Eine Million armenische Völkermordopfer heiliggesprochen

Etschmiadsin, 23.4.15 (kath.ch) 100 Jahre nach Beginn der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich hat die armenisch-apostolische Kirche die nach Schätzungen mehr als eine Million christlichen Opfer heiliggesprochen.

Bei einer Messe unter freiem Himmel in Etschmiadsin nahe der Hauptstadt Eriwan erhob Katholikos-Patriarch Karekin II. am Donnerstagabend, 23. April, die Getöteten zu höchsten Kirchenehren, weil sie wegen ihres christlichen Glaubens ermordet worden seien. Weder die katholische Kirche noch orthodoxe und altorientalische Kirchen haben je eine so grosse Zahl von Menschen kollektiv heiliggesprochen.

«Wir glauben, dass wir durch die Heiligsprechung der Märtyrer des Völkermords die Krone für die religiöse Wiedergeburt unseres Volkes schaffen», sagte Karekin II. Die Kanonisierung bringe den Armeniern und der Kirche «Leben spendenden Atem, Gnade und Segen». Die Heiligsprechung ist die erste in der armenisch-apostolischen Kirche seit 400 Jahren. Das Verfahren und die Zeremonie mussten deshalb erst wieder neu festgelegt werden.

Bei dem zweistündigen Gottesdienst wurde gleich zweimal Bezug auf den 100. Jahrestag genommen. Die Heiligsprechungsmesse endete um 19.15 Uhr, in Anspielung auf das Jahr 1915. Zum Abschluss läuteten die Glocken der Kathedrale genau 100 Mal, ebenso weltweit in armenisch-apostolischen Kirchen. Nicht jedoch in der Türkei.

An der Messe nahmen auch zahlreiche ranghohe Vertreter anderer Kirchen teil, etwa der koptisch-orthodoxe Patriarch Papst Tawadros II., der maronitische Patriarch Bechara Rai und Kurienkardinal Kurt Koch. Insgesamt hatten sich 38 offizielle Delegationen angemeldet. Etschmiadsin ist Hauptsitz der Kirche.

Türkei setzt ein Zeichen

In der armenischen Kathedrale in Istanbul wird am Freitag ein Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer der Massaker gefeiert. Daran will mit EU-Minister Volkan Bozkir erstmals ein Minister der türkischen Regierung teilnehmen. Türkische Medien werteten dies als historische Geste.

Während die armenische Kirche und auch Papst Franziskus vom «ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts» sprechen, räumt die Türkei bislang lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In deren Folge seien Hunderttausende gestorben. Um die Bezeichnung «Völkermord» ist ein heftiger Streit entbrannt. Am Freitag wird international an den Beginn der Massaker erinnert.

Der armenisch-apostolischen Kirche gehören mehr als 90 Prozent der rund drei Millionen Bürger Armeniens an. Sie zählt wie die Kopten, die Äthiopier, die syrische Kirche und die indischen Thomas-Christen zu den orientalisch-orthodoxen Kirchen.

Geschichtlicher Hintergrund

Hintergrund der Massaker waren Versuche der 1909 an die Macht gekommenen nationalistischen Jungtürken, ein einheitliches Reich zu schaffen, Türkisch als Einheitssprache und den Islam als alleinige kulturelle und religiöse Basis durchzusetzen. Der Erste Weltkrieg lieferte die Gelegenheit, dieses Konzept durchzusetzen. Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland im Januar 1915 begann am 24. April die systematische Verfolgung: Zu Tausenden wurde die Elite der Armenier verhaftet und hingerichtet; Zehntausende starben auf Todesmärschen. (kap)

23. April 2015 | 17:54
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