Thomas Ruckstuhl
Schweiz

Nach 17 Jahren Regens wieder Pfarrer – geht das?

Luzern, 9.10.17 (kath.ch) Kann ein Priester verlernen, Priester zu sein? Thomas Ruckstuhl war 17 Jahre lang Regens und wagt sich jetzt zurück in den Beruf des Priesters. Ab Mitte November übernimmt er die Stelle des Stadtpfarrers von den Solothurnischen Pfarreien St. Ursen und St. Marien. Mit kath.ch sprach er über die Omnipräsenz eines Pfarrers, über das erste, barmherzigste Nein und über Kirchenparkplätze.

Francesca Trento

Herr Ruckstuhl, Sie waren 17 Jahre Regens. Jetzt starten Sie wieder als Pfarradministrator. Können Sie das überhaupt noch?

Ruckstuhl: (lacht) Das ist sicher eine Herausforderung. Es bedeutet ein Sich-Einlassen auf etwas anderes: auf die Seelsorge und Pfarreileitung. Aber ich habe im Salesianum in Fribourg und im Seminar St. Beat in Luzern junge Menschen darin ausgebildet, genau das zu tun. Ich freue mich also darauf.

Junge Leute zu begleiten Priester zu werden, ist nicht das gleiche, wie selbst Priester zu sein.

Ruckstuhl: Stimmt –  aber immerhin eine gute Voraussetzung! Natürlich hatte ich in der Ausbildungsarbeit viel mit den Fragen des Pfarreilebens zu tun. Als Studienleiter des Nachdiplomstudiums Berufseinführung führte ich unsere Priester, Diakone und Pastoralassistentinnen in 14 thematischen Wochen über zwei Jahre hinweg in die wesentlichen Bereiche der pastoralen Arbeit ein. Zum Beispiel in die Jugendarbeit und Diakonie, in Liturgie und Religionsunterricht, Zeitmanagement und Gruppendynamik, Bistum und Weltkirche.

«Menschen müssen sich von der Omnipräsenz eines Pfarrers verabschieden.»

Zudem war ich in den vergangenen Jahren aktiv als Priester tätig durch Gottesdienste und Predigten an Sonntagen, bei Trauungen, Taufen und Beerdigungen. Auch als Firmspender begegnete ich Jugendlichen, Paten und Eltern. Ich glaube, dass ich auf diese Weise am Puls des Pfarreilebens geblieben bin.

«Auch als Regens half ich manchmal bei Gottesdiensten aus.» | © zVg

Warum auf einmal der Entscheid zurück zum Pastoralberuf?

Ruckstuhl: Sind 17 Jahr Regens nicht genug? (lacht) Im Bistum Basel ist es üblich, Kaderpositionen nach 10 Jahren neu zu besetzen. Somit überrascht mein Wechsel nicht. Ich äusserte meinen Wunsch, wieder in die Seelsorge zurückzukehren, gegenüber Bischof Felix Gmür.

Der Dienst des Seelsorgers oder der Seelsorgerin gehört für mich zu den schönsten Aufgaben in der Kirche. Was gibt es Wertvolleres und Erfüllenderes als Menschen aller Altersstufen auf ihrem Lebensweg zu begleiten und an besonderen Wendepunkten des Lebens für sie da zu sein? (hält kurz inne) Ebenso freue ich mich auf die Freiheit, die man hat, diese Aufgaben zu gestalten.

Sie werden Pfarradministrator von zwei Pfarreien – wenn noch weitere Pfarreien im Pastoralraum zustimmen, werden es fünf sein. Können Sie dann noch nah bei den Menschen sein?

Ruckstuhl: Ich bin ja nicht alleine. Wir sind für zwei Pfarreien ein Seelsorgeteam von fünf Personen. Die Menschen müssen sich daran gewöhnen, dass pastorale Verantwortung geteilt wird. Sie müssen sich von der Omnipräsenz des Pfarrers verabschieden.

Die Kirche ist nicht sesshaft, sondern pilgernd.

«Die Kirche muss sich dem Weg der Menschen anpassen.» | © Francesca Trento

Trotzdem: Der Trend Pfarreien zusammenzuschliessen, ist in der ganzen Schweiz zu beobachten. Entfernt sich die Kirche damit nicht eher von den Menschen?

Ruckstuhl: Die Kirche ist von ihrem Wesen her nicht sesshaft – obwohl sich das in vielen Strukturen so entwickelt hat. Das Kirchenbild des Zweiten Vatikanischen Konzils ist das einer pilgernden Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft muss sich bewegen. Wir müssen uns aneinander annähern. Nicht nur die einen zu den anderen hin, sondern alle zu allen.

Ich glaube darüber hinaus, dass der Zusammenschluss von Pfarreien parallel zu anderen gesellschaftlichen Veränderungen zu sehen ist.

Ist es also keine Kompensation dafür, dass es immer weniger Gläubige gibt – und deshalb weniger Pfarreien hermüssen?

