chance hat und wie es sich anfühlt, als Lebensschützerin – immer wieder – auf verlorenem Posten zu kämpfen.

Barbara Ludwig

Am 14. Juni haben die Schweizer Stimmberechtigten den Embryonenschutz aus der Verfassung gekippt. Nun ergreift die EVP Schweiz zusammen mit weiteren Organisationen das Referendum gegen das Fortpflanzungsmedizingesetz. Es gibt Leute, die meinen, das bringe nichts, weil man damit den Grundsatzentscheid nicht mehr rückgängig machen kann. Teilen Sie diese Ansicht?

Marianne Streiff: Nein. Die Ausgangslage ist komplexer. Die Lockerung des Embryonenschutzes kann man zwar tatsächlich nicht mehr rückgängig machen. Das Volk hat beschlossen, dass mehr Embryonen hergestellt werden dürfen, als der Mutter sofort eingepflanzt werden können. Überzählige Embryonen werden künftig eingefroren und können untersucht werden. Das Fortpflanzungsmedizingesetz hingegen können wir noch beeinflussen.

Wie wollen Sie das Gesetz beeinflussen?

Mit dem Referendum wollen wir verhindern, dass das Gesetz in der vom Parlament beschlossenen Form in Kraft tritt. Die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID) muss in möglichst engen Grenzen gehalten werden. Der Bundesrat hatte dem Parlament ursprünglich eine eng gefasste Gesetzesrevision vorgelegt, die von diesem ausgeweitet wurde: Nicht mehr nur Paare mit einer schweren Erbkrankheit dürfen die PID anwenden, sondern alle Paare, die mit Hilfe einer künstlichen Befruchtung Kinder bekommen wollen. Unfruchtbaren Paaren hat es zudem die Untersuchung des Embryos auf Chromosomenstörungen, also das Chromosomen-Screening, erlaubt. Damit wird eine viel breitere Selektion zugelassen.

Kommt das Referendum zustande, ist das auch für jene Kreise, die eine breite Anwendung der PID befürworten, ein Signal, dass das so nicht geht. Wir gehen davon aus, dass eine allfällige neue Vorlage eher den ursprünglichen Vorstellungen des Bundesrates entsprechen wird.

Noch sind wir nicht so weit. Die PID wurde mit rund 62 Prozent Ja-Stimmen überraschend deutlich angenommen. In welchen Kreisen erhoffen Sie sich Unterstützung für das Referendum?

Streiff: In kirchlichen Kreisen, bei Behinderten- und Lebensschutzorganisationen.

Wie hoch sind aus Ihrer Sicht die Chancen auf einen Sieg in der Referendumsabstimmung – sofern es denn eine gibt?

Streiff: Es gibt eine Referendumsabstimmung. Da können Sie sicher sein. Die 50’000 Unterschriften bekommen wir, weil viele Leute mithelfen und Unterschriften sammeln werden. Etwas anderes ist dann allerdings der Abstimmungskampf. Rund 40 Prozent der Stimmbeteiligten haben bereits die Verfassungsänderung abgelehnt. Wir brauchen also noch die Unterstützung von zusätzlich etwas mehr als 10 Prozent. Es gibt bei den Grünen und den Sozialdemokraten Politikerinnen und Politiker, die die Verfassungsänderung nicht bekämpften, aber das Gesetz ablehnen. Und ich gehe davon aus, dass es auch in der Bevölkerung Leute gibt, die zwar nicht alles verbieten wollen, denen das Gesetz aber zu weit geht. Deshalb glaube ich, dass das Referendum eine Chance haben wird in der Abstimmung.

Und für wie gross halten Sie die Chance auf einen Abstimmungssieg auf einer Skala von 0 bis 10?

Streiff: Schwierig zu sagen. Hier lasse ich mich nicht so gerne auf die Äste hinaus. Ebenso schwierig ist es, bei Wahlen die Chancen vorauszusagen. Ich weiss nicht, wer schliesslich zur Urne geht. Aber wir haben sicher eine Chance. Wir kämpfen nicht gegen Windmühlen.

Immer wieder hat man allerdings den Eindruck, Lebensschützer kämpften heutzutage auf verlorenem Posten, etwa beim Schwangerschaftsabbruch.

