Thomas E. Gullickson, Nuntius für die Schweiz und Lichtenstein
Schweiz

Neuer Nuntius – die kirchliche Allianz «Es reicht!» will Konsequenzen

Zürich, 28.1.16 (kath.ch) Der neue Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Thomas Edward Gullickson, sorgt für Schlagzeilen. Einerseits regen sich die Gemüter über seine Kritik an der Kirche Schweiz auf. Andererseits wird befürchtet, dass er Wegbereiter für einen konservativen Nachfolger von Bischof Huonder in Chur sein könnte. Die Allianz «Es reicht!» fordert die Schweizer Bischöfe auf, sich klar zu den Aufbrüchen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu bekennen. Zudem sollen die politisch Verantwortlichen die Äusserungen des Erzbischofs wachsam verfolgen.

Georges Scherrer

Die Allianz schreibt in ihrer Mitteilung von Donnerstag, 28. Januar, sie nehme mit Befremden «einen kirchlichen Botschafter zur Kenntnis, der sich einem völlig überholten Kirchenbild verpflichtet weiss». Der Vertreter des Vatikans stehe der Pius-Bruderschaft nahe, schätze die lateinische Messe und empfehle über Twitter ein fundamentalistisches Standardwerk und einen kriegerisch anmutenden Katholizismus. In der Schweiz habe er den Vorschlag geäussert, alle Pfarreien ohne Priester aufzuheben, schreibt die Allianz.

Erzbischof Gullickson mache damit nicht nur deutlich, «dass er die Situation der katholischen Kirche Schweiz völlig verkennt, sondern stellt sich klar gegen Errungenschaften, die für die grosse Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken unseres Landes längst selbstverständlich sind». Die Allianz nennt Pfarreien, die von Laientheologinnen und Laientheologen geleitet werden, und Frauen, die in Seelsorge und Liturgie Verantwortung tragen. Auch würden seine theologischen Positionen in grossem Kontrast zu den Reformbemühungen von Papst Franziskus stehen, den er mehrmals öffentlich kritisiert habe.

Nachfolge Bischof Huonder

In einem Bericht der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens äusserten Kritiker des Nuntius, dieser könnte massgeblich die Nachfolge von Bischof Vitus Huonder beeinflussen. Der Nuntius könnte, so heisst es im Communiqué der Allianz, «zur schweren Hypothek für das durch Fehlbesetzungen gebeutelte und gespaltene Bistum Chur und die Schweizer Kirche werden, da er eine Schlüsselrolle im Auswahlverfahren inne hat».

Der Nuntius trage für den Vatikan Einschätzungen zusammen, übermittle konkrete Namen und entscheide in Absprache mit Rom über die Dreierliste, aus der das Churer Domkapitel wähle. «Aber nach Bischof Haas und Bischof Huonder darf dem Bistum schlicht nicht nochmals ein Hirte zugemutet werden, der spaltet, statt Brücken zu bauen», schreibt die Allianz.

Nuntius Canalini und Nuntius Gullickson

Als Vitus Huonder 2007 zum Bischof von Chur ernannt wurde, war Erzbischof Francesco Canalini Nuntius in Bern. Der Unterschied zwischen Canalini und Gullickson könnte grösser nicht sein. Der italienische Erzbischof fiel durch Verschwiegenheit auf. Die Schweiz erfuhr nichts über seine persönliche Haltung. Er gab keine Interviews und äusserte sich auch sonst nicht in der Öffentlichkeit – mit einer Ausnahme: Im November 2005 überbrachte er als traditionsgemässer Doyen des diplomatischen Korps den Behörden Berns eine Protestnote der ausländischen Diplomaten, weil die Bundesstadt ihre Praxis bei Verkehrsbussen verschärft hatte.

Ganz anders der aus den USA stammende neue Nuntius. In den Medien und in den Social Media ist er gut präsent. Es wird gemunkelt, dass Gullickson die Ukraine, wo er von 2011 bis 2015 Nuntius war, verlassen musste, weil er öffentlich seine Meinung kund tat. Während der Ukraine-Krise 2014/2015 verteidigte er den westlichen Standpunkt und kritisierte den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Beispiel auf Twitter.