Ruckstuhl: Man darf sich nicht darauf fixieren, dass es weniger Gläubige, weniger Geld und daher Einsparungen gibt. Die Lebensräume der Menschen werden grösser. Wir werden mobiler. Schulen werden zusammengeschlossen, Feuerwehrstationen arbeiten zusammen, politische Gemeinden fusionieren. Die Kirchen stehen nicht neben diesem Strom der Zeit, sondern mittendrin. Es entwickeln sich neue Lebensräume. Das bringt sowohl Chancen als auch Herausforderungen.

Die Kirchen werden jedoch auch durch Zusammenschlüsse nicht voller.

Ruckstuhl: Sich den Menschen anzunähern, heisst zuerst, verstehen wollen, wer sie sind und was sie brauchen.

Ich habe kürzlich ein Buch des Amerikaners Michael White gelesen. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Thema der Pfarreierneuerung und sagt: Die Gläubigen sind nicht nur die, die es in die Kirche schaffen. Wo bleiben die anderen, die auch zur Pfarrei gehören? Was beschäftigt sie? Und: Was brauchen sie, um den Schritt Richtung Gottesdienst zu wagen?

Man kann auch ohne Intimität lieben.

Und?

Ruckstuhl: Die Resultate sind natürlich amerikanisch. Es fängt bei praktischen Fragen an: Hat es bei der Kirche genug Parkplätze? Wenn nicht, wird es schwierig. Was mache ich während dem Gottesdienst mit den Kindern? Es braucht für sie eine gute und sichere Kinderbetreuung.

Ebenso sei es den Menschen wichtig, wie sie vor dem Gottesdienst empfangen werden. Sie wollen nicht einfach rein und rausgehen. Also muss eine Plattform gegeben sein, in der sie ein Miteinander spüren.

Um Gott geht’s nicht?

Ruckstuhl: Natürlich. Aber ohne die Menschen gibt es keine Kirche. Auf einem gut bereiteten Terrain wird es einfacher sein, Gott ins Spiel zu bringen und ihm Türen zu öffnen.

Als Regens hatten Sie es einfacher, wenn es darum geht, dass Menschen zu Ihnen kommen.

Ruckstuhl:  Das ist wahr. Der Kontakt zwischen Seminarleitung und Studentinnen und Studenten ist im Studienalltag verankert. Es gibt wöchentliche Treffen, an denen wir uns sehen und Gottesdienst feiern. Es geht um Themen der Spiritualität, des persönlichen Glaubens, der eigenen Biographie und der pastoralen Befähigung. Zudem kommen alle Studierenden des Bistums mindestens einmal im Jahr zu einem Standortgespräch zum Regens.

Was war das schwierigste als Regens?

Ruckstuhl: Nein zu sagen – jemandem ehrlich und auf gute Art mitzuteilen, dass man ihn oder sie in diesem Beruf nicht sieht. Ich versuchte hier nach dem Grundsatz zu handeln: Das erste Nein ist das barmherzigste Nein. Die Absagen habe ich begründet und wenn immer möglich versucht, Alternativen aufzuzeigen, beziehungsweise auf nächste Schritte hinzuweisen. Manchmal scheiterten Studienprojekte trotz Stipendienmöglichkeiten auch schlicht an fehlenden Finanzmitteln.

«Es braucht Mut das Theologiestudium anzugehen.» | © Francesca Trento

Was war das Schönste?

Ruckstuhl: Junge Menschen zu sehen, die mit grossem Einsatz und Idealismus ein solches Studium angehen – den die meisten alles andere als erstrebenswert ansehen.

Beziehen Sie sich auf das Zölibat?

Ruckstuhl: Auch, ja. Aber der grösste Teil der Studierenden wählt nicht den Weg zum Priestertum. Von den 110 Studierenden entscheiden sich 90 zum nicht-zölibäteren Weg.

Ich finde es trotzdem schön, wenn sich jemand dafür aus innerer Entschiedenheit und in Freiheit entschliesst und nichts an Liebesfähigkeit einbüsst. Das braucht Mut, ein solides geistliches Fundament und gute Freundschaften.

Den hatten Sie auch. Was hilft dabei?

Ruckstuhl: Einerseits zu spüren, dass man Liebe nicht nur von einer Person bekommen kann, sondern von ganz vielen – auch ohne intime Nähe. Andererseits muss das zölibatäre Leben eingeübt werden und der Kandidat muss sich selber prüfen, ob er Gott im eigenen Leben die erste Stelle einräumen möchte  – dafür gibt’s ja das Priesterseminar.

 

Thomas Ruckstuhl | © Francesca Trento
9. Oktober 2017 | 12:07
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Thomas Ruckstuhl

Dr. theol. Thomas Ruckstuhl ist residierender Domherr des Bistums Basel. Seit 2000 leitete er das Convict Salesianum in Fribourg, und 2009 übernahm er die Aufgabe als Regens des Seminars St. Beat in Luzern. Auf Ende August hat er dieses Amt abgegeben und wird Mitte November Pfarradministrator von St. Ursen und St. Marien in Solothurn.