175 Jahre «Tablet»
International

Englands Traditionszeitschrift «The Tablet» wird 175

London, 6.6.15 (kath.ch) Sie ist die womöglich älteste noch erscheinende katholische Zeitung überhaupt. Schon ihr Name war – 170 Jahre vor Erfindung des iPads – prophetisch. «The Tablet» ist britisch und diskussionsfreudig; für viele auch eine «bittere Pille».

Robert Nowell

Traditionsgemäss stehen britische katholische Zeitungen in der Trägerschaft von Laien, mit nur gelegentlichen Episoden klerikaler Kontrolle. Als besonders langlebig erweist sich die internationale Wochenzeitschrift «The Tablet», die 1840, vor 175 Jahren, von dem Konvertiten Frederick Lucas gegründet wurde – zehn Jahre vor Wiederherstellung einer regulären kirchlichen Hierarchie in England.

Im 18. Jahrhundert, nach Zeiten der Verfolgung, in denen rund 300 katholische Priester, Ordensleute und Laien den Märtyrertod starben, trugen die Katholiken in England das Haupt gesenkt. Wenn überhaupt eine neue Kirche gebaut wurde, durfte sie nicht nach einer aussehen.

Erst das 19. Jahrhundert brachte eine allmähliche Emanzipation, sichtbar im Catholic Relief Act von 1829. Eine neue Generation selbstbewusster Christen wie Lucas oder sein Nachfolger John Wallis wollten nun das günstige Klima nutzen, um den Katholiken einen Platz im nationalen Diskurs zu verschaffen.

Geldnot zwang Wallis jedoch 1868, die Zeitung an den engagierten Priester Herbert Vaughan zu verkaufen. Dieser hatte zwei Jahre zuvor die Mill-Hill-Missionare gegründet – und eine glänzende kirchliche Karriere vor sich: 1872 Bischofsweihe, 1892 Erzbischof von Westminster, 1893 Kardinal.

Mit seinen ultramontanen papsttreuen Ansichten sorgte er dafür, dass kritische Diskussionsbeiträge etwa zur Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit beim Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) aus dem Blatt gehalten wurden. Es galt nur die Meinung des Papstes und also seine eigene. Wie anders sollte das knapp 100 Jahre später beim Zweiten Vatikanischen Konzil sein.

Pflichtlektüre

Mit Vaughan kam das «Tablet» bis 1936 in den Besitz der Grosslondoner Erzdiözese Westminster. Dann übernahm eine Gruppe katholischer Laien um den früheren «Times»-Journalisten Douglas Woodruff, der eine grundlegende Neuausrichtung vollzog. Woodruff und sein Mitstreiter Tom Burns etablierten die Zeitschrift als Pflichtlektüre einer aufstrebenden katholischen und intellektuellen Mittelschicht.

Ganz in sein Element kam der Historiker Woodruff beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das eine neue Öffnung der katholischen Kirche zur Welt anstrebte. Das «Tablet» kommentierte und berichtete sehr ausführlich – und stiess damit seinerseits eine breite Debatte unter der Leserschaft an. Fragen wie die Einführung des Gottesdienstes in der jeweiligen Landessprache oder die strittige Frage der Geburtenkontrolle wurden in Leserbriefen kontrovers diskutiert.

Kritische katholische Stimme

Mit Woodruffs Pensionierung 1967 übernahm Burns das Blatt – und geriet schon im Jahr darauf in heftige Reibung mit dem kirchlichen Lehramt. In seiner Enzyklika «Humanae vitae» von 1968 erteilte der Konzilspapst Paul VI. (1963-1978) künstlichen Verhütungsmethoden eine Absage, was Chefredakteur Burns in einem Editorial scharf verurteilte.

Überhaupt waren die Stimmen aus dem katholischen England noch deutlich schärfer als die vom europäischen Kontinent – eingedenk des Sprichworts, dass das Kirchenrecht von Deutschen gemacht, von Italienern in Kraft gesetzt, aber von Angelsachsen befolgt werde. Das Editorial führte zu einer Kluft zwischen Burns und seinem langjährigen Kompagnon und Vorgänger.

Eingang in die Moderne

Als Herausgeber musste Burns in den 70er Jahren eine weitere grosse Anstrengung schultern, nämlich die Finanzen des Blattes auf neue Füsse zu stellen. Er hatte eine Zeitschrift mit einer in die Jahre gekommenen Leserschaft übernommen, doch er schaffte den Umschwung zu einer neuen Blüte.

Mit Tom Wilkins folgte 1982 ein Redaktionsleiter, der aus Bewunderung für das Konzil zum Katholizismus übergetreten war. Und 2004 übernahm erstmals eine Frau, Catherine Pepinster. Beide führten die Tradition eines diskussionsfreudigen Forums für die Katholiken in Grossbritannien, Irland und anderswo in der englischsprachigen Welt fort. Zwar sind die Leitartikel inzwischen auf maximal eineinhalb Seiten geschrumpft. Doch bis heute wird deutlich, warum die Kritiker der Neuerungen des Konzils das «Tablet» auch «die bittere Pille» nennen. (kna)

175 Jahre «Tablet» | © 2014 thetablet.co.uk
6. Juni 2015 | 12:32
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