Auch sonst hielt er sich mit kritischen Äusserungen nicht zurück. In seinem Blog deovolenteexanimo.blogspot.ch kritisierte er etwa die Korruption und die «Tirannei des Liberalismus». Dieser Blog ist heute stillgelegt, Gullickson verabschiedete sich im September 2015 mit den Worten vom Blog: «A week from today I will be heading to the airport on my first leg of the trip which will take me from Kyiv via Rome to Bern.»

Social Media und Presseschau

In der Schweiz eröffnete der Nuntius unter dem Namen admontemmyrrhae.blogspot.ch einen neuen Blog. Auf diesem äusserst er sich zu aktuellen Themen wie etwa einem «Relativismus», der die «Toleranz auf den Kopf stellt», und zu Gender-Fragen.

Im Oktober 2015 kam es auf Twitter zu einem Streit zwischen dem ehemaligen Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, und dem neuen Nuntius. Der Nuntius hat den Twitter-Account des Abtes darauf bei sich sogar bis heute Zeit gesperrt. Der ehemalige Abt hatte sich darüber erstaunt gezeigt, dass «ein Nuntius Blogs verbreitet, die die Deutsche Bischofskonferenz als häretisch bezeichnen». Werlen hatte zudem geschrieben, dass der Nuntius mit Vorliebe konservative Texte verlinke.

Der Nuntius betreibt eine Seite mit einer Presseschau. Auf dieser verknüpft er auch Texte, welche die Einführung der vorkonziliaren Liturgie fordern oder in welchen beispielsweise der Regens des Priesterseminars der exkommunizierten Priesterbruderschaft St. Pius X., Franz Schmidberger, die katholische Kirche kritisiert.

Die Verschwiegenheit des Nuntius

Nach seiner Ankunft in der Schweiz äusserte sich der Nuntius in verschiedenen Medien zur Kirche Schweiz, was zu geharnischten Leserbriefen führte. In einem Leserbrief in der «Neuen Luzerner Zeitung» schrieb ein Kaplan zur Kritik des Nuntius an leerstehenden Pfarreien in der Schweiz: «Wie wagt es der neue Botschafter, der den Vatikan vertritt, eine solche Aussage zu machen?»

Das kanonische Recht der katholischen Kirche schreibt zu den Pflichten eines Nuntius, dass dieser «den Bischöfen mit Rat und Tat beizustehen (hat), wobei jedoch die Ausübung von deren rechtmässiger Gewalt unberührt bleiben muss». Und Papst Paul VI. setzte in einem Dokument fest: «Das Amt des Legaten steht nicht über der Vollmacht des Bischofs noch ersetzt oder beeinträchtigt er diese, im Gegenteil, er stützt und stärkt sie durch brüderlich-klugen Rat.»

Der apostolische Nuntius in Bern hat in der «Rundschau» von Mittwoch erklärt, er werde vorerst nicht mehr auf Presseanfragen eingehen und ergänzte: «In den nächsten Monaten werde ich die besondere Situation der Kirche in der Schweiz besser kennenlernen». (gs)

Thomas E. Gullickson, Nuntius für die Schweiz und Lichtenstein | © 2015 zVg
28. Januar 2016 | 16:33
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Allianz «Es reicht!»

Der Allianz gehören an: Appell «Segen statt Brot», Basisgruppen-Bewegung Deutschschweiz, Bündnerinnen und Bündner für eine glaubwürdige Kirche BBGK, FrauenKirche Zentralschweiz, Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche, Jungwacht Blauring Schweiz, Katholische ArbeitnehmerInnen-Bewegung KAB, Komitee aus dem Urnerland «Nicht mit uns, Herr Bischof Vitus Huonder!», Netzwerk «Kreuz und Queer durch Zürich», Pfarrei-Initiative, SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund, Theologische Bewegung für Solidarität und Befreiung TheBe, Verein Tagsatzung.ch. (gs)