Streiff: Das stimmt. Aber sehen Sie, wenn niemand mehr sagt: Ich finde es nicht richtig, Kinder abzutreiben oder Embryonen zu selektieren, geht die Entwicklung noch viel schneller in eine unerwünschte Richtung. Allein die Tatsache, dass es Leute gibt, die eine andere Sichtweise haben, wirkt bremsend. Es ist wichtig, dass das Bewusstsein vorhanden ist, dass verschiedene Lösungsmöglichkeiten existieren, etwa bei einer ungewollten Schwangerschaft oder einer Problemschwangerschaft. Und dass es nicht einfach zur Norm wird, dass man eine Schwangerschaft abbricht, wenn etwas nicht so läuft, wie man will.

Wie fühlt sich das an, auf verlorenem Posten zu kämpfen?

Streiff: Es ist unbequem. Man ist gerne bei der Mehrheit. Es macht nicht wahnsinnig viel Spass, als ewiggestrig angeschaut zu werden. Und trotzdem: Wenn ich überzeugt bin, etwas sei falsch, sage ich das auch. Auch wenn dadurch kein Gesetz rückgängig gemacht werden kann und man gewisse Dinge akzeptieren muss, weil das Volk so entschieden hat. Ich sage mir immer, wenn auch nur eine Frau innehält und sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet – weil sie noch eine andere Meinung gehört hat – dann hat das ein Menschenleben gerettet.

Was gibt Ihnen den Mut, immer wieder Position zu beziehen, auch wenn Sie damit in der Minderheit sind?

Streiff: Es ist die tiefe Überzeugung, dass das Menschenleben das höchste Gut ist.

Welches ist aus Ihrer Sicht das überzeugendste Argument, das die Bürgerinnen und Bürger dazu bewegen soll, das Referendumsbegehren zu unterschreiben?

Streiff: Ein Gesetz, welches das Chromosomen-Screening zulässt, geht viel zu weit. Bei diesem Verfahren unterscheiden wir zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben. Ich bin überzeugt, gerade die mit der PID und dem Chromosomen-Screening verbundene Selektion gibt vielen Menschen zu denken: Wo ziehen wir die Grenzen? Welches Leben ist lebenswert? Muss man körperlich fit sein? Oder geistig? Fällen wir in solchen Fragen Entscheidungen, überschreiten wir wirklich Grenzen. Ich finde es grundsätzlich problematisch, dass wir heute keine Grenzen mehr akzeptieren.

Welchen Stellenwert hat der Kampf gegen die «PID» bei der EVP Schweiz?

Streiff: Einen sehr grossen, weil die PID ganz zentral das Menschsein tangiert. Wir haben den Schutz des Lebens in unser Parteiprogramm aufgenommen. Dieser ist dem Begriff Menschenwürde zugeordnet, einem von drei Aspekten, nach denen wir unsere Politik ausrichten wollen. Die anderen Aspekte sind Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Der Kampf gegen die PID ist eine Sache der Menschenwürde. Vielleicht ist er auch eine Sache der Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn ich sage: Weil du das Down-Syndrom hast, sollst du nicht zur Welt kommen?

Die EVP Schweiz beteiligt sich dieses Jahr erstmals am «Marsch fürs Läbe» in Zürich. Sie persönlich werden dort auftreten. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Referendum?

Streiff: Ja, ganz klar. Der «Marsch fürs Läbe» stellt die PID dieses Jahr zentral auf die Themenagenda. Es ist ein Lebensschutzthema, bei welchem sich unsere Partei an vorderster Front engagiert. Als Mitte- und Wertepartei setzt sich die EVP seit Jahrzehnten ein für Schwache und Benachteiligte, stellt sich schützend vor die Familie und das menschliche Leben. Über die allfällige Teilnahme an weiteren Märschen werden wir von Fall zu Fall entscheiden. (bal)

Überparteiliches Komitee ergreift Referendum gegen Fortpflanzungsmedizingesetz

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Marianne Streiff, Präsidentin der EVP Schweiz und Nationalrätin | © Hans Merrouche
1. September 2015 | 11:20
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Marianne Streiff

Die 58-jährige Nationalrätin aus dem Kanton Bern steht seit April 2014 als erste Frau an der Spitze der Evangelischen Volkspartei der Schweiz (EVP). Politik betreibt die frühere Lehrerin seit 1991, zunächst auf kommunaler und kantonaler Ebene, seit 2010 im Nationalrat. Seit 2009 präsidiert sie Insos Schweiz, den nationalen Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung. Sie ist auch Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe für Behindertenfragen. Streiff ist verheiratet, hat drei Kinder und ist Mitglied der reformierten Kirche. (bal)