Neofaschisten an einem Fussballspiel in Italien
Schweiz

Erik Petry: Der Jude ist im Fussball ein klar erkennbares, universelles Feindbild

Zürich, 5.3.15 (kath.ch) Ob gedankenlos, aus Unwissen oder mit Absicht: Rassistisches Gedankengut schwemmt immer wieder an die Oberfläche. Kürzlich sorgten die Fans des FC Luzern in St. Gallen für Aufsehen, als sie einen «Juden» durch die Strassen trieben. Der Fussballspezialist und stellvertretende Leiter des Zentrums für jüdische Studien an der Uni Basel, Erik Petry, fordert, dass solche Vorfälle ernst genommen und aufgearbeitet werden. Denn im Fussball bilde der «Jude» meist ein ganz übles, herabsetzendes Schimpfwort.

Georges Scherrer

Zurzeit gebe es mehr rassistische Auftritte als auch schon, sagt Petry gegenüber kath.ch. Man müsse sich fragen, warum der Fremdenhass vermehrt enttabuisiert ist. Dieser bricht nicht nur im Schutz der Fussballtribünen durch. An der der diesjährigen Basler Fasnacht sorgten Verse der Fasnachtsgesellschaft «Alti Stainlemer» für Aufregung. Personen, welche in die Schweiz einwandern, wurden unter anderem als «Aasgeier» und «Parasiten» bezeichnet. Der Vorstand der Alten Garde der Alten Stainlemer entschied, den Zeedel «s’isch e Sauerei» nicht zu verteilen, wie es auf Anfrage hiess. Der «Zeedel» kam aber trotzdem unter die Leute.

In den europäischen Fussballstadien und im Zusammenhang mit Fussballfans kommt es immer zu rassistischen und fremdenfeindlichen Zwischenfällen. Beispiele von Schweineköpfen und Bananen, die nach dunkelhäutigen Spielern geworfen werden, wie auch Hakenkreuzfahnen auf Tribünen sind dokumentiert. Auf Youtube zeigt eine Handy-Aufnahme, wie englische Fussballfans mit dem Ruf «Wir sind Rassisten» einem dunkelhäutigen Mensch den Zutritt zur Metro verweigern. Und in der Schweiz haben Anfang Jahr Fans des FC Luzern einen als orthodoxen Juden verkleideten Mann durch St. Gallen «gejagt», wie die Medien schreiben.

Max Fischer, Leiter Kommunikation beim FC Luzern, zeigte auf Anfrage Unverständnis für den Auftritt des Fan-Clubs und deutete gleichzeitig an, dass die Fans des FC St. Gallen zum Teil mit Rufen wie «KZler» reagierten. Das sei kein unbekanntes Phänomen, sagt der ehemalige Amateur-Fussballer, Trainer und Schiedsrichter, heute stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Uni Basel.

Beleidigen und herabsetzen

Wenn ein Fan-Club den Ruf «Jude» benütze, dann beabsichtige er gemäss Erik Petry in der Regel eine «ultimative Beleidigung und Herabsetzung» des Gegners. Der Jude bilde ein klar erkennbares, universelles Feindbild, das von allen Seiten sofort verstanden werde: Von denen, die das rufen, und jenen, die das hören. Wenn jedoch jemand auf dem Spielfeld auf die Schnelle beleidigt werden soll, dann sei die herablassende Bezeichnung «Schwuler» sehr schnell da. Im Spiel selber funktioniere der Jude eigentlich nicht. «Dieser hat seinen Platz bei den Fans auf den Tribünen.»

Für ihn sei es völlig neu, dass die St. Galler und die Luzerner Fussballfans mit Bezeichnungen wie «Jude» und «KZler» aufeinander losgehen. «Wir kennen das von anderen Vereinen in Europa», so Petry. Er verweist auf die Clubs Ajax Amsterdam und Tottenham. Diese hatten einen grossen Anteil an jüdischen Spielern und Zuschauern, weil sie in Vierteln gross wurden, wo sehr viele Immigranten wohnten. Aus dieser Tradition nehmen die Fans etwas heraus.

Stolz, ein Jude sein

Sie sehen die Juden als Super-Athleten. Der im Englischen abschätzige Begriff Yiddo für Jude werde von den Fans mit Stolz getragen. Der Begriff Jude werde positiv verwendet, weil er auf eine grosse Vergangenheit verweise: Der Jude sei stark und durchsetzungsfähig. Die gegnerischen Vereine reagieren auf diese Gesänge und antworten zum Teil mit Gasgeräuschen oder Sprüchen wie «Alle Juden ins KZ». Da gehet es zum Teil ziemlich heftig zu, so Petry. Das sei ganz stark in England.

Petry geht nicht davon aus, dass die Fans des FC Luzern dies kopiert haben. Es habe vermutlich mit Gedankenlosigkeit zu tun. Der Fall dürfe aber nicht heruntergespielt werden. In dem Fall steht der «Jude» ganz klar für ein ganz brutales, herabsetzendes Schimpfwort.

Das Gespräch suchen

Anlässlich der Fussball-EM 2012 in der Schweiz untertitelte das Schweizer Fernsehen die Nationalhymnen, während diese gespielt wurden. Als Text für die deutsche Nationalhymne «Einigkeit und Recht und Freiheit» wurde versehentlich der umstrittene Text «Deutschland, Deutschland über alles» eingeblendet. Im Auftrag des Schweizer Fernsehens sprach Petry im Rahmen eines Workshops mit jenen Personen, die für die Untertitelung verantwortlich waren. «Meine Idee wäre, dass man mit einem ausgewählten Kreis der Fans des FC Luzern einen Workshop zum Thema Erniedrigung und dem Funktionieren von Fan-Gruppen macht und klärt, was passiert ist.» (gs)

Zum kath.ch-Interview mit Erik Petry

Neofaschisten an einem Fussballspiel in Italien | © 2015 Keystone ELECTRONIC IMAGE
5. März 2015 | 17:03
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