Jürg Staudenmann, zuständig für Umwelt und Klimapolitik bei Alliance Sud
Schweiz

«Emissionen im Ausland zu reduzieren, ist Augenwischerei»

Bern, 17.11.17 (kath.ch) Bundesrätin Doris Leuthard forderte an der Uno-Klimakonferenz in Bonn am Donnerstag vor allem Regeln zur Messung von Emissionen. Gleichzeitig lobte sie die Schweiz als Vorbild für andere Länder. Das sieht Alliance Sud* anders, wie Jürg Staudenmann gegenüber kath.ch erklärt.

Regula Pfeifer

Laut Bundesrätin Leuthard hat die Klimakonferenz gezeigt, dass die Staaten willens sind, sich für den Klimaschutz zu engagieren und das Übereinkommen von Paris umzusetzen. Auch Ihre Meinung?

Jürg Staudenmann: Im Grossen und Ganzen ja. Einmal abgesehen von den paar wenigen Staaten, die sich noch immer mit der Ablösung ihrer Volkswirtschaften von der Erdöl-Abhängigkeit schwertun.

Worin unterscheiden sich die Länder?

Staudenmann: Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Elemente des Pariser Klimaübereinkommens die vordringlichsten sind. Für die Schweiz – das kam aus der Rede der Bundespräsidentin klar zum Ausdruck – geht es in erster Linie darum, ein möglichst striktes Regelwerk zur Eindämmung der Emissionen zu beschliessen.

Fidschi und Tuvalu spüren die Auswirkungen unserer Emissionen an Leib und Leben.

Für Länder wie Tuvalu oder das präsidierende Fidschi stehen Fragen des konkreten Umgangs mit Klimaveränderungen, klimabedingten Schäden und Verlusten im Vordergrund. Sie haben wenig Emissionen, spüren aber die Auswirkungen unserer Emissionen an Leib und Leben.

Was wollen denn die Entwicklungsländer?

Staudenmann: Sie monieren genauso wie die Schweiz, dass nicht alle Parteien ihre Verantwortung und Verpflichtungen ernst genug nehmen. Dabei beziehen sie sich auf die in Paris beschlossenen Klimafinanzierungsgelder der Industriestaaten, die im Bereich Klima-Anpassung auch nach fast zehn Jahren erst spärlich fliessen. Und sie verlangen Unterstützung für Schäden und Verluste, die etwa bei so starken Hurrikans wie in diesem Sommer entstehen.

Leuthard fordert verbindliche Regeln und Transparenz zur Umsetzung des Klimaabkommens. Auch die Meinung von Alliance Sud?

Staudenmann: Das ist nur ein Teil der Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens, wenn auch ein wichtiger. Daneben gilt es aber auch, den zweiten und dritten Pfeiler des Pariser Klimaübereinkommens vorwärts zu bringen: die Adaptation und die Klimafinanzierung. Gerade Klarheit darüber, wann und wie die Entwicklungsländer mit finanzieller und anderer Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel rechnen können, ist zentral für sie – und für ihre Planung, also die Festlegung und Verpflichtung zu Zielen. Deshalb fordern Entwicklungsländer, dass auch die Klimafinanzierung als gleichberechtigter Teil im Regelwerk berücksichtigt wird. Das ist im Pariser Klimaübereinkommen auch so vorgesehen.

Nicht wenige Staaten in Europa haben die Emissionen deutlich besser als die Schweiz reduziert.

Leuthard findet, die Schweiz könnte als Vorbild dienen, denn es sei gelungen, Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen voneinander zu entkoppeln.

Staudenmann: Von Vorbild zu sprechen, ist zumindest mutig. Die leichte Senkung der Emissionen pro Kopf oder pro erwirtschaftetem Franken haben auch andere Staaten geschafft; und nicht wenige in Europa sogar noch deutlich besser als die Schweiz. Ausserdem ist es etwas zynisch von «Entkopplung» zu sprechen, wenn dabei nur die im nationalen Treibhausgas aufgeführten Emissionen angeschaut werden. Denn die Gesamt-Emissionen – also inklusiv Flüge und mit importierten Gütern konsumierte «graue Emissionen» – stagnieren.

Wir Schweizerinnen und Schweizer fliegen doppelt so viele Kilometer wie unsere Nachbarn.

Wie schätzen Sie unser ökologisches Verhalten ein?

Staudenmann: Nach wie vor fahren Schweizerinnen und Schweizer mehr und vor allem schwerere Autos, fliegen rund doppelt so viele Kilometer pro Jahr und konsumieren mehr importierte Güter und Dienstleistungen als die Menschen in unseren Nachbarländern.

