Regierungsrat Christoph Neuhaus, Vorsteher der Kirchendirektion Bern
Schweiz

Entflechtung Kirche-Staat: Bern will keine Revolution, aber eine Evolution

Bern, 27.3.15 (kath.ch) Im Kanton Bern sollen Kirche und Staat entflechtet werden. Heisse Eisen hat der Regierungsrat von weniger heissen Eisen getrennt. Regierungsrat Christoph Neuhaus hofft, dass bis 2020 eine Totalrevision des Kirchengesetzes realisiert ist. Ein Gesetz, das die Anerkennung weiterer Religionen regelt, wird auf später verschoben. Ein unabhängiger Expertenbericht, den die Regierung in Auftrag gegeben hat, sowie die Schlüsse, die sie aus diesem Bericht zieht, wurden am Freitag, 27. März, in Bern vorgestellt. Die Berner Landeskirchen signalisieren Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit.

Interview mit Josef Wäckerle, Präsident des katholischen Synodalrates

Georges Scherrer

Der Bericht wurde von Rechtsanwalt Rudolf Muggli und vom Ökonomen Michael Marti erarbeitet. Er weist daraufhin, dass die katholische Kirche während der Reformation ihre Güter verlor. 1804 entschied der Kanton, als Entgelt für die Übernahme des historischen Kirchengutes, die Pfarrerlöhne der reformierten Kirche zu bezahlen. Sie tat dies auch für die katholische Kirche, als diese im Kanton wieder Fuss fasste.

Die Autoren des Berichts sprechen sich dafür aus, dass im Kanton auch künftig das traditionelle Partnerschaftsmodell gepflegt werden soll, warnen zugleich vor einem forschen Vorgehen bei der Neuregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Ein rascher Wandel könne zu Denkblockaden und Verunsicherungen führen. Der Kanton müsse der Bedeutung der Berner «Volkskirchen» Rechnung tragen.

Finger weg von Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften

Der Berner «Kirchendirektor», Regierungsrat Christoph Neuhaus, strebt nun eine Teilrevision des Kirchengesetzes an. Eine umfassende Neuregelung, die eine Änderung der Kantonsverfassung notwendig machen würde, lehnt der Vorsteher der Kirchendirektion im Kanton ab. Eine Verfassungsänderung, die etwa den Weg für die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften ebnen würde, wie auch ein «allgemeines Anerkennungsgesetz», hätte vor dem Stimmvolk kaum eine Chance. Das Thema Religionen sei heute zu stark «emotional geladen». Ein Gesetz zur Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften könnte nur weit nach 2020 realisiert werden. Neuhaus spricht sich für eine Politik der kleinen Schritte aus.

Er strebt eine Totalrevision des Kirchengesetzes von 1945 an. Unter anderem sollen künftig die Pfarrer nicht mehr von Kanton, sondern von den Landeskirchen angestellt werden. Beim aktuellen System seien Kanton, Kirchgemeinden und Landeskirchen jeweils involviert. Der Kanton beharrt aber darauf, dass die universitäre staatliche Ausbildung bestehen bleibt.

Eine «Ablösung der historischen Rechtstitel», also die Rückgabe von zum Teil verkauftem Land und Liegenschaften an die Kirchen, sieht der Kanton nicht vor. Bezüglich der Titel herrsche eine «grosse Rechtsunsicherheit», das Thema sei «emotionsgeladen» und könne die Totalrevision des Kirchengesetzes gefährden, so Neuhaus. Ein neues Finanzierungsmodell der Kirchen, welche die historischen Ansprüche der Kirchen respektiere, müsse auch den «berechtigen Interessen des Kantons» Rechnung tragen. Der Kanton spricht sich für eine «Zweckbindung» der künftigen Kirchensteuern aus. Steuern von Firmen würden zum Beispiel öffentlichen Aufgaben der Kirche zu Gute kommen und könnten nicht für «kultische Zwecke» eingesetzt werden. Die Vorschläge der Kirchendirektion werden nun den politischen Organen im Kanton vorgelegt. Neuhaus hofft, dass er «2020 auf das neue Gesetz anstossen kann».

Kirchen: Vorschläge gute Diskussionsgrundlage

Die drei Landeskirchen des Kantons Bern bezeichnen die Vorschläge des Regierungsrates als eine gute Diskussionslage. Der Kanton anerkenne die gesellschaftlich relevanten Leistungen der Kirchen, welche finanziell die vom Staat bezahlten Pfarrerslöhne «deutlich übersteigen». Die Kirchen erwarteten vom Kanton darum die Anerkennung dieser Leistungen wie auch der historischen Rechtsansprüche der Kirchen.

Die Kirchen erklären sich bereit, mit dem Kanton über die Weiterentwicklung des Verhältnisses «weiterzudenken», wie der reformierte Synodalratspräsident Andreas Zeller im Namen der drei Landeskirchen vor den Medien in Bern ausführte. Er wies darauf hin, dass sich das bisherige System bewährt habe und für beide Seiten gewichtige Vorteile aufweise.

Kanton darf Bedeutung der Kirchen nicht unterschätzen

Im Kanton Bern gehören drei Viertel der Bevölkerung einer der drei Landeskirchen an. Der Staat müsse ein vitales Interesse an der Präsenz der Kirchen in der Gesellschaft haben. Eine Schwächung der Kirchen würden den Zusammenhalt der Gesellschaft «gefährden oder zumindest schwächen». Die aus dem Expertenbericht gezogenen Schlüsse des Regierungsrates seien zum Teil «enttäuschend», so Zeller. Die Kantonsregierung will auf die «Ablösung der historischen Rechtstitel» verzichten. Das wollen die Kirchen nicht hinnehmen.

Die Kirchen fordern zudem für die Zukunft verlässliche Finanzierungsmodelle und eine «Planungssicherheit». Erneute Sparübungen, wie sie der Kanton 2013 gegenüber den Kirchen startete, würden das Vertrauen bei Kirchgemeinden und Pfarreien in den Kanton schwächen. Zeller: «In zwanzig Jahren wurden zwanzig Prozent der Pfarrstellen abgebaut. Gleichzeitig hat der Kanton seine Behörden ausgebaut.» Die Vorschläge der Regierung gehen nun bei den Kirchen in die Vernehmlassung.

Der Präsident des katholischen Synodalrates, Josef Wäckerle, wies zudem auf die Anerkennung von Papst Franziskus für das in der Schweiz gewachsene duale System von Bistum und Kantonalkirche hin.

Bedenken der Pfarrer: unfreundliche Übergabe

Der grösste Protest kommt vom Pfarrverein Kanton Bern. Michael Graf, Präsident des Berufsverbandes, dem 500 evangelisch-reformierte Pfarrer angehören, bezeichnete in Bern das Vorgehen des Kantons als eine unfreundliche Übergabe. Er wolle auf Kosten der Kirchen sparen.

Graf sprach auch die Unsicherheit bei den Pfarrern aus: «Der Staat will uns nicht mehr als seine Angestellten haben.» Graf bedauerte zudem das zögerliche Vorgehen des Kantons bei der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften. Der Kanton wende sich gegen eine aktive integrative Religionspolitik. Andere Länder würden stärker auf andere Religionsgemeinschaften zugehen. (gs)

Regierungsrat Christoph Neuhaus, Vorsteher der Kirchendirektion Bern | © 2015 Georges Scherrer
27. März 2015 | 16:55
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!