Wo hapert es?

Staudenmann: Die Schweiz ist noch deutlich nicht auf einem 2-Grad-, geschweige denn 1,5-Grad-kompatiblen Pfad. Auch die bevorstehende CO2-Gesetzesrevision wird diese Lücke bei weitem nicht schliessen, wenn man sieht, was in die Vernehmlassung geschickt wurde. Im Gegenteil: Im Vergleich zu den Jahren unter dem Kyoto-Protokoll ist die Schweiz in der Emissionsreduktion auf fast die Hälfte zurückgefallen.

Auch hat die Schweiz nach wie vor keine Langzeit-Klimastrategie, wie dies das Pariser Klimaübereinkommen fordert. Ebenso wenig scheint der Bundesrat zu beabsichtigen, eine eigenständige, umfassende Klimagesetzgebung in Angriff zu nehmen.

Und wo steht die Schweiz betreffend Klimafinanzierung?

Staudenmann: Da fällt unser Land noch weiter zurück. Der Bericht an die aussenpolitische Kommission vom Mai dieses Jahres zeigt, dass der Bundesrat im Prinzip noch keinen konkreten Plan hat, wie er bis in zwei Jahren jährlich wiederkehrende Beiträge zur Unterstützung von internationalen Klimaschutz- und Anpassungsprojekten mobilisieren will.

Denn er sagt im Wesentlichen, dass er die Mittel aus dem bestehenden Budget der Entwicklungszusammenarbeit abzweigen will und auf zusätzliche Mittel des Privatsektors hofft. Dafür legte er im Bericht aber keinerlei Lösungsansätze vor.

Dass die Schweiz ihre Klimaziele nicht überprüfen will, ist besorgniserregend.

Was hat Sie besonders irritiert?

Staudenmann: Die Aussage der Bundespräsidentin vor den Medien, dass die Schweiz nicht gedenke, ihre Klimaziele bis 2020 zu überprüfen und gegebenenfalls nach oben anzupassen, ist besonders besorgniserregend. Denn gemäss Pariser Klimaübereinkommen – für dessen Umsetzung sich die Schweiz ja so engagiert – müssen alle Länder das alle fünf Jahre machen. Das erste Mal 2018 bis 2020.

Nichts führt darum herum, auch im Inland die Emissionen zu senken.

Die Schweiz muss die Co2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 50 Prozent senken. Was halten Sie davon, dass 20 Prozent davon im Ausland erfolgen kann?

Staudenmann: Vorausgesetzt, dass für den Zukauf von Emissionreduktionsbescheinigungen aus dem Ausland die noch ausstehenden Regeln auch wirklich zustande kommen, kann das rein juristisch-technisch betrachtet für eine erste, aber wahrscheinlich eher kurze Zeit funktionieren. Aber das ist Augenwischerei. Denn das Pariser Klimaübereinkommen verlangt, dass bis spätestens 2050 alle Länder ihre Emissionen auf Null absenken.

Da wird es schon bald nichts mehr zu kaufen geben, denn die anderen Länder werden alle erzielten Fortschritte diesbezüglich sich selber anrechnen wollen. Nichts führt für die Schweiz darum herum, eben auch im Inland die Emissionen tatsächlich zu senken – und zwar um drei bis vier Prozent pro Jahr, sofern wir das wollen.

*Alliance Sud ist die Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks.

Jürg Staudenmann, zuständig für Umwelt und Klimapolitik bei Alliance Sud | © Daniel Rihs
18. November 2017 | 06:01
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Katholisches Netzwerk fordert weitere Schritte

Das internationale katholische Netzwerk Cidse, zu dem auch Fastenopfer gehört, fordert nach dem Klimagipfel ebenfalls weitere Schritte zur Bewältigung der Klimakrise. In Übereinstimmung mit dem, was Papst Franziskus als «ökologische Schuld» definiere, müssten die reichen Länder ihren gerechten Anteil an der öffentlichen Klimafinanzierung übernehmen, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, heisst es in einer Mitteilung vom Freitag.

Mit der Veröffentlichung des Dokuments «Climate Action for the Common Good» (Klimaschutz für das Gemeinwohl) während des Gipfels ermutigte Cidse die Regierungen, auf die Herausforderung des Klimas in einer Weise zu reagieren, die den Geist der Enzyklika «Laudato si» von Papst Franziskus widerspiegelt. (sys)